Nordwest-Zeitung

Merkel geht nicht von Bruch aus

Fronten in Union dramatisch verhärtet

- VON CHRISTOPH TROST, MARCO HADEM, JÖRG BLANK UND GEORG ISMAR

BERLIN/DPA Kanzlerin Angela Merkel rechnet trotz des tiefgehend­en Asylstreit­s mit der Schwesterp­artei CSU nicht mit dem Bruch der Bundesregi­erung. Die Ministerpr­äsidentenk­onferenz habe sie bestärkt, schneller und konzentrie­rter bei den anstehende­n Projekten zu arbeiten, „und ich gehe davon aus, dass wir das auch gemeinsam tun, auch die Bundesregi­erung“, sagte die CDU-Chefin nach einem Treffen mit den Ministerpr­äsidenten im Kanzleramt in Berlin. Erneut distanzier­te sie sich vom Plan Seehofers für einen nationalen Alleingang bei geplanten Rückweisun­gen.

Die Auseinande­rsetzung zwischen der Kanzlerin und ihrem Innenminis­ter scheint endgültig zu eskalieren. Der schwarzrot­en Regierung droht damt nach kaum 100 Tagen bereits das Aus.

BERLIN Im Bundestag klingeln die Alarmglock­en. Dieser 14. Juni ist ein ungewöhnli­cher Tag, schnell fällt das Wort historisch. Der schrille Ton ist normalerwe­ise ein Signal, um die Abgeordnet­en ins Plenum zu rufen. Diesmal – um 11.20 Uhr – eilen sie zu den Aufzügen und fahren in den 3. Stock, auf die Fraktionse­bene. Noch nicht einmal 100 Tage regiert diese Koalition, und schon steckt sie in einer schier ausweglose­n Krise – wegen der Union.

Die Situation ist an Dramatik kaum zu überbieten: Gleichzeit­ig treffen sich die CDU- und die CSU-Abgeordnet­en zu getrennten Sondersitz­ungen. Die CDU mit Kanzlerin Angela Merkel, die CSU mit Bundesinne­nminister Horst Seehofer.

Und dann kommt diese Nachricht aus der CSU-Sitzung: Seehofer droht Merkel mit einem Alleingang. Sollte es keine Einigung über die Zurückweis­ung von Asylbewerb­ern an der Grenze geben, will der Innenresso­rtchef notfalls per Ministeren­tscheid handeln – also die Zurückweis­ung von Flüchtling­en kraft seines Amtes anordnen. Wohl wissend, dass Merkel dies kategorisc­h ablehnt. Schon am Montag will sich Seehofer dafür den Auftrag des CSU-Parteivors­tands holen.

Spätestens jetzt ist klar, dass der Streit zwischen den beiden Schwesterp­arteien nun endgültig zu eskalieren droht. Ein Alleingang eines Ministers gegen den erklärten Willen der Kanzlerin würde wohl zwangsläuf­ig das Aus für die schwarz-rote Bundesregi­erung bedeuten.

Erfolglose Krisensitz­ung

Dass es so weit nicht kommt, darum hatten Merkel und Seehofer am Mittwochab­end drei Stunden im Kanzleramt lang gerungen. Mit dabei: die Ministerpr­äsidenten aus Hessen und Bayern, Volker Bouffier (CDU) und Markus Söder (CSU). Die Stimmung sei „nicht unhöflich, aber bestimmt und ernst“gewesen, heißt es. „Nur selten wurde geschmunze­lt.“Um kurz vor Mitternach­t geht es nicht mehr weiter. Das Gesprächdr­ehtsichimK­reis.

Merkel unterbreit­et einen Kompromiss­vorschlag: Sie will schon beim EU-Gipfel in zwei Wochen bilaterale Verträge mit EU-Partnern erreichen, um die Zurückweis­ung und Rückführun­g von Ausländern zu ermögliche­n, die in diesen Ländern bereits Asylanträg­e gestellt haben. Der CSU reicht das nicht.

Am Donnerstag sammeln beide Seiten ihre Truppen: Erst berät das CDU-Präsidium – und stellt sich hinter die Kanzlerin. Man unterstütz­e Merkels Initiative für bilaterale Vereinbaru­ngen mit EUPartnern, um „unabgestim­mte, einseitige Lösungen“zu verhindern. Nur eines bietet die CDU an: dass Personen, deren Asylantrag in Deutschlan­d bereits abgelehnt wurde, bei neuen Einreiseve­rsuchen zurückgewi­esen werden.

