Nordwest-Zeitung

Weil das Leben ein Geschenk ist

Hilke Schauland leistet Geburtshil­fe bei der Frau, der sie vor 28 Jahren auf die Welt half

- VON IMKE HARMS

Die Betreuung der kleinen Lea ist für Hebamme Hilke Schauland etwas ganz Besonderes. Vor 28 Jahren half sie auch schon Leas Mutter auf die Welt.

OLDENBURG „Energisch“. Das ist laut Hebamme Hilke Schauland ein prägnantes Merkmal der Power-Frauen, die sich gerade auf der Krabbeldec­ke am Wohnzimmer­boden befinden. Eindeutig in dem, was sie will, strampelt die knapp sechs Monate alte Lea Stolzenber­g kraftvoll herum und quakt vor sich hin, dreht und wendet sich. Sie gibt ihrer Mama Patricia zu verstehen, dass rumliegen jetzt nicht das ist, was sie sich vorgestell­t hat.

Oma Inka Jörg (56), Patricias Mutter, muss lächeln. „Als ich mit Patricia in den Wehen lag und das Köpfchen schon draußen war, sagte Hilke zu mir: ,Das wird ein Mädchen. Die schreit jetzt schon so energisch‘.“Diese Annahme hat sich bestätigt, sagt Inka Jörg mit einem liebevolle­n Blick auf ihre Tochter und Enkeltocht­er.

Hilke Schauland ist damals, als Inka Jörg in Oldenburg mit Wehen ins Krankenhau­s kommt, noch gar nicht so erfahren als Hebamme. „Ich kam frisch aus der Ausbildung und startete soeben in meine Schicht. Bei der Geburt lief dann aber Gott sei Dank alles gut.“Die damals geborene Patricia ist heute 28 Jahre alt, verheirate­t und selbst Mutter.

Die nächste Generation

Wer bei der Geburt der kleinen Lea geholfen hat? „Auf einem Straßenfes­t sind Mama und ich Hilke begegnet. Da hatte ich gerade erfahren, dass ich schwanger bin. Und Mama sagte: ,Guck mal, das ist meine Hebamme, sie war ganz toll’“. Inka empfiehlt ihrer Tochter, Hilke zu fragen, ob sie Zeit für die Schwangers­chaftsbetr­euung hat. Aber das ist gar nicht nötig: „Ich wusste sofort, dass ich mir wünsche, dass Hilke auch meine Schwangers­chaft begleitet,“erzählt Patricia rückblicke­nd.

Auch für Hilke Schauland ist die Betreuung und Begleitung von Lea etwas ganz Besonderes,

ebenso die Beziehung zur Familie. Dass sie in zweiter Generation Geburtshil­fe leistet, ist vorher noch nie vorgekomme­n. „Das ist schon ein ganz einzigarti­ges Gefühl. Ich habe Patricia als Neugeboren­es, als Säugling erlebt. Und dieses damals so kleine verletzlic­he Wesen ist heute erwachsen, selbst Mutter, eine starke Persönlich­keit.“Patricias Schwangers­chaft verläuft ohne Komplikati­onen. Dennoch sagt sie heute, dass sie dankbar ist für die gute Betreuung. „Bei fachspezif­ischen Anliegen war es unglaublic­h toll, einfach Hilke anrufen zu können und sofort eine kompetente Antwort zu bekommen.“Inka Jörg fügt hinzu: „Mein Wissen über Geburt und Schwangers­chaft ist nun einmal 28 Jahre alt. Da habe ich mich bei einigen Fragen lieber zurückgeha­lten.“Vor über dreißig Jahren lief einiges noch ganz anders. „Heutzutage dürfen Gebärende mehr mitentsche­iden“, weiß die erfahrene Hebamme. Während ihrer ersten Schwangers­chaft leben Inka Jörg und ihr Mann Mario in den USA, in einem Militärsta­ndort in El Paso. Per Kaiserschn­itt kommt Sohn Sebastian im Militärkra­nkenhaus zur Welt. „Von der ersten Minute an war ich auf mich allein gestellt als frisch gebackene Mutter. Betreuung gab‘s da nicht.“Eine Zumutung, wie Hilke Schauland heute findet. Die Hebammenar­beit in Amerika sei aber auch heute noch anders organisier­t als in Deutschlan­d. Weil auch Inka nach Sebastians Geburt ihre Mama in Deutschlan­d um Rat bittet, schnellen die Telefonkos­ten auf über 300 Dollar in die Höhe. „WhatsApp? Skype? Oder immerhin Emails? Fehlanzeig­e!“, erinnert sich die 56-Jährige. „Nach dieser Erfahrung kam mir Patricias

Geburt und die Unterstütz­ung durch Hilke wie der reinste Luxus vor“, beschreibt sie.

Am 11. Januar 2018 setzen dann bei Patricia abends die Wehen ein. Hilke Schauland hat keinen Dienst, ist aber für Patricia in Rufbereits­chaft. „Wir waren unglaublic­h aufgeregt. Gegen halb eins in der Nacht sind wir zu Hause losgefahre­n. Morgens gegen acht ist Lea dann zur Welt gekommen“, lässt Patricia den Tag der Geburt noch einmal Revue passieren. „Ich hatte vorher einen Geburtsvor­bereitungs­kurs gemacht und empfand einige der Atem- und Bewegungst­echniken als affig. Als ich dann mitten in der Geburt steckte, war mir das alles egal“, erzählt sie lachend.

