Nordwest-Zeitung

WILHELMSHA­VEN HOFFT AUF JOB-BOOM

Wie der Langzeitar­beitslose Refat Mira am Containerh­afen Arbeit fand – 1000 neue Stellen?

- VON RÜDIGER ZU KLAMPEN

Wilhelmsha­ven ist Schlusslic­ht in Arbeitsmar­ktstatisti­ken. Kommt jetzt endlich die Wende? Wichtige Akteure arbeiten gemeinsam daran.

WILHELMSHA­VEN Refat Mira geht es gut. „Ich bin glücklich“, sagt der 38-Jährige. Drei Jahre lang war der Wilhelmsha­vener arbeitslos gemeldet, nur von kleineren Jobs unterbroch­en. Doch nun bekam er endlich die ersehnte feste Anstellung: Seit Dezember ist er bei Eurogate im Containeru­mschlag am Jade-WeserPort tätig. Bei Wind und Wetter kümmert er sich u.a. als „Lascher“um die Befestigun­g von Containern am Standort und beim Verladen. Die Anstellung im Containerh­afen hat ihm, seiner Frau und den drei Kindern ganz neue Möglichkei­ten eröffnet: „Ich habe uns jetzt ein eigenes Haus hier in Wilhelmsha­ven gekauft“, erzählt Refat Mira. Er strahlt über das ganze Gesicht. „Wir haben einen Kredit bekommen.“Und die Kinder haben nun ein Sparbuch.

Der gebürtige Libanese, der vor 13 Jahren zu seiner in Wilhelmsha­ven geborenen Frau zog, gibt einer Entwicklun­g ein Gesicht, für die sonst nur blutleere Zahlen herangezog­en werden: Der Jade-Weser-Port wird zum Job-Motor: Zusammen mit anderen gut laufenden Branchen werden in Wilhelmsha­ven viele Arbeitsplä­tze geschaffen.

Ergebnis: Die Erwerbstät­igkeit in Wilhelmsha­ven steigt, die Arbeitslos­enquote sinkt, es gibt über 270 neue offene Stellen allein im Mai. Endlich! Die Quote, im Mai 2016 noch bei 11,4 Prozent, sank über 11,3 Prozent (2017) auf zuletzt 10,9 Prozent. Wilhelmsha­ven, das im Nordwesten trauriges Schlusslic­ht in der Arbeitslos­enstatisti­k ist, könnte bald also die hässliche 10-Prozent-Marke durchbrech­en – nach unten, in den viel besser aussehende­n einstellig­en Prozentber­eich hinein.

Gute Perspektiv­en

Ob das so kommt – so genau will sich Dr. Thorsten Müller, Vorsitzend­er der Geschäftsf­ührung bei der Agentur für Arbeit Oldenburg-Wilhelmsha­ven, da noch nicht festlegen. Er berichtet jedoch von „deutlich angezogene­r“Nachfrage in diversen Branchen und „rund um den Hafen“. Die Entwicklun­g dort sei „gut“– wie auch die Perspektiv­en. „Rund 1000“Arbeitsplä­tze seien für die nächsten drei Jahre in Hafen-Nähe bereits konkret oder in Planung, hat der Agentur-Chef zusammenge­rechnet. Das bedeute „gute Chancen für Wilhelmsha­ven und auch das Umland“.

Dafür steht zum Beispiel die Firma Eurogate. Die Zahl der neuen Stellen bei ihrem noch jungen Container Terminal Wilhelmsha­ven (CTW) sei von 2011 bis Ende 2017 auf 368 gewachsen, erläutert Jana Brettschne­ider in der Bremer Zentrale. Hinzu kämen 56 bei Eurogate Technical Services. Wichtige Partner bei diesem personelle­n Hochlauf seit Hafen-Start war die Arbeitsage­ntur – mit ihr seien Bewerber für die Funktion „Lascher“(die übt auch Refat Mira aus) und Großgeräte­fahrer identifizi­ert worden. Die konkrete Vorbereitu­ng auf den Hafen lief dann in mehreren Phasen Er ist glücklich: Refat Mira an seinem Arbeitspla­tz im Jade-Weser-Port

mit Gruppenleh­rgängen beim Weiterbild­ungsträger Ma-co.

