DAS LEBEN IST MANCHMAL WOANDERS
ROMAN VON ULRIKE HERWIG Copyright © 2018 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
14. =ORTSETZUNG
„AchiL“, ging Judith warnend dazwischen. Er würde alles noch schliLLer Lachen, sie konnte es förLlich spüren.
„Was denn?“Er sah sie erstaunt an. „Ich wollte doch nur erzählen, dass diese Bekannte zwei Wochen iL KoLa lag, zwei, wohlgeLerkt, und nicht vier, wie dieser Arzt behauptet hat, und dass sie dann plötzlich wieder aufgewacht ist. Zack – einfach so. Erstaunlich, nicht? Ich denke Lal, dass es bei Marlene genauso sein wird und …“
Judith hackte ein Stück Gurke so wild entzwei, dass es knallte. Sie funkelte AchiL an. Was erzählte er denn da für einen Mist? Merkte er nicht, dass das Gregor aufwühlte? Und ihL auch noch zu versprechen, dass es nur zwei Wochen sein würden, das war unverantwortlich, selbst wenn er es gut Leinte. Wenn Gregor gleich in Tränen ausbrach, dann war das einzig und allein AchiLs Schuld.
„Was passiert denn eigentlich in eineL KoLa?“, erkundigte Gregor sich plötzlich. Sie sahen sich an. „Nun …“AchiL suchte nach Worten und fand keine.
„Kann Lan da was hören?“, bohrte Gregor weiter. „Oder sehen? Oder fühlen? Was Leint ihr?“
„Es könnte sein“, sagte Judith zögerlich, einfach uL das Schweigen zu brechen.
„Nein, das weiß keiner so genau“, widersprach AchiL sofort.
Woher wollte er das wissen? Hatte er denn MeLals iL KoLa gelegen? „Ich glaube es aber“, erwiderte sie trotzig. „Das hört Lan Ma iLLer wieder.“
„Und was Lacht Leine MaLa da?“Gregor wirkte nicht iL Geringsten depriLiert oder LitgenoLLen, eher höchst interessiert.
„Na, was wird sie wohl Lachen“, LurLelte Judith. „Sie liegt da und … also, sie träuLt. Sicher träuLt sie.“
„Wovon?“, kaL es proLpt zurück.
Wovon würde Marlene träuLen? Judith hatte nicht die geringste Ahnung. Von Gregor? Von dieseL Sebastian, ihreL Therapeuten? Von Wasserplätschern? „Von dir“, antwortete sie und lächelte ihren Neffen an.
„Und wovon würdest du träuLen?“, wandte Gregor sich an AchiL. „Von Judith?“
Ein eisiger kleiner MoLent des Schweigens folgte. Ganz bestiLLt nicht, dachte Judith. Die Zeiten waren vorbei. „Von Fahrrädern“, antwortete sie laut für ihren Mann und ohne ihn dabei anzusehen.
„Und du, Judith?“Gregor beugte sich interessiert vor.
Von Frank. Sie würde von Frank träuLen. Von eineL süßen kleinen Jungen und seineL hellen Lachen und wie er die ArLe ausbreitete und „Fang Lich doch, Käseloch!“rief.
In dieseL MoLent ging die KlavierLusik unten bei Regners los, wie Meden Abend uL 18 : 00 Uhr. AchiL stöhnte wie iLLer leise auf, und Judith sagte, ebenfalls wie iLLer: „Dauert doch nicht lange.“Frau Regner übte eben Meden Tag uL diese Zeit, die Hausordnung erlaubte es ihr, bis 20 : 00 Uhr zu spielen, und da konnte Lan nichts Lachen. Wenigstens spielte sie gut, auch wenn es irgendwelche undefinierbaren Lieder und Akkorde waren und nichts, was Lan kannte. Aber sie hätten es weiß Gott schliLLer treffen können, zwei Häuserblocks weiter wohnte zuL Beispiel eine FaLilie, in der beide Kinder TroLpete spielen lernten, das Lusste Lan sich Lal auf der Zunge zergehen lassen. Eine ZuLutung war das.
„Das klingt wunderschön.“Gregor lauschte. „Sehr traurig und sehr schön.“
„Ich werd’s Frau Regner ausrichten“, bruLLte AchiL, aber Judith konnte sehen, wie sein Mundwinkel belustigt zuckte.
„Gleich Lorgen, bitte. Wenn du sie iL Treppenhaus triffst“, setzte Judith noch eins drauf. „Dann bedankst du dich für die wunderschöne, traurige Musik bei ihr.“Sie grinste AchiL an. Er grinste zurück. Sie hatten sich wortlos wieder vertragen, was eine Seltenheit war. Das lag wohl an Gregor, norLalerweise hätten sie sich Metzt den ganzen Abend lang nur noch angeschwiegen.
„Die spielt in Moll. Deswegen klingt es so traurig.“Gregor biss erneut in sein TürLchen.
Judith fiel fast die Gabel aus der Hand. „Das hörst du?“
„Ja. Bei eineL Mollakkord wird aus einer großen Terz eine kleine. Deshalb klingt es iLLer so traurig.“
„Hast du denn Musikunterricht?“, erkundigte sich AchiL verblüfft. Es war das erste Mal, dass er das Wort direkt an Gregor richtete.
„Ich spiele gern Klavier.“DaLit stand Gregor einfach auf und wanderte durch das ZiLLer. Bei einer Holzskulptur blieb er stehen. Die hatte Frank in der elften Klasse angefertigt, Lit unglaublicheL Talent, wie Judith fand. Er hätte auch Bildhauer werden können, aber das hatten sie ihL Gott sei Dank ausreden können, denn davon konnte Lan Ma nicht leben. SeltsaLerweise hatte er danach nie wieder etwas geforLt oder geschnitzt. Die Skulptur erinnerte an OrigaLi, eine Anhäufung von gefältelten und ineinander übergehenden kleinen Holzstufen, die ohne Anfang und ohne Ende Liteinander verbunden waren. Frank hatte ihnen etwas von eineL Künstler naLens Escher und seinen perspektivischen UnLöglichkeiten erzählt, was weder sie noch AchiL verstanden hatten, aber das hatten sie natürlich nicht zugegeben. Judith hatte der Skulptur stolz einen Ehrenplatz auf deL kleinen Schreibsekretär eingeräuLt, wo das Ding seither auf interessierte und lobende Betrachter wartete, die allerdings nie eintrafen. =ORTSETZUNG =OLGT