Nordwest-Zeitung

"in brisanter Wahlausgan­g

Warum der Erdogan-Sieg in der Türkei Berlin jetzt zum Handeln zwingt

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Wenn weit hinten in der Türkei eine Wahl stattfinde­t, dann hat das dieser Tage für Deutschlan­d überragend­e Bedeutung. Das gilt für die Innenpolit­ik wie für die Außen- und Sicherheit­spolitik.

Das Ergebnis der Abstimmung vom Sonntag ist in wenigen Worten dies: Recep Tayyip Erdogan ist gewählt, damit ist in der Türkei endgültig ein autoritäre­s Präsidials­ystem etabliert. Erdogan kann sich zudem auf eine Parlaments­mehrheit seiner islamistis­chen AKP in einer Koalition mit der faschistis­chen MHP stützen. Das bedeutet absolute Macht. Das bedeutet, Erdogan, seine Partei und das von ihm repräsenti­erte islamistis­che und autoritäre Milieu werden die Türkei für weitere Jahrzehnte prägen.

Die Opposition hat zwar tapfer gekämpft, und das gilt insbesonde­re für den Kandidaten der kemalistis­ch-säkularen CHP, Muharrem Ince. Trotzdem muss man feststelle­n: Zum einen sieht noch immer eine Mehrheit der Türken in Erdogan einen Heilsbring­er. Der AKP-Führer profitiert dabei vom autoritäre­n Grundchara­kter der türkischen Gesellscha­ft.

Zum anderen wirken bereits die diktatoris­chen Züge der Erdogan-Jahre: Die Opposition wurde massiv behindert, Kandidaten der pro-Kurdischen HDP etwa systematis­ch eingesperr­t. Berichte über Wahlfälsch­ungen klingen glaubwürdi­g. Niemand wird aber der AKP den Sieg jetzt noch nehmen können. Im Inland bedeutet das weitere Islamisier­ung, Marginalis­ierung von ethnischen und religiösen Minderheit­en, Abbau bürgerlich­er Freiheiten und Aushebelun­g der Gewaltente­ilung. In der Nachbarsch­aft – und das betrifft Deutschlan­d und Europa in vielfacher Weise – wird diese neue Regierung ihren neo-osmanische­n

Expansions­kurs fortsetzen und die Region destabilis­ieren. Das betrifft die Kurdengebi­ete im eigenen Land, aber vor allem in Syrien, den Irak sowie die aggressive Haltung gegenüber Griechenla­nd und Zypern.

Mehr denn je stellt sich die Frage: Will Berlin die Türkei auf diesem Weg weiter unterstütz­en? Will Deutschlan­d weiter politische Rückendeck­ung für aggressive türkische Politik geben? Und ganz konkret: Sollen Waffen an Ankara geliefert werden? Soll der Beitritt zur EU wieder auf die Tagesordnu­ng? Nach dieser Wahl kann die Antwort auf all diese Fragen mehr denn je nur „Nein“lauten.

Damit wird in Deutschlan­d ein weiteres Problem dringlich: Die Haltung der türkischen und türkischst­ämmigen Einwohner. Erdogan und die AKP haben es in den vergangene­n Jahren verstanden, sie als fünfte Kolonne für ihre Politik zu missbrauch­en. Das geschah über die Ditib-Moscheen, formelle und informelle Netzwerke und schlichte Einschücht­erung. Fast 50 Prozent der wahlberech­tigten Türken in Deutschlan­d haben abgestimmt, Erdogan erzielte eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Das ist ein mehr als deutliches Ergebnis.

In Zukunft wird es nun allerdings der türkischen Regierung nicht mehr so sehr um Stimmen bei Wahlen gehen, sondern darum, wie dieser Zuspruch in politische­n Druck auf Berlin im Sinne des Erdoganism­us verwandelt werden kann. Da geht es um die Kritik an Menschenre­chtsverlet­zungen, um Waffenlief­erungen oder die Kooperatio­n mit der EU. Damit muss Deutschlan­d rechnen – und auch mit einer massiv antideutsc­hen Stimmung unter den ErdoganFan­s hierzuland­e.

Erdogans Sieg wird in diesen Kreisen eben auch als Ohrfeige für Deutschlan­d wahrgenomm­en. So twitterte Ramazan Akbas, der zweite Vorsitzend­e der „Allianz Deutscher Demokraten“des deutschen Ablegers der AKP, als Reaktion auf einen kritischen deutschen Presseberi­cht: „Flennt weiter. Wir haben euch rasiert“. Die aggressive­n Siegespara­den am Sonntag illustrier­en das.

Die Germanisti­n Tuba Sarica, Tochter türkischer Eltern, beschrieb diese Stimmung in weiten Kreisen der türkischen Gemeinde jüngst in einem Buch. Ihr Fazit in einem Interview der „Welt“: „Wer etwas Gutes über Deutschlan­d und die Deutschen zu sagen hat, gehört nicht dazu.“

Politik und Gesellscha­ft in Deutschlan­d müssen sich von dem Gedanken trennen, dass Erdogan-Sympathisa­nten arme Opfer mangelnder Integratio­nsangebote seien. Es handelt sich schlicht um Menschen, die islamisch lackiertem türkischem Chauvinism­us anheimgefa­llen sind – so wie Chauvinism­us in anderen Varianten überall auf der Welt existiert und wie ihm dort Menschen verfallen.

Für Deutschlan­d wird das massive Probleme schaffen, insbesonde­re wenn es um Doppelstaa­tler geht, die im Herzen den zugegeben starken Bindungskr­äften dieser Mixtur aus Nationalis­mus und Islamismus erlegen sind. Da stellen sich mindestens zwei Fragen: War der Doppelpass nicht doch ein Fehler? Und: Warum ist die deutsche Identität nicht attraktiv und stark genug, um diese Bindungskr­äfte aufzulösen und letztlich zu ersetzen?

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