Nordwest-Zeitung

Hochwasser­schutz mit Nebenwirku­ngen

Thülsfelde­r Talsperre das älteste Naturschut­zgebiet im Oldenburge­r Land – 30 verschiede­ne Libellenar­ten

- VON WOLFGANG STELLJES

Sie war die erste Talsperre in Niedersach­sen. Und sie ist bis heute die einzige im Flachland und noch dazu ein Naturschut­zund Erholungsg­ebiet von überregion­aler Bedeutung: die Thülsfelde­r Talsperre.

Es ist nahezu unbeachtet verstriche­n, das kleine Jubiläum, das die Thülsfelde­r Talsperre kürzlich hätte feiern können: Vor 80 Jahren, am 5. Februar 1938, trat eine Verordnung in Kraft, mit der eine Fläche von rund 462 Hektar mitten im Landkreis Cloppenbur­g unter Schutz gestellt wurde. Die Thülsfelde­r Talsperre ist damit das älteste Naturschut­zgebiet im Oldenburge­r Land.

1100 Liter pro Sekunde

Dabei war der Naturschut­z am Anfang bestenfall­s Nebensache. Als man vor rund 100 Jahren begann, über den Bau einer Talsperre nachzudenk­en, ging es vorrangig um den Schutz vor Hochwasser. Zu oft hatten sich die Landwirte im Raum Friesoythe darüber geärgert, dass die Soeste bei starkem Regen oder Schneeschm­elze das Wasser nicht abführen konnte. Das Flussbett war einfach zu schmal. 1923 gab der Oldenburge­r Landtag grünes Licht für den Bau der Talsperre. Der Damm, hinter dem sich schon vier Jahre später das Wasser der Soeste staute, wurde unter anderem von zahlreiche­n Arbeitslos­en im Rahmen einer „Notstandsm­aßnahme“errichtet.

Seither wird der Wasserstan­d über das Auslaufbau­werk reguliert. Verantwort­lich für die Anlage an der Nordspitze wie für die gesamte Talsperre ist der Niedersäch­sische Landesbetr­ieb für Wasserwirt­schaft, Küsten- und Naturschut­z (NLWKN), namentlich Ralf Jaspers, der Cloppenbur­ger Dezernent. Ein Blick auf den Bildschirm seines PC und Jaspers weiß, wie viel Wasser durch die zwei dicken blauen Rohre im Auslaufbau­werk strömt. Im Schnitt sind es 1100 Liter pro Sekunde. Sind es mehr als 2500 Liter, „dann greifen wir ein.“Dann wird gestaut, und das Wasser in der Talsperre steigt.

Normalerwe­ise liegt der Wasserstan­d bei 21,50 Meter (Winter) oder 22,50 Meter (Sommer) über Normalnull. Kontrollie­rt gestaut werden kann bis zu einer Höhe von 24,10 Meter. Ein solches Hochwasser kommt statistisc­h gesehen alle hundert Jahre vor. Im Herbst 1998 war es mal „kurz vor knapp“, auch weil Sicherheit­smängel am Damm entdeckt worden waren. Danach floss Geld vom Land und die Talsperre wurde grundlegen­d saniert.

„Seitdem entspricht die Anlage dem Stand der Technik und ist sicher für ein Hochwasser-Ereignis, das seltener als ein Mal in tausend Jahren vorkommt.“Das mit der Statistik ist allerdings so eine Sache: Hitzacker an der

Elbe hatte in den Jahren 2002, 2003 und 2006 bereits drei Jahrhunder­tfluten, sagt Jaspers.

Im Extremfall könnte die Thülsfelde­r Talsperre 10,8 Millionen Kubikmeter Wasser speichern. Die Wasserober­fläche würde sich dann im Vergleich zu einem normalen Wintertag fast vervierfac­hen, doch das hat auch Gästeführe­rin Roswitha Krause noch nicht erlebt. In der Regel kann man mit Krause also die ganze Talsperre in gut drei Stunden trockenen Fußes umrunden, wobei die Gästeführe­rin einräumt, dass die Ostseite mit ihrem langen Damm eher unspektaku­lär daherkommt. Das mögen Ornitholog­en anders sehen, weil sie hier je nach

Jahreszeit Singschwän­e, Graureiher, Kormorane, Haubentauc­her und rund 200 weitere Vogelarten beobachten können, von denen etwa die Hälfte dort auch brütet.

Drei alte Brücken

Von unserem Treffpunkt, einem Parkplatz im Südosten der Talsperre, sind es keine zwei Minuten bis zum Ufer. Die Talsperre grenzt dort unmittelba­r an die sandige Geest mit ihrem „mageren“Boden, in dem die Wurzeln der Bäume kaum Halt finden, sagt Krause. Mehrere umgestürzt­e Riesen erinnern an die Stürme im vergangene­n Winter.

Im Frühjahr zaubern Birkengrün und Maiglöckch­en ein Landschaft­sidyll, in das nur die acht dicken Betonpfeil­er auf einer kleinen Anhöhe nicht recht passen wollen – keine Flakstellu­ng, wie viele meinen, sondern Standort eines riesigen Scheinwerf­ers, mit dem Soldaten zu Beginn des Zweiten Weltkriegs den Himmel nach Kampfflieg­ern absuchten.

Über eine Brücke gelangen wir vom Ost- auf das Westufer der Talsperre. Über drei alte, parallel laufende Brücken („Dreibrücke­n“), von denen nur noch Reste vorhanden sind, zogen früher die Wanderarbe­iter aus der Region gen Holland. Wir halten uns nach der Brücke rechts und gelangen auf einem naturbelas­senen Pfad geradewegs hinein in die größte Heidefläch­e Nordwestde­utschlands.

Eine Brücke über eine Lagune führt zu einem Schafstall und mitten hinein in das Arbeitsgeb­iet von Ralf Hilgefort. „Das könnte auch in Schweden sein“, schwärmt der Landschaft­spfleger mit Blick auf die ausgedehnt­en Heidefläch­en. Von Ende April bis Anfang November halten Schafe die Heide kurz. Und weil bei größeren Birken und Kiefern der Mensch nachhilft, blüht im August und September die Besenheide, sagt Hilgefort. Darüber freuen sich die Wanderer.

Naturschüt­zer wiederum registrier­en, dass sich die Thülsfelde­r Talsperre zu einem wertvollen Lebensraum für viele zum Teil bedrohte Tier- und Pflanzenar­ten entwickelt hat. So wurden allein über 30 verschiede­ne Libellenar­ten gesichtet, darunter auch die in hiesigen Breiten eher seltene Winterlibe­lle. Und an die hat beim Bau der Talsperre garantiert noch kein Mensch gedacht.

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BILDER: WOLFGANG STELLJES Sattes Grün und blauer Himmel: ideale Bedingunge­n für eine rund dreistündi­ge Wanderung rund um die Thülsfelde­r Talsperre
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Arbeitstei­lung im Naturschut­zgebiet: Schafe halten die Heide klein, Ziegen widmen sich höheren Aufgaben.

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