Sine Flucht aus dem echten Leben
Wie ein Oldenburger von einem Computerspiel süchtig wurde
S–hon das erste Log-in gab Oliver Poelmann einen Kick. Dann tauchte er für mehr als vier Jahre komplett in die Fantasiewelt von „World of Warcraft“ein.
OLD6N.U>" ZuE nLLl saß er bis zu 24 Stunden am Stück vor dem PC. Er ignorierte die Klingel an der Haustür oder sein Handy. Auch bei Familienfeiern verabschiedete er sich oft als Erster, die sozialen Kontakte wurden weniger. In Oliver Poelmanns Leben drehte sich für mehr als vier Jahre alles um das Spiel „World of Warcraft“. Er flüchtete aus der Realität in die Fantasiewelt des MultiplayerOnline-Rollenspiels.
Schon in seiner Jugend faszinierten den heute 38-jährigen Oldenburger PC-Spiele. Sie boten ihm oft einen Rückzugsort, wenn es mal Probleme gab. „In schwierigen Lebensphasen habe ich angefangen zu zocken“, sagt der gelernte Mediengestalter. „Da habe ich eben mein Ventil gesucht.“
Seiler, Gnome und Elfen
Als er 25 Jahre alt war, nahm das jedoch zu. Bis dahin hatten sich einige Probleme aufgestaut, die er nicht verarbeitet hatte, sagt er. Dann kam „World of Warcraft“Anfang 2005 auf den Markt. Als er sich zum ersten Mal einloggte, habe sich für ihn eine völlig neue Welt erschlossen – eine Welt aus Heilern, Gnomen, Nachtelfen und Orcs. Es habe ihm einen Kick gegeben. „Für mich war es dieser Kick, den andere Süchtige durch etwa Drogen bekommen.“
Schnell loggte er sich täglich ein – morgens saß er schon vor der Arbeit vor dem PC und abends von 18 Uhr bis Mitternacht oder länger. Für Oliver Poelmann war die
Sucht an die Beziehung zu seinem früheren Partner gekoppelt. Meistens verbrachten sie zusammen Zeit vor ihren Rechnern. An Wochenenden begannen sein Freund und er bereits um 8 Uhr morgens und spielten fast zwei Tage durch. Am Wochenende kam öfter Alkohol und viel Kaffee dazu – das Koffein hielt sie lange wach, berichtet er.
Unruhige Nächte
Was ihn damals an dem Spiel reizte? Er konnte dessen Charakter stetig weiterentwickeln. Das fand er faszinierend, denn mit seiner Entwicklung im echten Leben war er unzufrieden. Für seine Leistung im Spiel gab es Online viel Anerkennung, das steigerte sein Selbstwertgefühl. Zudem musste er sich währenddessen nicht mit seinen Problemen auseinandersetzen.
Schnell fand er sich in einem Kreislauf wieder, erklärt er. Sobald er das damalige Maximallevel erreichte, erstellte er sich einen neuen Charakter und begann von vorne. „Ich tauchte in diese Welt komplett ein.“
Neben seinem Tagesrhythmus wirkte sich das PC-Spielen auch auf seinen Schlaf aus. Nachts war er sehr unruhig. „Man denkt nur noch an Neustart: Oliver Poelmann möchte Suchtkranken helfen.
dieses Spiel.“Denn: die anderen Charaktere spielten weiter, selbst wenn er offline war. Irgendwann beeinflusste dann die Kombination aus dem extremen Spielen und wenig Schlaf seinen Körper. Er sah kränklich und blass aus – so sehr, dass seine Kollegen ihn darauf ansprachen. Doch auch da dachte er noch nicht ans Aufhören.
Der Wendepunkt: Als er beim Einkaufen im Supermarkt in seiner Heimatstadt Leer durch die Gänge lief, fühlte er sich wie in Watte in Zukunft anderen
gepackt – als wäre er in einer Traumwelt. Auf dem Weg nach Hause plagten ihn zudem Koordinationsschwierigkeiten. „Da habe ich gemerkt, dass ich übertrieben habe“, erinnert er sich an diesen Tag.
