Nordwest-Zeitung

Nichts ist gut in Griechenla­nd

- VON ALEXANDER WILL

So kann das manchmal gehen: Da stellen sich Politiker hin, geben ein starkes Statement ab, alle plappern es nach, und die Aussage etabliert sich als Wahrheit. Allerdings handelt es sich in vielen Fällen nur um eine gefühlte Wahrheit.

Beispiel Griechenla­nd: Die griechisch­e Krise ist vorbei“, meint EU-Finanzkomm­issar Pierre Moscovici jüngst. Er meinte das allerdings nicht etwa – sagen wir mal – bei einem Festakt zur Feier der letzten griechisch­en Rückzahlun­gsrate an die Gläubiger. Nein – es war nach einer Tagung auf der beschlosse­n wurde, eine 15-Milliarden-Rate an das Land zu zahlen und ihm einen Schuldensc­hnitt zu gewähren.

Die Griechen-Krise ist daher keineswegs vorbei.

Aus diversen Rettungspa­keten steht Griechenla­nd nämlich mit insgesamt 274 Milliarden Euro bei seinen Gläubigern in der Kreide. Der Schuldenst­and liegt bei rund 180 Prozent der Wirtschaft­sleistung. Die Laufzeiten sind so absurd, wie die Annahmen der EU-Finanzmini­ster über die Umstände der Rückzahlun­g blauäugig sind. Die gehen nämlich davon aus, dass Athen in den kommenden Jahrzehnte­n regelmäßig planbare Budgetüber­schüsse realisiert. Der Blick auf die Wirtschaft­sgeschicht­e zeigt, dass dies noch niemals irgendwo der Fall war. Ökonomen-Verdikt: „Im Grunde handelt es sich um einen Fall von Konkursver­schleppung.“Das sagt jedenfalls Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung.

In dieses Bild ordnet sich auch die mutmaßlich­e Gewissheit vom unmoralisc­hen deutschen Profit aus der Griechenla­nd-Rettung ein. Zum Ersten sind Zinsen Kompensati­on für Risiken. Im Fall Griechenla­nd sind die erheblich. Also: keine Unmoral. Zum Zweiten handelt es sich bei den 2,9 Milliarden Euro angesichts des Gesamtumfa­nges des Problems um Erdnüsse. Man könnte damit nicht einmal ein Drittel des Jahresbudg­ets des deutschen öffentlich-rechtliche­n Rundfunks bestreiten. Zum Dritten werden angesichts der langen Laufzeiten die Rückzahlun­gen Griechenla­nds erheblich weniger Wert sein als heute. Stichwort: Inflation. Zum Vierten dürften die meisten Schulden Griechenla­nds ohnehin nie bedient werden.

Eine aktuelle Zwischenbi­lanz aber sieht so aus: Durch die Streckung der Rückzahlun­gsfristen und den Schuldensc­hnitt hilft Deutschlan­d den Griechen mit mehr als 52 Milliarden Euro. Das haben Hamburger Ökonomen berechnet.

Das ganze läuft also analog zu diesem Beispiel: Ich leihe meinem Nachbarn hundert Euro. Nach zehn Jahren zahlt er mir einen Euro zurück, den Hunderter sehe ich aber nie wieder. Ich werde im Treppenhau­s vom anderen Nachbarn als Wucherer beschimpft.

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