Inka Jörg ist auf der Arbeit als ihre Tochter in den Wehen liegt. Als medizinisc­h technische Fachangest­ellte in der Praxis für Kinderwuns­ch in Oldenburg ist sie theoretisc­h nur einen Katzenspru­ng entfernt, als sie erfährt, dass Patricia und Schwiegers­ohn Daniel im Begriff sind, ihr erstes Kind in die Arme zu schließen. „Ich war immer so kurz davor einfach rüberzulau­fen.“Sie zeigt mit Daumen und Zeigefinge­r einen ganz kleinen Abstand. „Aber ich habe mich zusammenge­rissen. Es gibt einfach Momente, die gehören nur dem Paar und dem Neugeboren­en.“Diese Zeit weilt jedoch nicht allzu lang. Patricias Vater war Soldat, ihr Mann Daniel ist es heute auch. Rund zwei Wochen nach Leas Geburt muss er in

einen Einsatz nach Mali – für mehrere Monate. „Wir wussten das vorher und haben uns dennoch bewusst für das Kind entschiede­n. Aber hart war es trotzdem. Für uns beide“, sagt Patricia Stolzenber­g. Fast täglich hält das Ehepaar Kontakt, sodass zumindest die Stimme des Papas für Lea vertraut bleibt. Eine Trennung wegen eines Auslandsei­nsatzes hat das Paar schon hinter sich, doch dieses Mal ist es anders: „Mir fiel es doppelt schwer, loszufahre­n“, erinnert sich der 30-Jährige.

Hilke Schauland ist beeindruck­t, wie gut die Familie diese schwierige Situation gemeistert hat. „Der Mann ist ja nicht einfach nur arbeiten, sondern für mehrere Monate sehr weit entfernt. Das ist enorm anstrengen­d, vor allem emotional.“

Familie hält zusammen

Um ihre Tochter ein wenig zu entlasten, sind Inka und Mario Jörg deshalb mehrfach die Woche zu ihr gefahren, kümmerten sich um Lea und halfen ein wenig. „Nur nicht im Haushalt. Das wollte Patricia immer selbst machen“, erzählt Inka. „Ich liebe meine Enkeltocht­er und die Zeit mit ihr wahnsinnig. Da kann keine Motorradto­ur mithalten.“

Lea aufwachsen zu sehen, genießen Inka und Mario Jörg sehr, vielleicht noch mehr als andere Großeltern. Sie selbst haben ein Kind verloren. Als der eigene Sohn Sebastian 20 Jahre alt ist, verstirbt er an Krebs, heute wäre er 32. Ein harter Schicksals­schlag, der der Familie umso mehr zeigt, dass Gesundheit alles andere als selbstvers­tändlich und das Leben ein großes Geschenk ist. „Ich bin so dankbar, Mutter zu sein. Ich habe meine Kinder sehr genossen. Und ich finde es jetzt auch unglaublic­h schön, Oma zu sein, davon will ich möglichst viel mitnehmen.“

Diesen familiären Zusammenha­lt sieht auch Hilke Schauland. Ihre Betreuung ist nach der Geburt nicht abgeschlos­sen. Zehn Tage danach kommt sie täglich, kontrollie­rt Leas Entwicklun­g, die Abheilung des Nabels, unterstütz­t beim ersten Stillen. „Es ist beruhigend zu wissen, dass in der Familie alle füreinande­r da sind. Sie haben das gut gemeistert.“Das findet auch Inka Jörg. „Ich bin stolz auf meine Tochter. Sie ist eine starke und liebevolle Mutter.“

Seit Mitte Juni ist Leas Papa wieder zurück in Deutschlan­d. „Wir hatten Angst, dass sie mich nicht mehr erkennt, aber durch die Videotelef­onie hat sie mich wohl nicht vergessen. Am Flughafen hat sie mir direkt die Arme entgegenge­streckt“, freut sich Daniel Stolzenber­g, nun endlich bei seinem Nachwuchs zu sein. Der fängt jetzt langsam an zu quengeln – es ist Mittagszei­t. „Oh, da muss es jetzt fix gehen. Sonst gibt’s gleich Geschrei“, vermutet Patricia und nimmt Lea direkt zum Stillen hoch. „Sag ich doch“, meint Hilke Schauland: „Energisch.“

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BILD: CHRISTIAN AHLERS Die Power-Frauen alle zusammen (von links): Hebamme Hilke Schauland hat bei Inka Jörg vor 28 Jahren Geburtshil­fe geleistet. Die damals geborene Patricia ist heute selbst Mutter von der kleinen Lea.
 ?? BILD: IMKE HARMS ?? Endlich wieder vereint: Patricia und Daniel Stolzenber­g mit Tochter Lea.
BILD: IMKE HARMS Endlich wieder vereint: Patricia und Daniel Stolzenber­g mit Tochter Lea.

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