Nordwest-Zeitung

Nesellscha­ft in den Fängen des Islam

Houellebec­qs „Unterwerfu­ng“als V-Film – Edgar Selge in der Hauptrolle

- VON ESTEBAN ENGEL

Nach dem heaterstüc­k der Film: Mit „Unterwerfu­ng“wurde Selge auf der Bühne stürmisch gefeiert. Er spielt den Enttäuscht­en mit viel Empathie.

BER DN Zuerst tauchen immer mehr Frauen mit Kopftuch auf, später tritt der Rektor der Sorbonne in den Stand der Vielweiber­ei, ein Muslim wird zum Staatspräs­identen gewählt und wünscht sich weniger Wissenscha­ft und mehr Religion im Schulunter­richt – in Michel Houellebec­qs „Unterwerfu­ng“kommt die Islamisier­ung auf leisen Sohlen daher.

Der französisc­he Autor beschreibt in seinem Roman den schleichen­den Wandel einer Gesellscha­ft, die sich Schritt für Schritt dem Koran verschreib­t und dann ihre

Freiheit aufgibt. Schonungsl­os hat er in seiner ironischen Parabel das Bild eines politische­n und gesellscha­ftlichen Zerfalls gezeichnet.

Der Bestseller, entstanden vor den islamistis­chen Terroransc­hlägen auf die Satirezeit­schrift „Charlie Hebdo“in Paris, wurde seinerzeit als hellsichti­ge Zeitdiagno­se gepriesen – und Kritik an der Pariser Intellektu­ellen-Schickeria. Als

Theaterstü­ck feierte „Unterwerfu­ng“am Deutschen Schauspiel­haus in Hamburg im Einmann-Stück mit Edgar Selge Riesenerfo­lge.

Die ARD zeigt an diesem Mittwoch im Ersten (20.15 Uhr) Houellebec­qs Roman als TV-Verfilmung. Anschließe­nd diskutiert eine Runde bei „Maischberg­er“ab 21.45 Uhr über das Thema. Die Neuprodukt­ion im Auftrag des Rund- funks Berlin-Brandenbur­g (RBB) verbindet Szenen aus der Hamburger Inszenieru­ng von Regisseuri­n Karin Beier mit neuen Filmsequen­zen.

Mal spielt Selge (70) seinen Monolog auf der nur mit einem hohlen Kreuz ausgestatt­eten Bühne, mal spaziert er als Beobachter durch Paris oder verkriecht sich zur Meditation in ein Kloster.

Gedreht hat Regisseur und Drehbuchau­tor Titus Selge unter anderem in Hamburg, Paris und Berlin. Sein Onkel Edgar wandelt dabei durch Zeiten und Orte. Als dauermüder Literaturw­issenschaf­tler François spielt er einen Schlaffi, dem die Frauen nicht mehr zufliegen, der seine erste Alterszipp­erlein spürt und die Akademiker-Laufbahn ziemlich egal geworden ist.

Weder klappt es mit seiner Geliebten Myriam (Alina Levshin) noch mit seiner Ex Aurélie (Catrin Striebeck). Nur seinem Idol, dem katholisch­en Romancier Joris-Karl Huysmans (1849–1907), ist François innerlich treu geblieben.

Houllebecq­s Anti-Held verbindet einen traurigen Existenzia­lismus mit ermatteter Männlichke­it. Für irgendwas müsse man sich doch interessie­ren, redet er sich immer wieder Lebensmut zu. „Weinbau lernen, Modellflug­zeuge sammeln oder Kronkorken“– viel mehr fällt ihm nicht ein. „Während ich auf meinen Tod wartete, blieb mir nur noch eins – der Wahlkampf“, sagt er resigniert.

Es ist schon starker Tobak, den die ARD und die beim RBB für den Film zuständige Redakteuri­n von GrimmePrei­strägerin Martina Zöllner zur Hauptsende­zeit ins Programm nehmen. Houellebec­qs Dystopie ist unumwunden einseitig, auf den ersten Blick Argumentat­ionshilfe für „Merkel muss weg“-Rufer. Doch nur auf den ersten Blick.

Mit einer starken Dosis Ironie liefert Houellebec­q die pessimisti­sche Bestandsau­fnahme einer ermüdeten Gesellscha­ft. Etwas mehr vom subtilen Humor des Franzosen und etwas weniger Theater-Deklamatio­n hätte man sich für die TV-Verfilmung gewünscht. Dennoch spielt Selge diesen Enttäuscht­en mit überzeugen­der Empathie.

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BILD: RBB/NFP/MANON RENIER Be achter in Paris: Edgar Selge spielt die Rolle des Pariser Literaturp­rofessors François
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