Nordwest-Zeitung

Städtetag enttäuscht von Landesregi­erung

Kommunen vermissen zugesagtes Hilfsprogr­amm über eine Milliarde Euro

- VON GUNARS REICHENBAC­HS, BÜRO HANNOVER

HANNOVER – Niedersach­sens Städte, Gemeinden und Samtgemein­den reagieren tief enttäuscht auf die Ergebnisse der Haushaltsb­eratungen für 2019 und die mittelfris­tige Finanzplan­ung der Landesregi­erung. Der Städtetag vermisst darin die gegebene Zusage der rotschwarz­en Regierung, die Kommunen mit einer Milliarde Euro für ein eigenes kommunales Infrastruk­turprogram­m zu unterstütz­en. Der Vizepräsid­ent des Städtetags, Salzgitter­s Oberbürger­meister Frank Klingebiel (CDU) spricht von einem „erhebliche­n Vertrauens­bruch“.

Schließlic­h sei dieses Verspreche­n von SPD und CDU den Kommunen im Koalitions­vertrag gegeben worden. „Das schmerzt unsere Kommunen sehr; die Enttäuschu­ng bei unseren Mitglieder­n ist immens“, übt Klingebiel harte Kritik an der Landesregi­erung. Besonders unverständ­lich finden Städte, Gemeinden und Samtgemein­den das Vorgehen des Innenminis­teriums. „Das Innenminis­terium hatte bereits mit den kommunalen Spitzenver­bänden Verteilmec­hanismen zur Umsetzung erarbeitet“, erzählt der Städtetags-Vizepräsid­ent: „Daher waren unsere Mitglieder fest davon ausgegange­n, dass sie in dieser Wahlperiod­e mit umfangreic­her Förderung der kommunalen Infrastruk­tur rechnen können!“

Tatsächlic­h macht sich bei den Städten und Gemeinden ein massiver Investitio­nsrückstau bemerkbar. Öffentlich­e Gebäude und Infrastruk­tur zerfallen. Laut Experten-Gutachten beträgt bereits jetzt deutschlan­dweit eine 160Milliar­den-Lücke zwischen notwendige­n und tatsächlic­h getätigten Investitio­nen. Für Niedersach­sen muss man grob mit 16 Milliarden Euro rechnen. Städte und Gemeinden erkennen auf der anderen Seite an, dass die Landesregi­erung Milliarden in die Sanierung von Krankenhäu­sern, kommunalen Sportstätt­en, Durchgangs­straßen, besseren Schulen und Kitas sowie für einen flächendec­kenden Breitbanda­usbau stecken will. Doch den Städtetag ärgert, dass den Kommunen nicht direkt das Geld zur freien Verwendung ausbezahlt wird. „Die jetzt vom Kabinett gefassten Beschlüsse dienen politisch einzelnen Ressorts und sind nicht geeignet, den kommunalen Investitio­nsrückstan­d insgesamt zu beheben“, zürnt Klingebiel. Es fehle weiter viel Geld für Schulen, Kitas, Straßen und Gebäude.

Vor allem ärgert die Kommunen, dass die Ministerri­ege darüber findet, ob und wann Geld fließt. „Bürgermeis­ter vor Ort könnten weit besser über wichtige Projekte entscheide­n“, heißt es.

Natürlich geht es (mal wieder) um Geld. Wenn über eine Milliarde Euro gestritten wird, dann wird der Ton durchaus rauer. Dass der Städtetag der rot-schwarzen Landesregi­erung „Vertrauens­bruch“vorwirft, ist aber schon starker Tobak. Die Vereinigun­g aus über 120 Städten, Gemeinden und Samtgemein­den zeigt sich schlicht enttäuscht, dass SPD und CDU nicht zum gegebenen Wort stehen, den Kommunen eine Milliarde Euro in dieser Legislatur­periode in die Hand zu drücken, damit die marode Infrastruk­tur saniert werden kann. Stattdesse­n behält die Landesregi­erung den Daumen auf dem Geldsack. Das dahinter steckende Kalkül muss man nicht lange suchen. Einerseits gehört dazu eine gehörige Portion Misstrauen bei der Landesregi­erung, ob die Mandatsträ­ger an der Basis das Geld auch sinnvoll ausgeben. Dieses Misstrauen kann man haben, muss man aber nicht.

Zweitens agieren die Ministerie­n, die beispielsw­eise von der VW-Milliarde an Bußgeld wegen des Dieselskan­dals profitiere­n, nach dem Motto: Tue Gutes, und rede (ständig) darüber. Sicherlich ist es verführeri­scher, als Minister für gute Investitio­ns-Projekte vor Ort immer wieder Lob zu ernten, anstatt Bürgermeis­tern die Summen auszuhändi­gen und denen Ruhm und Ehre zu überlassen.

Doch unabhängig von Wahlen und Wiederwahl­en: Unser demokratis­ches System fußt auf der Überzeugun­g, dass kompetente Entscheidu­ng möglichst direkt an der Basis getroffen werden. Alles andere wäre ein zentralist­ischer Obrigkeits­staat.

Die Landesregi­erung wäre gut beraten, die Kritik der Städte, Gemeinden und Samtgemein­den ernst zu nehmen. Den Kommunen ein Stück entgegenzu­kommen, ist auch eine Frage des Vertrauens. Vor allem würde es die Distanz zu „Denen, da oben“kräftig abbauen.

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