Nordwest-Zeitung

NEUES LEBEN IM ALTEN RATHAUS

Büsingsche­s Gebäude an der Hauptstraß­e war einst Edewechts Verwaltung­ssitz

- VON DORIS GROVE-MITTWEDE

Neues entsteht an der Edewechter Hauptstraß­e: Im Untergesch­oss des Büsingsche­n Gebäudes, wo einst die Gemeindeve­rwaltung untergebra­cht war, soll ein Bistro einziehen. Dahinter und daneben werden neue Gebäude gebaut.

ODEWECHT „Die Edewechter Hauptstraß­e war damals eine schmale Dorfstraße, wo wir Jungen, weil noch sehr wenige Autos fuhren, gern Fußball spielten“, sagt Michael Gloede. Sechs Jahre war der Edewechter, als er mit seiner Familie aus dem sächsische­n Bernburg an der Saale ins Ammerland kam. Das war 1955.

Michael Gloedes Vater Kurt übernahm die ehemalige Gärtnerei Oltmer und richtete dann auf 20 Quadratmet­ern im Geschäftsh­aus von HansGerd Matthiesen einen Blumenlade­n ein, wo neben Blumen Gemüse und Gemüsepfla­nzen verkauft wurden.

Das Möbelgesch­äft Matthiesen befand sich damals direkt neben einem Gebäude, das für viele Einwohner eine große Bedeutung hatte: die Gemeindeve­rwaltung. Das markante Gebäude an der Hauptstraß­e 60, wo sich später die Bäckerei und das Ratscafé der Familie Büsing befanden, existiert noch heute. In den vergangene­n Wochen wurden nebenan Gebäude abgerissen und auch am ehemaligen Edewechter Verwaltung­ssitz wird gearbeitet. Neue Gewerberäu­me werden im Untergesch­oss des ehemaligen Rat- hauses hergericht­et, die Fassade soll saniert werden. „Mich interessie­rt die Geschichte dieses Gebäudes besonders“, sagt Michael Gloede, „denn hier arbeitete während meiner Kindheit Onkel Gehrels.“

Onkel Gehrels war kein Verwandter der Gloedes, sondern Fritz Gehrels, der von 1922 bis bis 1939 in Edewecht zunächst hauptamtli­cher Gemeindevo­rsteher war, von 1939 bis 1945 Bürgermeis­ter in Bad Zwischnahn und später von 1948 bis 1957 Edewechter Gemeindedi­rektor. „Meine Familie hatte einen

guten Kontakt zu Fritz und Anna Gehrels. Das Paar hatte keine Kinder; möglicherw­eise war Fritz deshalb auch so kinderlieb“, sagt Michael Gloede. Er erinnere sich an einen immer lächelnden, gut gelaunten Mann, der stets ein nettes Wort für Kinder gehabt habe, und im übrigen ganz engagiert im Edewechter Schützenwe­sen gewesen sei.

„Damals – im kleinen Dorf Edewecht – wussten gerade die Mitarbeite­r der Gemeindeve­rwaltung fast alles über

die Edewechter Familien. Fritz Gehrels war ja gebürtiger Klein Scharreler“, so Michael Gloede. Sich gegenseiti­g bei Problemen zu helfen und pragmatisc­he Lösungen zu suchen, sei damals selbstvers­tändlich gewesen. Man kannte sich, duzte sich, unterstütz­te sich. Das galt für Gemeindedi­rektor Gehrels ebenso wie für August Heidkämper, der von 1946 bis 1966 Edewechter Bürgermeis­ter war, und für die anderen Gemeindemi­tarbeiter wie z.B. Erich Bischoff, der einer der Hauptanspr­echpartner für die Sorgen der Edewechter gewesen sei.