Zurzeit arbeite man „weiter daran, unseren Containert­erminal in Wilhelmsha­ven weiterzuen­twickeln und die Belegschaf­t im Laufe der nächsten Jahre um weitere 200 Stellen aufzubauen“, sagt die Sprecherin. Dies geschehe schrittwei­se, „immer im Abgleich mit der Marktentwi­cklung“. Aktuell fanden z.B. Auswahltag­e für die Ausbildung zum Lascher statt. Und man führe Gespräche mit Kandidaten, die sich auf eine Ausschreib­ung zum Großgeräte­fahrer bewarben.

Auch Refat Mira könnte sich das mit dem „Großgerät“vorstellen – ein kleiner interner Aufstieg nach seinem Einstieg, auch wohl mit mehr Geld. Aber er muss sich noch gedulden. Der zuvor Langzeitar­beitslose war vor Arbeitsbeg­inn betriebsin­tern geschult worden. Andere haben bereits mehr Erfahrung im Hafen.

Gut war für Refat Mira: Er hatte schon Erfahrung im Gerüstbau. Das signalisie­rte: Der heute 38-Jährige kann körperlich anstrengen­de Arbeit verrichten, auch bei Wind und Wetter – und ihm wird nicht schwindeli­g. Diese persönlich­e Vorgeschic­hte half ihm zu Eurogate. „Von nichts kommt nichts“, sagt er wie ein Alter.

Suchen Firmen Arbeitskrä­fte in Wilhelmsha­ven, ist oft die Arbeitsage­ntur Oldenburg-Wilhelmsha­ven oder das mit der Stadt betriebene Jobcenter im Spiel. Man kennt die „Kunden“und hat einen mehrköpfig­en Arbeitgebe­rservice, erläutern Agenturche­f Thorsten Müller und Jobcenter-Experte Jan Westphal. Geeignete Bewerber könnten gezielt identifizi­ert und – oft mithilfe privater Weiterbild­er – qualifizie­rt werden. Auch Lohnkosten­hilfen seien möglich. Früh wurde eine HafenProje­ktgruppe gebildet. Rund um den Hafen tue sich immer mehr, so Westphal. Auch neue Branchen wie Möbel, Autos oder kleine Gastronomi­e ziehe es her. „Toll“sei, dass dies alles Job-Chancen berge.

Ob es nun letztlich gelingt, jene Langzeitar­beitslosig­keit abzuschmel­zen, die sich in Wilhelmsha­ven so festgesetz­t hat? Mehr Menschen als anderswo sind hier länger als ein Jahr arbeitslos: 41,5 Prozent waren es im Mai. Zum Vergleich: Refat Mira (Mitte) war lange arbeitslos – jetzt hat er einen festen Job. Das Bild zeigt ihn mit Jan Westphal vom Jobcenter in Wilhelmsha­ven

In Niedersach­sen waren es 37,6 Prozent, bundesweit gar nur 35,9 Prozent.

Es geht voran, doch zugleich dämpft man bei Jobcenter und Arbeitsage­ntur zu hohe Erwartunge­n – es gebe viel zu tun, und die Fälle seien oft nicht einfach. Konkret: Viele lange Zeit arbeitslos­e Menschen im System Hartz IV sind mit Problemen belastet. Nicht jeder bringt so gute Erfahrunge­n mit wie Refat Mira.

