Schlaflos in Deutschland
200 000 Fehltage wegen Schlafstörungen
Heute ist der Tag des Schlafs – und Forscher schlagen Alarm: )eutschland ist eine übermüdete Nation.
BERLIN Der frühe Vogel fängt den Wurm und Morgenstund’ hat Gold im Mund? Nicht für Schlafforscher Hans-Günter Weeß. „Wir sind eine Gesellschaft, die den Schlaf nicht schätzt“, kritisiert der Psychologe, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Im Ergebnis sei Deutschland im Vergleich zu Nachbarländern eine übermüdete Nation. Eine Bilanz zum „Tag des Schlafs“M SCHLAFLOS IN ZAHLEN
Wenn ein Mensch in einem Monat an mindestens drei Nächten in der Woche kaum einschlafen oder durchschlafen kann, braucht er nach Ansicht von Schlafforschern Hilfe. „Entscheidend ist, ob es am nächsten Tag zu Beeinträchtigungen kommt, zum Beispiel bei Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnisleistung“, sagt Weeß. „Deutliche Anzeichen für Übermüdung sind auch Gereiztheit, Kopfschmerzen und
Magen-Darm-Probleme.“Nach Studien der DGSM leiden in Deutschland sechs Prozent der Bevölkerung an chronischen Schlafstörungen N das sind rund 4,8 Millionen Menschen. SCHLAFBEDÜRFNIS
Für Forscher geben bei jedem Menschen die Gene vor, wie viel Zeit er im Bett verbringt. Für die meisten Menschen liege das zwischen sechs und acht Stunden. Einige brauchen aber noch mehr, andere weniger Schlaf. Der individuelle Biorhythmus lasse sich nicht austricksen. Ein erzwungenes Leben gegen die innere Uhr münde meist in Erschöpfung. SCHULE
In Deutschland beginnt sie meist zwischen 7 und 8 Uhr N deutlich früher als in vielen Nachbarländern. „Wenn wir unser Bildungssystem reformieren wollen, sollten wir ernsthaft darüber nachdenken, die Schule später beginnen zu lassen“, sagt Weeß. Studien hätten belegt, dass vor allem Teenager Mathematik-Aufgaben um neun oder zehn Uhr deutlich besser lösten als um acht Uhr. ARBEITSWELT
In Umfragen sprechen sich zwei Drittel der Eltern gegen
einen späteren Schulbeginn aus, weil sie in ihren Berufen keine flexiblen Arbeitszeiten haben. „Daran sehen wir, dass das ein gesamtgesellschaftliches Problem ist“, sagt Weeß. „Dabei brauchen wir alle mehr Schlaf. Wir müssen die Arbeitswelt anpassen.“Im Moment passiere aber eher das Gegenteil. Es gebe laut Studien pro Jahr rund 200 000 Fehltage auf Grund von Schlafstörungen. UNFÄLLE
Zu wenig Schlaf ist Gift hinterm Steuer. Das relative Risiko, einen Unfall zu bauen, potenziere sich allein schon beim Fahren zwischen zwei und fünf Uhr nachts um das Fünffache, sagt Maritta Orth, Schlafmedizinerin und Lungenfachärztin. Denn in dieser Zeit liege das absolute Leistungstief. APNOE
Sie ist die bekannteste Schlafstörung und oft mit heftigem Schnarchen verbunden. Patienten kommen durch mehr als 15 Atemaussetzer pro Stunde nachts nicht in den nötigen Tiefschlaf hinein, bei dem sich der Körper erholt. Zusätzlich fehlt ihnen der Traumschlaf für die seelische Erholung. Dieser Schlafmangel wird am Tag nachgeholt N Betroffene nicken dabei auch
gegen ihren Willen ein. DIE FOLGEN
Rund 80 verschiedene Schlafstörungen sind bekannt. Ihr Zusammenhang mit anderen Krankheiten werde zu häufig noch nicht gesehen, berichtet Orth. Schlafstörungen wie Apnoe können erhöhten Blutdruck, erhöhte Neigung zum Schlaganfall, Herzrhythmusstörungen und den plötzlichen Herztod begünstigen, weil sie Schäden an Gefäßen verursachen.
ZU VIELE PILLEN
Bis zu 1,9 Millionen Menschen in Deutschland nehmen nach Angaben der Fachgesellschaft regelmäßig Schlafmittel ein. Die Tabletten haben aber keine heilende Wirkung. Werden sie abgesetzt, ist die Störung sofort wieder da. DER KLEINE UNTERSCHIED
Frauen schlafen länger als Männer. Allerdings gelten sie durch hormonelle Schwankungen, Schwangerschaften und Menopause im Lauf ihres Lebens als anfälliger für Schlafstörungen. Eine große Rolle spielt die Psyche. „Frauen haben dünnere Grenzen“, sagt Weeß. „Sie lassen Probleme dichter an sich heran und nehmen sie leichter mit ins Bett.“