Nordwest-Zeitung

Zwischen Brücke und Palast

In Avignon begegnen sich Mittelalte­r und Moderne – Theaterfes­tival im Juli

-

Rund um den Papstpalas­t und das Carré liegt die Altstadt. Sie ist umschlosse­n von einer Ringmauer. Zusammen mit dem Papstpalas­t und der Brücke ist sie Unesco-Weltkultur­erbe.

Man kann ihn einfach nicht übersehen. Er ist das größte gotische Bauwerk der Welt. Monumental, trutzig wie eine Festung, zentrales Element der französisc­hen Stadt Avignon: der Papstpalas­t. Wer seine Ferien in der Provence verbringt, kommt an ihm und der Stadt an der Rhône nicht vorbei. In Avignon umarmen sich Urgeschich­te, Mittelalte­r und Moderne. Und überall zeugen Klöster, Plätze und Paläste davon, dass Avignon im Mittelalte­r Machtzentr­um der christlich­en Welt war.

Göttliche Eingebung

Wer sich ein wenig mit katholisch­er Kirchenges­chichte auskennt, weiß, dass es immer wieder Querelen um die Päpste gab. Unter anderem aus politische­n Gründen ist deshalb im 14. Jahrhunder­t neben Rom der zweite Papstsitz in Avignon entstanden. Insgesamt neun Päpste residierte­n dort etwa 100 Jahre lang, bevor Avignon als Residenz verblasst. Von der Pracht vergangene­r Tag ist heute nichts mehr zu spüren. Wer den Palast besichtigt, steht häufig in riesigen leeren Hallen mit nur wenigen Hinweisen darauf, wie prunkvoll es dort einst aussah. Trotzdem kommen jedes Jahr mehr als eine halbe Million Menschen.

Das Interesse ist sogar noch gewachsen, seit das digitale Zeitalter in das Monument eingezogen ist. Jeder Besucher bekommt mit seiner Eintrittsk­arte ein Tablet in die Hand, ein sogenannte­s Histopad. Avignon Tourismus verspricht, dass es eine „Zeitreise, bei der Unsichtbar­es sichtbar wird“ermöglicht. Mit geliehenem Tablet und Kopfhörern geht es auf Entdeckung­stour. Organisier­en muss jeder seinen Rundgang nämlich selbst. Und in der Tat füllen sich die leeren Hallen mit zeitgenöss­ischer Musik und Bildern, virtuell versteht sich.

Das Histopad ist interaktiv, zeigt von Wissenscha­ftlern erarbeitet­e historisch­e Inszenieru­ngen. Mittels 3D-Technologi­e und GPS erwachen die leeren 800 Jahre alten Räume zum Leben, und unversehen­s befindet man sich selbst in einer Vergangenh­eit mit Gesicht.

„Viele Schulklass­en, besonders aus Deutschlan­d, kommen jedes Jahr hierher“, meint Pascal. Besonders für Kinder und Jugendlich­e ist Geschichte auf diese Weise keine trockene Angelegenh­eit mehr. Sie ist anfassbar, nachspürba­r. Ein Bild sagt eben mehr als tausend Worte, und Inhalte bleiben besser hängen.

Berühmter als der Papstpalas­t ist die Brücke von Avignon. Das Volkslied „Sur le pont d’Avignon“wurde früher in jedem Kindergart­en, in jeder Grundschul­e geträllert. Auch heute fällt den meisten dieser Evergreen aus dem 15. Jahrhunder­t ein, wenn sie den Namen der südfranzös­ischen Stadt hören. Den Pont d’Avignon gibt es tatsächlic­h, der richtige Name lautet jedoch Pont Saint-BOnOzet und geht auf einen einfachen Hirten aus der Gegend zurück. Der Legende nach habe dieser die göttliche Eingebung gehabt, die beiden Rhône-Ufer zu verbinden und dafür eine Brücke zu bauen.

Gebaut wurde im 13. Jahrhunder­t tatsächlic­h, gehalten hat die Brücke 40 Jahre, bevor sie nochmals komplett neu errichtet werden musste. Sie blieb eine ewige Baustelle, denn durch Hochwasser und Kriege wurde sie immer wieder beschädigt. Heute sind statt der 22 Bögen nur noch vier breite Bögen erhalten.

„Ich persönlich glaube ja nicht, dass die meisten Menschen kommen, weil sie die Brücke so schön finden“, sagt Stadtführe­r Pascal. Der 21jährige Architektu­rstudent aus Avignon glaubt, dass es eher die Geschichte drum herum und vielleicht auch dieses Kinderlied ist, das den Charme der Stadt ausmacht. „Wussten Sie eigentlich, dass Mireille Mathieu auch aus Avignon kommt und das Lied schon mal gesungen hatP“fragt Pascale. Das wussten wir nicht.

In den letzten drei Wochen im Juli findet in Avignon das jährliche Theater Festival d’Avignon statt. Es ist das Event schlechthi­n für Theater-Maniacs. Innerhalb von wenigen Tagen sind mehr als ein Dutzend Aufführung­en zu sehen. Seit 1947 bringen Tanz, Theater und Konzerte die Stadt zum Klingen und locken Tausende Kulturbege­isterte aus ganz Europa an.

Vor allem natürlich die Franzosen selbst. „Wenn die Pariser ans Mittelmeer in den Urlaub fahren und hier ein paar Tage verbringen, dann folgen ihnen die Schauspiel­er. In Avignon gibt es keine Sommerpaus­e, wie woanders an den Theatern. Hier ist immer was los, aber im Juli natürlich besonders“, sagt Pascal. Seit den 1960er Jahren hat sich zur etablierte­n die freie Theatersze­ne gesellt. Inzwischen sind es mehr als 1000 Inszenieru­ngen, die über das gesamte Stadtgebie­t gezeigt werden. Clowns, Breakdance­r, Sänger zeigen ihr Können in Garagen, Hinterhöfe­n, in Kellern, unter Brücken.

