Hochwasserschutz mit Nebenwirkungen
Thülsfelder Talsperre das älteste Naturschutzgebiet im Oldenburger Land – 30 verschiedene Libellenarten
Sie war die erste Talsperre in Niedersachsen. Und sie ist bis heute die einzige im Flachland und noch dazu ein Naturschutzund Erholungsgebiet von überregionaler Bedeutung: die Thülsfelder Talsperre.
Es ist nahezu unbeachtet verstrichen, das kleine Jubiläum, das die Thülsfelder Talsperre kürzlich hätte feiern können: Vor 80 Jahren, am 5. Februar 1938, trat eine Verordnung in Kraft, mit der eine Fläche von rund 462 Hektar mitten im Landkreis Cloppenburg unter Schutz gestellt wurde. Die Thülsfelder Talsperre ist damit das älteste Naturschutzgebiet im Oldenburger Land.
1100 Liter pro Sekunde
Dabei war der Naturschutz am Anfang bestenfalls Nebensache. Als man vor rund 100 Jahren begann, über den Bau einer Talsperre nachzudenken, ging es vorrangig um den Schutz vor Hochwasser. Zu oft hatten sich die Landwirte im Raum Friesoythe darüber geärgert, dass die Soeste bei starkem Regen oder Schneeschmelze das Wasser nicht abführen konnte. Das Flussbett war einfach zu schmal. 1923 gab der Oldenburger Landtag grünes Licht für den Bau der Talsperre. Der Damm, hinter dem sich schon vier Jahre später das Wasser der Soeste staute, wurde unter anderem von zahlreichen Arbeitslosen im Rahmen einer „Notstandsmaßnahme“errichtet.
Seither wird der Wasserstand über das Auslaufbauwerk reguliert. Verantwortlich für die Anlage an der Nordspitze wie für die gesamte Talsperre ist der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), namentlich Ralf Jaspers, der Cloppenburger Dezernent. Ein Blick auf den Bildschirm seines PC und Jaspers weiß, wie viel Wasser durch die zwei dicken blauen Rohre im Auslaufbauwerk strömt. Im Schnitt sind es 1100 Liter pro Sekunde. Sind es mehr als 2500 Liter, „dann greifen wir ein.“Dann wird gestaut, und das Wasser in der Talsperre steigt.
Normalerweise liegt der Wasserstand bei 21,50 Meter (Winter) oder 22,50 Meter (Sommer) über Normalnull. Kontrolliert gestaut werden kann bis zu einer Höhe von 24,10 Meter. Ein solches Hochwasser kommt statistisch gesehen alle hundert Jahre vor. Im Herbst 1998 war es mal „kurz vor knapp“, auch weil Sicherheitsmängel am Damm entdeckt worden waren. Danach floss Geld vom Land und die Talsperre wurde grundlegend saniert.
„Seitdem entspricht die Anlage dem Stand der Technik und ist sicher für ein Hochwasser-Ereignis, das seltener als ein Mal in tausend Jahren vorkommt.“Das mit der Statistik ist allerdings so eine Sache: Hitzacker an der
Elbe hatte in den Jahren 2002, 2003 und 2006 bereits drei Jahrhundertfluten, sagt Jaspers.
Im Extremfall könnte die Thülsfelder Talsperre 10,8 Millionen Kubikmeter Wasser speichern. Die Wasseroberfläche würde sich dann im Vergleich zu einem normalen Wintertag fast vervierfachen, doch das hat auch Gästeführerin Roswitha Krause noch nicht erlebt. In der Regel kann man mit Krause also die ganze Talsperre in gut drei Stunden trockenen Fußes umrunden, wobei die Gästeführerin einräumt, dass die Ostseite mit ihrem langen Damm eher unspektakulär daherkommt. Das mögen Ornithologen anders sehen, weil sie hier je nach
Jahreszeit Singschwäne, Graureiher, Kormorane, Haubentaucher und rund 200 weitere Vogelarten beobachten können, von denen etwa die Hälfte dort auch brütet.
Drei alte Brücken
Von unserem Treffpunkt, einem Parkplatz im Südosten der Talsperre, sind es keine zwei Minuten bis zum Ufer. Die Talsperre grenzt dort unmittelbar an die sandige Geest mit ihrem „mageren“Boden, in dem die Wurzeln der Bäume kaum Halt finden, sagt Krause. Mehrere umgestürzte Riesen erinnern an die Stürme im vergangenen Winter.
Im Frühjahr zaubern Birkengrün und Maiglöckchen ein Landschaftsidyll, in das nur die acht dicken Betonpfeiler auf einer kleinen Anhöhe nicht recht passen wollen – keine Flakstellung, wie viele meinen, sondern Standort eines riesigen Scheinwerfers, mit dem Soldaten zu Beginn des Zweiten Weltkriegs den Himmel nach Kampffliegern absuchten.
Über eine Brücke gelangen wir vom Ost- auf das Westufer der Talsperre. Über drei alte, parallel laufende Brücken („Dreibrücken“), von denen nur noch Reste vorhanden sind, zogen früher die Wanderarbeiter aus der Region gen Holland. Wir halten uns nach der Brücke rechts und gelangen auf einem naturbelassenen Pfad geradewegs hinein in die größte Heidefläche Nordwestdeutschlands.
Eine Brücke über eine Lagune führt zu einem Schafstall und mitten hinein in das Arbeitsgebiet von Ralf Hilgefort. „Das könnte auch in Schweden sein“, schwärmt der Landschaftspfleger mit Blick auf die ausgedehnten Heideflächen. Von Ende April bis Anfang November halten Schafe die Heide kurz. Und weil bei größeren Birken und Kiefern der Mensch nachhilft, blüht im August und September die Besenheide, sagt Hilgefort. Darüber freuen sich die Wanderer.
Naturschützer wiederum registrieren, dass sich die Thülsfelder Talsperre zu einem wertvollen Lebensraum für viele zum Teil bedrohte Tier- und Pflanzenarten entwickelt hat. So wurden allein über 30 verschiedene Libellenarten gesichtet, darunter auch die in hiesigen Breiten eher seltene Winterlibelle. Und an die hat beim Bau der Talsperre garantiert noch kein Mensch gedacht.