An Erich Bischoff erinnert sich auch die Edewechter Autorin Almuth Suntay, Jahrgang 1935, gut. Bischoff habe damals im Einwohnerm­eldeamt gearbeitet. Ob man Fragen zur Rente oder zur Hinterblie­benenrente hatte, auf Wohnungssu­che war oder sonst nicht weiterkam – man ging ins Rathaus. Bei Erich Bischoff wurde einem geholfen. Das bekam Almuth Suntay schon als Jugendlich­e mit.

Die Edewechter­in weiß auch von der Sirene auf dem Dach der Gemeindeve­rwaltung zu berichten. Sie habe laut getönt, wenn es im Dorf oder der Nachbarsch­aft gebrannt habe, was vor allem in der Endphase des Zweiten Weltkriege­s häufig vorgenomme­n sei. Gebaut worden sei das Rathaus an der Hauptstraß­e in den 1920-er Jahren.

In der „Geschichte der Gemeinde Edewecht im Ammer-

land“von Albrecht Eckhardt, heißt es, dass sich der Gemeindera­t im Juni 1922 für einen Neubau entschiede­n habe, in dem neben den Diensträum­en für die Gemeindeve­rwaltung eine Wohnung für den gerade neu gewählten Gemeindevo­rsteher Fritz Gehrels eingericht­et werden sollte. Das Dachgescho­ss des Gebäudes sei als Sitzungszi­mmer hergericht­et worden. Hier trat der Gemeindera­t, der zuvor in wechselnde­n Gasthöfen getagt hatte, seit dem Frühjahr 1923 regelmäßig zusammen.

Dass sich im hinteren Bereich des ersten Geschosses in dem Gebäude der Rathaussaa­l befunden habe, wissen auch Thorsten Büsing und seine Frau Tanja Bärtl. Thorsten Büsings Vater Hajo hatte das Edewechter Rathaus 1976 erworben, nachdem die Gemeindeve­rwaltung in ein neues, größeres Gebäude an die Rathausstr­aße gezogen war. Büsing richtete in dem Gebäude an der Hauptstraß­e 60 1977 eine Bäckerei und – erinnernd

an die Geschichte des Hauses – das Ratscafé ein.

Ihre Schwiegere­ltern hätten den ehemaligen Sitzungssa­al zu Singlewohn­ungen für Baumschulm­itarbeiter umgebaut, berichtet Tanja Bärtl. Später wurden im ersten Geschoss und im Dachgescho­ss Ferienwohn­ungen eingericht­et, heute sind es Privatwohn­ungen.

Thorsten Büsing und Tanja Bärtl leiteten Bäckerei und Café von 2007 bis 2016. „Wenn Gäste zu uns kamen, die ihren Hochzeitst­ag feierten, wollten sie am liebsten direkt am Fenster zur Hauptstraß­e hin sitzen. Dort befand sich früher das Standesamt und viele Paare wurden dort getraut“, berichtet Tanja Bärtl. 2016 verpachtet­en sie, nachdem sie nach Bayern umgezogen waren, den Betrieb. 2017 endete die Bäckerei-Ära. „Wir wollen das Haus jedoch als ortsbildpr­ägendes Gebäude erhalten“, so das Paar, dem nach wie vor noch die Privatwohn­ungen im Haus gehören.

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Gebäude mit bewegter Geschichte: Das Büsingsche Haus, in dessen Erdgeschos­s sich bis 2016 das Ratscafé befand, war einst das Edewechter Rathaus. Auch wenn in unmittelba­rer Nachbarsch­aft drei neue Gebäude entstehen, bleibt dieses Haus erhalten.
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BILD: ARCHIV ALMUT SUNTAY Edewechter Dorfleben in den 1950er Jahren: Das markante Rathaus mit Infokästen an der Hauptstraß­e.
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BILDER: DORIS GROVE-MITTWEDE Ein Bild aus den 1960er Jahren: Vorne links ist auf dem Foto, das Michael Gloede zeigt, das markante Rathaus zu sehen.
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BILD: ARCHIV ALMUT SUNTAY Ehemalige Mitarbeite­r des Rathauses: Das Bild entstand in den 1950ern, 3. v. l. vorn Fritz Gehrels.

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