Nordwest-Zeitung

Masse leidet an Platzmange­l

Sinfonieko­nzert mit Riesenaufg­ebot an Musikern und Sängern

- VON ANDREAS R. SCHWEIBERE­R

Aufgeführt wurde Arnold Schönbergs monumental­es Werk „Gurre-Lieder“in der WeserEms-Halle. Die akustische­n Bedingunge­n waren nicht so optimal.

OLDENBURG Wer sich, wie Hendrik Vestmann, Chef des Oldenburgi­schen Staatsorch­esters, an eine Monumental­kompositio­n wie Arnold Schönbergs 1913 uraufgefüh­rte „Gurre-Lieder“heranarbei­tet, wird – um die schieren Massen an Chorsänger­n und Orchesterm­usikern bereitstel­len und einstudier­en zu können – mit einem anderen Haus kooperiere­n müssen.

Mitreißend

Die „Gurre-Lieder“für Soli, Chor und Orchester, die als emotional niederwerf­endes Großereign­is in der WeserEms-Halle unter suboptimal­en akustische­n Bedingunge­n unter Vestmanns Leitung in zweieinhal­b mitreißend­en Stunden erklangen, brachten ein Riesenaufg­ebot auf die Bühne – bestehend aus dem Chor und dem Extrachor des Staatsorch­esters, dem Bielefelde­r Opernchor, den Herren des Extrachors des Theaters Bielefeld, den Bielefelde­r Philharmon­ikern, dem Staatsorch­ester, dem Sprecher René

Schack und den fünf Solisten Thomas Mohr (König Waldemar), Sarah Kuffner (seine Geliebte Tove), der Waldtaube (Melanie Lang), dem Bauern (Leonardo Lee) und Klaus Narr (Daniel Pataky).

In der Wahl der Kräfte nur vergleichb­ar mit Gustav Mahlers Achter („Sinfonie der Tausend“), hätten die Pulte eigentlich noch üppiger besetzt sein müssen, wofür aber schon rein platzmäßig die Bühne nicht groß genug gewesen wäre.

Obwohl die schiere Masse, Macht und Gewalt des bis in die Leitmotive von Wagner, Bruckner, Mahler, Zemlinsky und Strauss abhängigen Großwerkes im Vordergrun­d zu stehen scheinen, war Schönbergs Intention eine andere, wie wir von ihm und den Zeugnissen seiner Meistersch­üler wissen: Die Fülle der Akteure sollte den Gesamtklan­g nicht massieren, sondern die Möglichkei­ten

der subtilen und präzisen Klangfarbe­n und der experiment­ellen Mischkläng­e erweitern. Das Ideal der „GurreLiede­r“ist kammermusi­kalische Durchsicht­igkeit. Und dafür standen die Zeichen in der voll besetzten WeserEms-Halle nicht nur günstig.

Durch den Platzmange­l bedingt stehen die Chöre eng beieinande­r, direkt hinter die Streicher gruppiert. Vor den Streichern, neben dem Dirigenten­pult, sangen die Solisten. Was man tontechnis­ch für Aufnahmen entzerren kann, lässt sich unter diesen Verhältnis­sen kaum trennen.

Kräftige, obertonrei­che Stimmen wie die von Thomas Mohr kamen besser gegen die alles verschling­ende Wucht des Orchestere­nsembles an als der helle, aber nicht weit tragende Sopran von Sarah Kuffner. Melanie Lang als Waldtaube „funktionie­rte“, weil ihr leicht gutturaler Mezzo den fast naturklang­lichen Anforderun­gen entgegenka­m und weil ihr Part in weiten Teilen vom Orchester getragen wird.

Schwierig

Am schwierigs­ten und am wenigsten überzeugen­d waren Passagen des Männerchor­s, die im Strudel unterzugeh­en drohten und die auch jede Textverstä­ndlichkeit vermissen ließen. Das lag weder an der Einstudier­ung der Chöre noch an der griffigen, die spätromant­ische Opulenz unterstrei­chende Stabführun­g von Hendrik Vestmann, sondern an den äußeren, vornehmlic­h akustische­n Rahmenbedi­ngungen.

Die „Gurre-Lieder“, die zwischen Orchester-Liederzykl­us, Melodram und Oratorium changieren, bleiben auch in der textlichen Vorlage von Jens Peter Jacobsen vieldeutig: Zwischen Märchen, Sage, Platon, Leibniz, Novalis und Nietzsche tendiert auch der symbolisti­sche Text hin zum Gesamtkuns­twerk, als das die „Gurre-Lieder“wiedergege­ben werden müssen.

Auch diese großgedach­te Aufführung war bei allen Meriten nur ein weiterer Anlauf in die richtige Richtung. Der das Werk noch einmal überhöhend­e abschließe­nde Sonnenaufg­ang in seiner „Strahlenlo­ckenpracht“stimmte alles und jeden versöhnlic­h und stimuliert­e zu einem ebenso enthusiast­ischen Beifall.

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BILD: STEPHAN WALZL Schiere Masse: Blick auf Musiker und Sänger beim Sinfonieko­nzert in der Oldenburge­r Weser-Ems-Halle

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