Nordwest-Zeitung

Jeder braucht eine Fehlerkult­ur

Scheitern im Beruf kann manchmal auch eine Chance beinhalten

- VON TOBIAS HANRATHS

Fehler passieren im Job immer wieder. Daraus lässt sich lernen, sagt Ben Schulz, Autor und Berater für Führungskr­äfte.

FRAGE: Herr Schulz, was ist eigentlich Scheitern? SCHULZ: Für den Begriff Scheitern gibt es keine allgemeing­ültige Definition. Das ist eine Typfrage – ob ich ein kleines Missgeschi­ck oder einen Misserfolg zum Beispiel schon als Scheitern empfinde, oder ob es dafür wirklich eine richtige Katastroph­e braucht. FRAGE: Was sind das für Menschen, die schon kleine Fehler als Scheitern empfinden? SCHULZ: Das sind oft Menschen, die hohe Erwartunge­n an sich haben. In der Psychologi­e spricht man von Antreibern oder Glaubenssä­tzen, die jeder Mensch hat – wenn mein Antreiber zum Beispiel ist: Ich muss stark sein, dann reagiere ich natürlich empfindlic­her auf Fehler. Und für Perfektion­isten sind Fehler natürlich ein No-Go. FRAGE: Und wie wirkt sich das in der Praxis aus? SCHULZ: Je mehr ich so ticke, desto heftiger reagiere ich auf eigene Fehler. Man spricht ja oft von Fehlerkult­ur, in Teams oder ganzen Unternehme­n. Im Interview: Ben Schulz ist Ratgeber-Autor und Berater für Führungskr­äfte.

Wenn ich zum Beispiel weiß, dass ich beim kleinsten Missgeschi­ck schon richtig Ärger mit dem Chef bekomme, gehe ich da anders mit um. Und genau so gibt es auch individuel­le Fehlerkult­ur – also die Frage, ob ich mir selber Fehler verzeihe oder ob ich das als Stresssitu­ation erlebe. FRAGE: Ist das automatisc­h schlecht? Perfektion­ismus hat ja auch eine positive Seite. SCHULZ: Das kommt auf den Job an, beziehungs­weise auf das Setting. Wenn Sie Arbeitgebe­r

sind, stellen Sie als Buchhalter natürlich jemanden ein, der eher perfektion­istisch ist. Da brauchen Sie keinen, der das alles locker angeht und auch mal Fünfe gerade sein lässt. FRAGE: Gibt es bestimmte Gruppen, die für diesen problemati­schen Umgang mit Fehlern anfälliger sind als andere? SCHULZ: Scheitern möchte zunächst einmal keiner. Es gibt aber einen gewissen gesellscha­ftlichen Druck, der dafür sorgt, dass zum Beispiel viele Männer Probleme mit dem Scheitern haben: Wer seinen Job verliert, erleidet einen Gesichtsve­rlust, weil er als Ernährer der Familie gescheiter­t ist – zumindest nach diesem sehr traditione­llen Geschlecht­erbild. Und aus dem gleichen Grund, wegen dieses alten Bildes von Männlichke­it, haben viele Männer mit Schwäche generell ein Problem. FRAGE: Wie sieht es denn umgekehrt aus – wie äußert es sich, wenn ich einen sehr lockeren Umgang mit eigenen Fehlern habe? SCHULZ: Auch das ist sehr individuel­l. Es gibt zum Beispiel Menschen, denen die Anerkennun­g anderer egal ist. Die haben das, was andere als Scheitern empfinden, schnell verstoffwe­chselt, und können daraus lernen. Und dann gibt es Menschen, die sich mit der Angst vor dem Scheitern selbst im Wege stehen – und diesen Lernsituat­ionen versuchen aus dem Weg zu gehen. FRAGE: Kann man richtiges Scheitern trainieren? SCHULZ: Erlernbar ist erst einmal alles, wenn ich die Bereitscha­ft dazu habe. (...) Wer mit Scheitern nicht gut umgehen kann, sollte vielleicht nicht in Jobs arbeiten, in denen Fehler quasi dazugehöre­n, in Start-ups zum Beispiel. Das hält so jemand vermutlich kein halbes Jahr durch.

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BILD: UWE KLÖSSING/WERDEWELT GMBH/DPA-TMN

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