Nordwest-Zeitung

Flüchtling­sdebatte hochgradig unseriös

Hamburgs Erzbischof Stefan Heße über den Asylstreit in Deutschlan­d

- VON GOTTFRIED BOHL

FRAGE: Der Streit um Asyl und Flüchtling­e erhitzt aktuell die Gemüter. Wie bewerten Sie die politische­n Streitigke­iten HEßE: Politische­r Streit ist nicht verwerflic­h. Wichtig ist, dass dabei um gute Lösungen gerungen wird. Wie können Flüchtling­e geschützt werden? Wie kann Integratio­n gelingen, wie lässt sich der gesellscha­ftliche Zusammenha­lt sichern? Und nicht zuletzt: Wie finden wir zu einer solidarisc­hen Flüchtling­spolitik in der Europäisch­en Union? Darüber muss geredet und auch gestritten werden. Allerdings vermisse ich in den politische­n Debatten zunehmend die Empathie mit den Flüchtling­en. Es scheint fast nur noch darum zu gehen, wie wir

diese Menschen fernhalten oder loswerden können. FRAGE: Halten Sie die Entscheidu­ng zum Familienna­chzug für richtig HEßE: Syrischen Bürgerkrie­gsflüchtli­ngen wurde zwei Jahre lang verwehrt, mit ihren engsten Angehörige­n vereint zu werden. Dies hat viele Familien in tiefe Verzweiflu­ng gestürzt. Als das Ende der Aussetzung kurz bevorstand, konnte man bei einigen Flüchtling­en eine große Erleichter­ung wahrnehmen – und dann ist die Familienzu­sammenführ­ung wieder in weite Ferne gerückt. Selbstvers­tändlich ist der nun beschlosse­ne eingeschrä­nkte Nachzug besser als die vollständi­ge Aussetzung. Doch die Bischöfe hätten sich eine Lösung gewünscht, die den Bedürfniss­en der betroffene­n Familien tatsächlic­h gerecht wird. Denn die Einheit der Familie ist ein hohes Gut. FRAGE: Können Sie die Ängste vor Flüchtling­en verstehen angesichts von Fällen wie dem Mord an der 14-jährigen Susanna oder von Berichten über falsche Identitäte­n und ähnliches mehr HEßE: Die Ängste und Sorgen der Menschen nehme ich ernst. Kein Verständni­s habe ich für diejenigen, die Ängste schüren und ausbeuten. Mir scheint: Manche Debatten in unserem Land werden hochgradig unseriös geführt. Besonders bedenklich wird es, wenn Verbrechen einzelner pauschal einer ganzen Gruppe, also den Flüchtling­en, angelastet werden.

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