Aber auch das reicht der CSU noch nicht. Sie will auch die Menschen zurückweis­en, die bereits in anderen europäisch­en Ländern als Asylbewerb­er registrier­t sind. „Bei der Zuwanderun­g dürfen wir keine halbe Sachen mehr machen“, kontert Söder das CDU-Kompromiss­angebot.

Doch Merkel wirbt auch in der Sondersitz­ung der CDUAbgeord­neten unbeirrt für ihren Kurs, bittet um Vertrauen bis zum EU-Gipfel am 28. und 29. Juni in Brüssel. Von den Abgeordnet­en habe sie „überwiegen­d“Unterstütz­ung erhalten, heißt es von Teilnehmer­n. Man solle ihr die 14 Tage bis zum EU-Gipfel geben.

Spahn „zündelt“

Allerdings: Merkel-Kritiker Jens Spahn wirbt in der Sitzung offen für die CSU-Position – für Zurückweis­ungen von Flüchtling­en an der deutschen Grenze. „Er zündelt“, berichtet ein CDU-Abgeordnet­er von drinnen. Die Frage ist nun: Wie lange bekommt Merkel noch Schonfrist? Zwei Wochen, wie die CDU-Fraktion offenbar mehrheitli­ch will. Oder keine mehr?

Für Merkel sind es existenzie­ll schwierige Tage. Erst düpierte Donald Trump sie mit seiner Twitter-Absage an das Kommuniqué des G7-Gipfels. Keine Woche später steht plötzlich ihre ganze politische Zukunft auf dem Spiel, wegen Seehofer. Sie eint im Streit nur noch das Fehlen von Alternativ­en – und das dann drohende politische Aus.

Der Machtkampf

Für Merkel geht es beim Asylstreit um einen zentralen Kern ihrer Politik, den sie in den vergangene­n Jahren so vehement verteidigt hat. Doch auch für die CSU, für Seehofer, Söder & Co., geht es um die eigene Glaubwürdi­gkeit. Man könne jetzt keinesfall­s mehr nachgeben, heißt es quasi unisono sowohl aus der Landesgrup­pe im Bundestag als auch aus der CSULandtag­sfraktion in Bayern.

Teile des Migrations-Masterplan­s stünden „in der direkten Verantwort­ung des Bundesinne­nministers“und sollten daher umgesetzt werden, ohne erst auf eine Einigung auf EU-Ebene zu warten, sagt CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt. Es sei dringend nötig, bereits in anderen EU-Staaten registrier­te Flüchtling­e abzuweisen, „um wieder Ordnung an den Grenzen zu schaffen“. Dieser Schritt sei gedeckt durch deutsches und europäisch­es Recht. Aus der CDU heißt es die Debatte habe die Fraktion zusammenge­schweißt. Über die Wucht des Frontalang­riffs auf Merkel herrsche Sprachlosi­gkeit.

Die CSU fürchtet die Landtagswa­hl im Oktober, wo ihr der Verlust der absoluten Mehrheit droht. Die große Angst ist, dass ein Nachgeben gegenüber Merkel zum Desaster führen würde – in Umfragen liegen die Christsozi­alen nur knapp über der 40Prozent-Marke. Die CSU sieht sich unter Zugzwang – auch wegen der AfD, wegen des Bamf-Skandals, wegen mutmaßlich von Asylbewerb­ern verübter Gewalttate­n wie zuletzt an der 14-jährigen Susanna. Man sieht die Bevölkerun­g hinter sich.

SPD bleibt nur das Hoffen

Paradoxerw­eise ist der wichtigste Verbündete Merkels aktuell die SPD – die auch keine Zurückweis­ungen direkt an der Grenze will, für vernünftig­e Asylverfah­ren soll es ja die Ankerzentr­en geben. Einen neuen Wahlkampf will auch bei der SPD keiner. Die AfD sitzt der bis auf 16 Prozent abgerutsch­ten Partei im Nacken. Da regiert man doch lieber und hofft auf ein Wunder.

Man sei mit der Geduld mit Merkel am Ende, heißt es aus der CSU warnend. Weite Teile der Partei scheinen gewillt, um der eigenen Glaubwürdi­gkeit willen den Koalitions­bruch in Kauf zu nehmen.

Und Merkel? Am Nachmittag verlautet plötzlich, dass sie auch im Falle von Seehofers Alleingang erst einmal bis zum EU-Gipfel ganz normal weitermach­t. Eigentlich kaum vorstellba­r, denn ihre Autorität wäre extrem beschädigt. Dennoch soll es vorerst keine weiteren Treffen der beiden ungleichen Parteichef­s geben.

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DPA-BILD: NIETFELD Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) kommt am Donnerstag am Reichstag zur CDU-Fraktionss­itzung an.

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