Sprechende Puppen

„Das ist ein verrücktes, buntes Völkchen. Du gehst durch eine Gasse, und plötzlich guckt dich eine Puppe an und spricht mit dir. Oder an einer Ecke singt jemand. Das ist wie im Zirkus“, meint Pascal und erzählt uns von seinen Nachbarn, die das ganze Spektakel eher nervt. „Natürlich ist das hier dann auch laut, und du kriegst nirgendwo einen guten Platz im Restaurant, wenn du nicht reserviers­t. Aber für die Stadt ist das gut, es bringt Einnahmen.“

Überflüssi­g zu sagen, dass Avignon auch für guten Wein steht. Die Stadt ist ein Tor zu den 200 Kilometer langen Weinlagen des Rhône-Tals. Es ist die älteste Weinregion Frankreich­s. Der Côte-duRhône gehört zum guten Ton.

Wie sehr Wein ein Thema ist, zeigt das CarrO du Palais. In unmittelba­rer Nähe zum Papstpalas­t gelegen, ist es eine Weinschule mit Workshops in acht Sprachen, eine Weinbar mit 1000 Flaschenwe­inen und rund 80 offenen Rhône-Weinen, sowie gleichzeit­ig ein Hotel und ein Restaurant. Das CarrO ist eine Institutio­n und residiert in einem historisch­en Gebäude der französisc­hen Nationalba­nk.

Rund um den Papstpalas­t und das CarrO liegt die Altstadt. Sie ist umschlosse­n von einer Ringmauer. Im 12. Jahrhunder­t erbaut, zählt sie zu den am besten erhaltenen Stadtmauer­n Europas. Fast fünf Kilometer lang läuft man an 39 Toren und sieben Türmen entlang. Zusammen mit dem Papstpalas­t und der Brücke ist sie Unesco-Weltkultur­erbe. Im Stadtkern leben nur etwa 15 000 Menschen, die restlichen rund 77 000 Einwohner leben außerhalb der Stadtmauer­n.

In der Altstadt lässt sich alles gut zu Fuß erkunden. Kleine, malerische Gassen mit alten Bäumen und lauschigen Winkeln. „Verlaufen könnt ihr euch nicht, denn ihr landet sowieso immer wieder am Palast“, gibt uns Pascal mit auf unseren Weg.

Avignon, das ist auch die Qle de la Barthelass­e, die acht Kilometer lange Flussinsel in der Rhône. Genauer gesagt liegt sie an der sogenannte­n kleinen Rhône, dem toten Arm der Stadt. Mit dem WassertaRi oder über die Brücke Pont Sdouard Daladier geht es auf die andere Seite und schon steht man mit beiden Beinen mitten im Landleben. Die Stadt Avignon und die Insel, sie könnten gegensätzl­icher nicht sein. Ein Jagdschlos­s, ein Freibad, mehrere Campingplä­tze, Gutshöfe, Bio-Bauernhöfe.

Schöne Bergdörfer

„Ich fahre hier fast jeden Abend Fahrrad. Und manchmal besuche ich Olga. Die macht den besten Schnaps“, lacht Pascale. Gemeint ist die Destilleri­e Manguin, die sich auf Obstbrände der Sorte Williamsbi­rne spezialisi­ert hat. Vogelfreun­de kommen auf der Insel ebenfalls auf ihre Kosten. Kormorane, alle möglichen Reiherarte­n, Fischadler sind es gewohnt, dass ihnen die Städter von gegenüber täglich einen Besuch abstatten.

Das südfranzös­ische Flair der Qle de la Barthelass­e ist ein Vorbote für das Umland von Avignon. Nur 30 Minuten Autofahrt entfernt liegt Orange. Es ist der Eintritt in die Provence. Ein antikes Amphitheat­er, das zu dem besterhalt­enen Europas zählt, und ein Triumphbog­en, der auf der Liste des Unesco-Weltkultur­erbes steht, lohnen einen kurzen Abstecher.

Rund 60 Kilometer entfernt, mitten im Naturpark des LubOron, der Bergregion östlich von Avignon, liegen die schönsten Bergdörfer der Provence. Zum Beispiel Gordes. Serpentine­nartig geht es hinauf, vorbei an alten Steinmauer­n, die irgendwann vor langer Zeit von Hand Stein für Stein aufeinande­rgeschicht­et worden sind. Und plötzlich schaut man auf ein Trtchen wie im Bilderbuch. In der Mitte eine imposante Burg, darum terrassenf­örmig die Häuser des Dorfes. Hoch auf einem Berg, am Hang und zu Füßen die Provence.

Bei diesem Anblick kommt einem vielleicht ein Zitat des Schriftste­llers Jean Gionoin in den Sinn, der schrieb „Wer die Provence liebt, der liebt die Welt, oder er liebt gar nichts.“

6ON ELISABETH NEUMANN

 ?? BILDER: MATHIAS WIEFEL ?? Legendär: Blick von der Flussinsel Île de la Barthelass­e auf die Pont d’Avignon und den Papstpalas­t im Hintergrun­d
BILDER: MATHIAS WIEFEL Legendär: Blick von der Flussinsel Île de la Barthelass­e auf die Pont d’Avignon und den Papstpalas­t im Hintergrun­d
 ??  ?? Im einstigen Machtzentr­um: Mit dem Histopad wird die Geschichte des Papstpalas­tes lebendig.
Im einstigen Machtzentr­um: Mit dem Histopad wird die Geschichte des Papstpalas­tes lebendig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany