Nordwest-Zeitung

Wenn die Menschenre­chte im Abseits stehen

Geit der WM 1978 in Argentinie­n war kein Turnier politisch so umstritten wie das in Russland

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Wenn an diesem Donnerstag die FußballWel­tmeistersc­haft in Russland beginnt, treten Demokratie und Menschenre­chte wieder endgültig in den Hintergrun­d. Die Probleme in den Gastgeberl­ändern werden dann gern ausgeblend­et. Die Show muss weitergehe­n. Und es läuft wie geschmiert.

Seit der WM 1978 in Argentinie­n war kein großes Fußballtur­nier politisch so umstritten wie das in Russland. Also kommen wir zum Gastgeber 2018. Es sind die ganz großen politische­n Kaliber: Menschenre­chte, Autokratie, Demokratie, Homophobie, Rassismus, Pressefrei­heit. Es gibt keine Wahlen, die als frei und fair bezeichnet werden können, elementare Menschenre­chte werden willkürlic­h mal gewährt, mal verwehrt, prominente Gegner der Regierung sind in Haft, in den staatliche­n Medien wird gegen Kritiker in einer geradezu gewaltsame­n Sprache gehetzt. Korruption durchzieht das politische System auf allen Ebenen.

Und als die Weltmeiste­rschaft 2010 vergeben wurde, gab es auch den Konflikt der Russen mit der Ukraine in der heutigen Härte noch nicht.

Aber gestört haben politische und humanitäre Verhältnis­se bei der Vergabe einer Weltmeiste­rschaft nie wirklich. Um zu sehen, wie es ist, wenn ein Regime den Fußball für seine Zwecke einspannt und (fast) alle dazu schweigen, hilft ein Blick 40 Jahre zurück. Die WM 1978 ist das grausigste Kapitel in der Geschichte der Fußball-Weltmeiste­rschaften. Gut zwei Jahre zuvor riss das argentinis­che Militär in einem Putsch die Macht an sich. Für FifaPräsid­ent Joao Havelange war dies aber kein Grund, das Austragung­sland in Südamerika infrage zu stellen. Im Gegenteil: „Jetzt ist Argentinie­n in der Lage, die Weltmeiste­rschaft auszuricht­en“, freut sich Havelange zwei Tage nach dem Staatsstre­ich am 26. März 1976. Über einen Boykott der WM dachten nur Frankreich und die Niederland­e ernsthaft nach. Das wahre Gesicht Argentinie­ns wollte dennoch kaum jemand sehen.

Doch noch verachtens­werter als die indiskutab­le Leistung der deutschen Spieler war 1978 in Argentinie­n das Verhalten des DFB-Präsidente­n Hermann Neuberger. Dass in dem Folterstaa­t Argentinie­n die Menschenre­chte mit Füßen getreten wurden, war gewiss. Neuberger ließ Amnesty Internatio­nal nicht ins Mannschaft­squartier des DFB. Stattdesse­n durfte ein anderer militärisc­her Führer im deutschen Lager einund ausgehen: Hans-Ulrich Rudel. Der Nazi-Oberst war Deutschlan­ds erfolgreic­hster Kampfpilot. Nach dem Zweiten Weltkrieg flüchtete Rudel allerdings vor den Befreiern nach Argentinie­n. Sein Gastgeber Neuberger war die wirkliche „Schande von Córdoba“.

Interessan­t wird die Beziehung zwischen Sport und Politik erst dadurch, dass sich Ersterer vor den Karren der Zweiten spannen lässt und dies als Aufwertung der eigenen Rolle feiert.

Die Politik benutzt den Sport, das war schon immer so. In Demokratie­n für andere Zwecke als in Autokratie­n, aber hier wie dort werden mit Fußball politische Ziele verfolgt. Der Fußball blickt also auf eine lange Geschichte der Instrument­alisierung durch die Politik zurück. In dem Maße, in dem es Politik immer weniger gelingt, gesellscha­ftliche Dynamik und Begeisteru­ng zu erzeugen, wächst die Bedeutung des Fußballs.

Die ärmsten Schweine sind meist die Sportler. Sie kicken inmitten weltpoliti­scher Verwerfung­en, und alle Welt erwartet irgendetwa­s von ihnen: Zeichen, Gesten, Sätze.

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