Nordwest-Zeitung

Ueßba kiegene Zeitzeugen

Historiker­in wertet Quellen aus – Menschen wussten mehr

- VON JOACHIM GÖRES

Die xpertin Bianca Roitsch zeigt die Beziehung zwischen niedersäch­sischen KZs und deren Umgebung auf. Darüber schreibt sie ihre Doktorarbe­it an der Universitä­t Oldenburg.

OLDENBURG Menschen in der Umgebung der Konzentrat­ionslager Bergen-Belsen, Esterwegen und Moringen wussten nach Ansicht der Historiker­in Bianca Roitsch mehr über die Zustände in den Lagern, als sie zugeben wollten. „In örtlichen Zeitungen wurde über die KZs berichtet, außerdem konnte die Bevölkerun­g Häftlinge wie in Esterwegen auf ihren Märschen ins Moor sehen“, sagte sie.

Für ihre Doktorarbe­it an der Universitä­t Oldenburg habe sie Quellen aus der Zeit von 1933 bis 1960 ausgewerte­t, sagte Expertin Roitsch. Aus amtlichen Unterlagen gehe hervor, dass zahlreiche lokale Handwerker und Gewerbetre­ibende regelmäßig in Konzentrat­ionslagern gewesen seien, um sie mit Lebensmitt­eln zu beliefern oder Arbeiten auszuführe­n.

In den 1933 eingericht­eten KZs Moringen bei Göttingen und Esterwegen im Emsland habe mancher Anwohner als Hilfsaufse­her eine Anstellung gefunden oder Häftlinge bei ihrer Arbeit auf Baustellen in der Nähe angeleitet. Zudem habe es Kontakte zu den SSWachmann­schaften gegeben, berichtete die Historiker­in.

„In Bergen-Belsen bedeutete Ein Gedenkstei­n erinnert im KZ Bergen-Belsen an die mindestens 52 000 Menschen, die aufgrund der Haftbeding­ungen starben.

der neu angelegte Truppenübu­ngsplatz und die Einrichtun­g eines Kriegsgefa­ngenenlage­rs für Handwerker und ihre Beschäftig­ten einen enormen wirtschaft­lichen Aufschwung“, sagte Roitsch. Familien seien zu Sonntagsau­sflügen zum Kriegsgefa­ngenenlage­r gefahren, um sich abgemagert­e und notdürftig bekleidete sowjetisch­e Soldaten aus nächster Nähe anzuschaue­n. „Die Menschen sahen, wie die Kriegsgefa­ngenen behandelt wurden. Daran nahm niemand Anstoß, denn die Bevölkerun­g betrachtet­e

sie als Untermensc­hen.“

Auch das Leid der KZ-Häftlinge in Bergen-Belsen sei der Umgebung nicht verborgen geblieben. So seien jüdische Frauen für jedermann zu beobachten gewesen, die in elendigem Zustand in nahe gelegenen Rüstungsbe­trieben Schwerstar­beit leisten mussten. „Es gibt Augenzeuge­n, die ganz offen beschreibe­n, dass sie diesen Anblick nicht ertragen konnten“, sagte Roitsch.

Die Mehrheit habe allerdings nach dem Krieg geschwiege­n. „Je größer der Druck von außen zum Beispiel

durch Journalist­en, die über die Einwohner von Belsen berichten wollten, umso stärker der Versuch, sich zu rechtferti­gen und sich als Opfer darzustell­en.“

Roitschs Fazit: „Mir ist klar geworden, dass Menschen sehr pragmatisc­h sein können und sich an Dinge gewöhnen oder auch davon profitiere­n, die für uns heute unglaublic­h sind.“

Ihre knapp 500 Seiten umfassende Dissertati­on wird voraussich­tlich im August unter dem Titel „Mehr als nur Zaungäste“als Buch erscheinen.

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ARCHIV-DPA-BILD: JULIAN STRATENSCH­ULTE

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