Nachdem Oliver Poelmann sich seiner Sucht bewusst wurde, suchte er das Gespräch mit seinem Partner. Von ihm kam jedoch keine Einsicht. Um aus dem Umfeld herauszukommen, trennte er sich und zog aus der gemeinsamen Wohnung aus. Das World-of-Warcraft-Spielen
>eallife 2.0
Seit Anfang 2017 versucht Oliver Poelmann, eine Selbsthilfegruppe in Oldenburg auf die Beine zu stellen. Mit Reallife 2.0 sollen sich die Teilnehmer in einem lockeren Umfeld selbst helfen, den Schwerpunkt ihres Lebens von der virtuellen Welt zurück in die reale Welt zu verlegen. Interessenten können mit dem Oldenburger zunächst ein Vorgespräch führen, bevor sie die Selbsthilfegruppe Reallife 2.0 besuchen. Kontakt gibt es per E-Mail unter mail@reallife2.de.
konnte er zunächst abstellen. Nach mehr als vier Jahren Online-Spielsucht lenkten ihn Offline-Spiele in der ersten Zeit ab. Auch der Rückhalt seiner Familie half ihm sehr. „Hätte ich sie nicht gehabt, wäre ich nicht so gut aus der Sucht herausgekommen.“Nach einem Jahr loggte er sich mal wieder ein, weil er dachte, er hätte seine Sucht unter Kontrolle. Das war ein trügerisches Gefühl. Schnell merkte er, dass ihm das Spiel ganz und gar nicht guttat.
Doch, dass der Weg aus der Abhängigkeit lang sein würde, sollte sich erst noch zeigen: Die Tragweite seiner Sucht wurde ihm beim Besuch einer Selbsthilfegruppe für Automatenspielsüchtige in Leer bewusst, auch wenn seine Abhängigkeit weniger mit Glücksspiel zu tun hatte. Oliver Poelmann erkannte dort, dass es ein jahrelanger Prozess ist, aus der Online-Spielsucht herauszukommen. Auch seinen Warcraft-Account löschte er daraufhin. Somit gab es für ihn kein Zurück mehr in die Fantasiewelt. Ende 2013 schmiss er auch seine DVDs zum Spiel weg. Darüber hinaus absolvierte er vor zwei Jahren eine systemische Therapie.
Auszeiten gönnen
Als „trockener“OnlineSpielsüchtiger will der Oldenburger auf keinen Fall das Spielen am Computer verteufeln. Das Fantasy-Rollenspiel „World of Warcraft“verurteilt er ebenfalls nicht. Er ist sich bewusst, dass er auch von jedem anderen Spiel hätte abhängig werden können. Heute spielt Oliver Poelmann auch noch Computer-Spiele – jedoch sehr selten und kein „World of Warcraft“mehr. „Ich achte sehr darauf was ich spiele.“
Seiner Nutzung von Facebook und anderen sozialen Netzwerken ist sich der 38Jährige bewusst. Komplett auf das Internet zu verzichten, sei heute aber nicht möglich. Doch: „Als Suchtmensch muss ich mir bewusst Auszeiten gönnen.“In seiner Freizeit konzentriert er sich somit auf andere Hobbys: Kochen, Fitness und Schwimmen.
Prägende Zeit
Beruflich hat Oliver Poelmann dieser Lebensabschnitt ebenfalls geprägt. Durch seine Online-Spielsucht realisierte er, dass er anderen helfen will. „Ich möchte in Zukunft mehr im Suchtbereich machen“, kündigt er an. Daher begann er vor drei Jahren mit der Ausbildung zum Suchtkrankenhelfer. Neben seiner Tätigkeit als Mediengestalter lässt er sich auch zum Suchtkrankenberater weiterbilden. Auch vor Schulklassen berichtet er von seiner Abhängigkeit von dem Spiel. „Aus der scheinbar negativen Situation ist so für mich etwas Positives entstanden“, erklärt Oliver Poelmann stolz sein „Happy-End“.