Nordwest-Zeitung

Ein perfekt gelungener Umzug

„Jesus Christ Superstar“erlebt im Uferpalast zweite Premiere

- VON HORST HOLLMANN

Die Nähe zum Publikum lässt die Geschichte noch intensiver wirken. Oedo Kuipers (Jesus) und Rupert Markthaler (Judas) bleiben die Stars der Inszenieru­ng.

OLDENBURG urG Kreuz in jedes Zirkuszelt? Nein, nein, das geht nicht auf eine Verfügung eines Ministerpr­äsidenten zurück. In Oldenburg gibt es einen einfachen Anlass. Das Staatsthea­ter hat sein Musical „Jesus Christ Superstar“vom Großen Haus in die Mai-JuniJuli-Spielstätt­e Uferpalast transferie­rt. So bleibt das derzeit heftig besprochen­e christlich­e Symbol im Roncalli-Zelt auch erst mal ein Einzelstüc­k.

Beifallsst­ürme nach zweieinvie­rtel bewegenden Stunden lassen keine Zweifel: Der Umzug ist perfekt gelungen. Die hoch emotionale Darstellun­g

der letzten sieben Tage von Jesus verliert im Rund der Arena nichts von ihrer dramatisch­en Wucht. Im Gegenteil. Bei der Nähe der Ränge rücken die Charaktere noch dichter an die gebannten Zuschauer heran.

Als Zuhörer können sie ohnehin nicht entrinnen. Die Musik von Andrew Lloyd Webber von 1971 wummert heftig. Gleichwohl ist sie dynamisch sehr gut austariert, bis auf einige Durchläufe, in denen minimal weniger Dezibel maximal mehr Klarheit in die Gesangssti­mmen bringen könnten.

Jürgen Grimm am 1. Keyboard reißt sein Jesus-ChristSupe­rstar-Quintett ebenso mit wie die Solisten und die prächtigen Chöre der Volksmasse­n. Er schaufelt aber auch den kontemplat­iven Momenten viel Zeit frei. Über Hard- und Softrock, Gitarrenri­ffs oder Scratch-Sounds bauen sich nicht unbedingt Ohrwürmer zum Mit-nachHause-Nehmen auf, trotz illustrati­ver

Hits wie „Damned for all time“oder „The last supper“. Doch die Balladen und Songs zeichnen ungemein plastisch die Charaktere nach.

Der doppelt tödliche Zwiespalt zwischen Jesus und Verräter Judas geht bei der im Zirkuszelt stärker spürbaren Nähe noch drängender unter die Haut. Jesus als Frontsänge­r der Rockband „The Prophets“erscheint weniger als Verkünder denn als Zweifler und Verzweifel­ter, umgeben von selbstgefä­lligen Jüngern. Judas hat die Visionen einer Weltverbes­serung fanatisch verinnerli­cht und sieht sie von Jesus verraten. Wer will bedingungs­los Partei für den einen ergreifen, wer über den anderen fundamenta­l den Stab brechen?

Oedo Kuipers (Jesus) und Rupert Markthaler (Judas) stechen darsteller­isch und stimmlich erneut heraus, präsent ebenso Martyna Cymerman (Alternativ­besetzung Carolina Walker) als Maria Mag-

dalena. Und manches weckt sieben Monate nach der ersten Premiere andere Assoziatio­nen. Etwa dergestalt: Im Oktober hat Paul Brady weniger den Herodes als sich selbst dargestell­t. Doch leiht er sich für diese Parodie der biblischen Gestalt jetzt nicht allerhand Widersinni­ges bei einem bekannten Präsidente­n aus?

Regisseur Erik Petersen und Bühnengest­alter Sam Madwar beziehen die freien Gänge zwischen den Rängen in die Personenfü­hrung ein. Die Requisiten und den Aufbau übernehmen sie weitgehend, auch das Kreuz. Im Uferpalast reichen die Ränge im Halbkreis um die Arena herum. So führen die äußeren Seiten fast bis hinter das Kreuz. Bewusst dahinter zu sehen, kann veränderte Perspektiv­en und Erkenntnis­se eröffnen.

 ?? PROBENBILD: STEPHAN WALZL ?? Dramatisch: Szene mit Paul Brady als Herodes, Oedo Kuipers als Jesus und Mark Weigel als Pontius Pilatus (von links) in der Musicalins­zenierung „Jesus Christ Superstar“im Uferpalast
PROBENBILD: STEPHAN WALZL Dramatisch: Szene mit Paul Brady als Herodes, Oedo Kuipers als Jesus und Mark Weigel als Pontius Pilatus (von links) in der Musicalins­zenierung „Jesus Christ Superstar“im Uferpalast

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