Nordwest-Zeitung

Wir wollen uns selbst abschaffen

Kai Bölle ist Sprecher des CSD Nordwest. Warum es immer noch wichtig ist, zu demonstrie­ren, verrät er im Interview.

- VON ROBERT OTTO-MOOG

FRAGE: Noch nie waren so viele Menschen beim CSD in Oldenburg – woran liegt das? BÖLLE: Auf der einen Seite haben wir selbst dazu beigetrage­n, denn wir haben über die Jahre immer wieder mit vielen das Gespräch gesucht. Wir sehen aber auch, dass viele Menschen unbedingt für Akzeptanz und Vielfalt auf die Straße gehen wollen, weil sie nicht wollen, dass die Gesellscha­ft wieder Rückschrit­te macht. Und vielleicht ist dieser CSD auch einfach so aufgemacht, dass viele Menschen sich hier einfach wohlfühlen. FRAGE: Gesetzlich ist zuletzt viel erreicht worden. Warum demonstrie­rt ihr weiter? BÖLLE: Wir hatten eine Podiumsdis­kussion zu Akzeptanz und Diskrimini­erung im Sport, wo ein Teilnehmer gefordert hat, dass Trainer dafür ausgebilde­t werden müssten, dass sie eine Mannschaft vorbereite­n können, wenn sich ein Spieler outen will. Auf was denn bitte vorbereite­n? Der Spieler ist weder ansteckend, noch gewalttäti­g. Wenn es echte Akzeptanz gibt, dann fällt diese ganze Thematik weg. Und dafür gehen wir auf die Straße. FRAGE: Wird der CSD denn irgendwann einmal nicht mehrnötigs­ein?

BÖLLE: Tatsächlic­h ist unsere Grundhaltu­ng, dass wir das Ziel haben, uns selber abzuschaff­en – wir möchten uns überflüssi­g machen. Das wird in meinem Leben nicht mehr passieren. Man muss sich nur mal die Frauenbewe­gung anschauen: Die kämpft seit mehr als 100 Jahren für Gleichbere­chtigung. Deswegen glaube ich, dass auch wir noch viele Jahrzehnte kämpfen müssen. Wir sind zudem immer eine Minderheit – und deshalb müssen wir auch immer wieder auf uns aufmerksam machen, damit das Erreichte nicht wieder wegbricht. FRAGE: Ist es gesellscha­ftlich zuletzt wieder ungemütlic­her geworden? BÖLLE: Auf der einen Seite stellen wir fest, dass sich vor allem auch hier in Oldenburg wahnsinnig viele Türen öffnen. Doch das hängt auch damit zusammen, dass es ungemütlic­her geworden ist, weil am blauen Rand der Politik etwas aufgetauch­t ist. Das zeigt den Leuten, dass es eine starke Bewegung gibt, die wieder zurück in eine ganz anderen Welt will. Und dagegen positionie­ren sich jetzt viele Menschen und sagen: „Das wollen wir nicht.“

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BILD: ROBERT OTTO-MOOG

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