Warmloser Spaß oder Krankheit?
Kontroverse um Online-Spielsucht – Weltgesundheitsorganisation legt Bericht vor
Fast jeder zweite Deutsche spielt. Doch wenn das Gedaddel überhand nimmt, wird es problematisch.
GEN8 Es sind schon Leute nach 20, 30 Stunden nonstop Computerspielen tot umgefallen. Ein 24-Jähriger in Shanghai 2015 etwa, der 19 Stunden bei „World of Warcraft“online war, oder 2012 ein Teenager in Taiwan, der 40 Stunden ohne UnterbreAngaben
chung „Diablo 3“gespielt hatte. Anfang letzten Jahres starb ein 35-Jähriger in Virginia Beach in den USA bei einem „World of Tanks“-Marathon.
Solche Extremfälle sind selten. Aber Ärzte schlagen nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Alarm, weil sie immer öfter spielsüchtige Patienten sehen. Die „Internationale Klassifikation der Krankheiten“(ICD-11) kommt am 18. Juni heraus. Manche Wissenschaftler sind skeptisch – oder auch spöttisch.
Wer beim Spielen schon mal etwas Anderes habe schleifen lassen – Hausputz, Aufräumen oder andere lästige Arbeit – müsse dringend zum Arzt, ätzte der Kommunikationswissenschaftler Thorsten Quandt sarkastisch, als die Pläne der WHO vor einem Jahr ans Licht kamen. „Sie könnten ernsthaft krank sein! ... Den umtriebigen Blogger von nebenan sollten Sie vorsorglich auch melden, damit er zwangseingewiesen wird.“
Viel Online-Spielen als Sucht zu definieren, könne zum Dammbruch werden, warnt er: „Von Handy-Sucht bis Social-Media-Depression wäre vieles als eigenständige Medien-Krankheit denkbar. In der Folge wären zahlreiche Kinder, Jugendliche und Erwachsene qua Definition von heute auf morgen therapiebedürftig.“
Der Psychologe Andy Przybylski von der Universität Oxford warnte mit rund 30 Kollegen in einem offenen Brief vor dem WHO-Schritt. „Es besteht das Risiko, dass solche Diagnosen missbraucht werden“, schrieben sie. Geprüft werden müsse, ob bei exzessiv spielenden Patienten nicht eher zugrundeliegende Probleme wie Depression oder soziale Angststörungen behandelt werden müssten.
Vladimir Poznyak vom WHO-Programm Suchtmittelmissbrauch sieht das ganz anders. „Es gibt klare Grenzen zwischen normalem Spielen und Spielsucht“, sagt er.