Wir wollen uns selbst abschaffen
Kai Bölle ist Sprecher des CSD Nordwest. Warum es immer noch wichtig ist, zu demonstrieren, verrät er im Interview.
FRAGE: Noch nie waren so viele Menschen beim CSD in Oldenburg – woran liegt das? BÖLLE: Auf der einen Seite haben wir selbst dazu beigetragen, denn wir haben über die Jahre immer wieder mit vielen das Gespräch gesucht. Wir sehen aber auch, dass viele Menschen unbedingt für Akzeptanz und Vielfalt auf die Straße gehen wollen, weil sie nicht wollen, dass die Gesellschaft wieder Rückschritte macht. Und vielleicht ist dieser CSD auch einfach so aufgemacht, dass viele Menschen sich hier einfach wohlfühlen. FRAGE: Gesetzlich ist zuletzt viel erreicht worden. Warum demonstriert ihr weiter? BÖLLE: Wir hatten eine Podiumsdiskussion zu Akzeptanz und Diskriminierung im Sport, wo ein Teilnehmer gefordert hat, dass Trainer dafür ausgebildet werden müssten, dass sie eine Mannschaft vorbereiten können, wenn sich ein Spieler outen will. Auf was denn bitte vorbereiten? Der Spieler ist weder ansteckend, noch gewalttätig. Wenn es echte Akzeptanz gibt, dann fällt diese ganze Thematik weg. Und dafür gehen wir auf die Straße. FRAGE: Wird der CSD denn irgendwann einmal nicht mehrnötigsein?
BÖLLE: Tatsächlich ist unsere Grundhaltung, dass wir das Ziel haben, uns selber abzuschaffen – wir möchten uns überflüssig machen. Das wird in meinem Leben nicht mehr passieren. Man muss sich nur mal die Frauenbewegung anschauen: Die kämpft seit mehr als 100 Jahren für Gleichberechtigung. Deswegen glaube ich, dass auch wir noch viele Jahrzehnte kämpfen müssen. Wir sind zudem immer eine Minderheit – und deshalb müssen wir auch immer wieder auf uns aufmerksam machen, damit das Erreichte nicht wieder wegbricht. FRAGE: Ist es gesellschaftlich zuletzt wieder ungemütlicher geworden? BÖLLE: Auf der einen Seite stellen wir fest, dass sich vor allem auch hier in Oldenburg wahnsinnig viele Türen öffnen. Doch das hängt auch damit zusammen, dass es ungemütlicher geworden ist, weil am blauen Rand der Politik etwas aufgetaucht ist. Das zeigt den Leuten, dass es eine starke Bewegung gibt, die wieder zurück in eine ganz anderen Welt will. Und dagegen positionieren sich jetzt viele Menschen und sagen: „Das wollen wir nicht.“