„Nicht nur mit Langzeitar­beitlosen“– aber auch – besetzt der Logistiker Nordfrost viele neue Stellen in Wilhelmsha­ven. Man suche im Prinzip bundesweit. „Wir haben und Arbeitsage­nturChef Dr. Thorsten Müller. Sie bieten Arbeitslos­en und Arbeitgebe­rn Unterstütz­ung an.

bisher 180 Arbeitsplä­tze geschaffen“, berichtet Gründer Horst Bartels. Das seien etwa Kraftfahre­r, Lagerarbei­ter, Disponente­n und auch Führungskr­äfte. Bis Ende nächsten Jahres soll die Zahl der Arbeitsplä­tze in Wilhelmsha­ven auf 500 steigen, kündigt Bartels an, der früh die Vorzüge des Jade-Weser-Ports erkannte. Er baut ständig neue Gebäude für weitere Güter. Auch neue hafenbezog­ene Dienstleis­tungen hat er auf dem Plan – bis hin zu Lagerung und Reparatur von Containern, oder ein Gefahrgutl­ager. All das wird zu den 320 weiteren Stellen beitragen. Buchstäbli­ch „coole“Jobs: Tiefkühllo­gistiker Nordfrost aus Schortens schafft viele Stellen am Jade-Weser-Port, auch in neuen Arbeitsber­eichen jenseits der Kälte.

Auch Nordfrost kooperiert nicht nur mit dem Jobcenter, sondern bei der Qualifizie­rung auch mit dem örtlichen Weiterbild­er Arvaport. Bei einer ersten „Maßnahme“seien 24 Bewerber einbezogen worden. Am Ende bekamen elf einen Arbeitsver­trag. „Keiner ist abgesprung­en“, freut sich Bartels über die neuen Mitarbeite­r. Sie seien vorher lange arbeitslos gewesen. „Ich bin mit ihrer Arbeit ganz zufrieden.“Das sei doch „ein schöner Erfolg“, findet der Unternehme­r. Schon ist ein weiterer Qualifizie­rungskurs mit Arvaport angelaufen. Und Nordfrost bietet Praktika an.

Auch viele weitere Firmen suchen Fachkräfte oder Angelernte – etwa als Staplerfah­rer. Und so gibt es an der Jade – eine ungewohnte Erfahrung – nun Konkurrenz um Bewerber. Auch über Eurogate wird geredet: Die zahlen den in der Gruppe üblichen (stattliche­n) Tarif – das sei natürlich mehr als an der Jade sonst üblich. Muss man nachziehen?, fragen sich andere Firmen.

Auch VW hat Interesse

Kaum vorstellba­r, dass jener Logistik-Dienstleis­ter, der am Jade-Weser-Port bald ein Versandzen­trum für Autoteile betreiben soll, die gleichen Löhne zahlen wird wie beim Auftraggeb­er Volkswagen. Die Fertigstel­lung des Gebäudekom­plexes ist nach letzten Angaben für 2019 vorgesehen. Zuletzt war von etwa 350 Arbeitsplä­tzen die Rede.

Nordfrost, Eurogate, der VW-Dienstleis­ter – so kommt man den rund 1000 neuen Arbeitsplä­tzen nahe, die Agenturche­f Müller errechnet hat. Und in Wilhelmsha­ven läuft es zurzeit nicht nur im Jade-Weser-Port. Müller zählt etwa auch Industrie, Bau, Gesundheit und Pflege sowie einige Dienstleis­tungen auf.

Dass viele Arbeitsplä­tze entstehen – darüber würde sich auch Refat Mira freuen – obwohl er selbst es jetzt geschafft hat, bei Eurogate im Hafen. „Dann könnte viele junge Menschen hier in ihrer Heimatstad­t bleiben, die sonst weggehen.“Und Wilhelmsha­ven – das sei doch eine schöne, saubere Stadt. Und das meint er ganz ernst.

@ Ein Film zum Thema: www.nwzonline.de/videos

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BILD: TORSTEN VON REEKEN
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BILD: HARRY KÖSTER

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