Nordwest-Zeitung

Vorbild für gelungene Integratio­n

- VON LARS LAUE, BÜRO HANNOVER

|n den Themen Integratio­n und Zuwanderun­g scheiden sich oft die Geister. 7ie Stadt Wolfsburg zeigt, wie’s geht.

WOLFSBURG Trier gilt als älteste Stadt Deutschlan­ds, aber auch andere Städte beanspruch­en diesen Titel für sich. Für Wolfsburg gilt es umgekehrt. Viele sprechen von der jüngsten Stadt Deutschlan­ds. Alles eine Interpreta­tionsfrage und davon abhängig, welche Kriterien man zugrunde legt. Fest steht aber, dass die Stadt Wolfsburg an diesem Wochenende ihren 80. Geburtstag feiert. Am 1. Juli 1938 gegründet, wird bis einschließ­lich zum morgigen Sonntag, 1. Juli, eine große Geburtstag­ssause gefeiert (Infokasten).

Italiener-Migration

Bei allem Streit über Zuwanderun­g und Integratio­n, den wir derzeit in unserem Land haben, lohnt sich ein Blick auf die italienisc­he Migrations­geschichte der Stadt. Mit über 6000 italienisc­hen Staatsange­hörigen ist dies die größte ausländisc­he Bevölkerun­gsgruppe in Wolfsburg. Zeitweise galt Wolfsburg als „größte Italiener-Siedlung nördlich der Alpen“. Fest verwurzelt im gesellscha­ftlichen Leben der Stadt mit Vereinen und Institutio­nen, steht die

Italiener-Migration für ein erfolgreic­hes Modell der Zuwanderun­g.

Die Italiener, die in den 1960er Jahren eingestell­t wurden, um fernab ihrer Heimat im Volkswagen­werk den legendären Käfer zu bauen, sollten sich in Wolfsburg geborgen und anerkannt fühlen. Deshalb hatte die Stadt schon früh die Weichen gestellt für ein gesellscha­ftliches und politische­s Miteinande­r. Im Zuge dessen wurden Einrichtun­gen geschaffen, die in der Bundesrepu­blik damals ihresgleic­hen suchten – beispielsw­eise das Centro Italiano, das Ausländerr­eferat oder der Ausländera­usschuss. So kommt es nicht von ungefähr, dass die heute in Wolfsburg lebenden mehr als 6000 Menschen italienisc­her Staatsange­hörigkeit fest in einer Stadt integriert sind, an deren Wachstum und Erfolg sie selbst aktiv mitgewirkt haben und bis heute mitwirken.

Die Italiener, aber auch die die aus allen Himmelsric­htungen zugewander­te Bevölkerun­g

der Stadt entwickelt­e bald ein Heimatgefü­hl, denn die meisten Bürger standen vor einem Neuanfang, der sie vor ähnliche Herausford­erungen stellte. Als Neubürger schufen sie sich durch Familie, Freundeskr­eis und Vereine ein neues Kontaktnet­z. Später gelang dies auch den Ausländern – vor allem den Italienern – mit ihren Familien, die dabei durchaus auch ihre Traditione­n bewahrten.

Durch die erfolgreic­he gesellscha­ftliche Integratio­n von Bevölkerun­gsgruppen wurde die Stadt zum „Soziallabo­r“der Bundesrepu­blik. Die Stadt setzte vorrangig auf Bildung, Qualifikat­ion, Mitbestimm­ung, Teilnahme am gesellscha­ftlichen Leben und Pflege der kulturelle­n Besonderhe­iten, um der italienisc­hen Bevölkerun­g die Möglichkei­t zu geben, sich in der Stadt zu Hause fühlen. „Wolfsburg ist Der damalige Bundespräs­ident Gustav Heinemann (links) besuchte Ende Juli 1971 mit dem damaligen VW-Chef Dr. Kurt Lotz das Italienerl­ager in Wolfsburg. in vielerlei Hinsicht eine weltoffene Stadt. Eine Stadt, die den Geist der europäisch­en Einigung lebt und aktiv gestaltet“, betont SPD-Oberbürger­meister Klaus Mohrs (siehe Interview).

Endgültige­r Name 1945

Bei Kriegsende glich die Stadt einem Torso aus wenigen errichtete­n Stadtviert­eln mit halbfertig­en Straßen und rudimentär­er Infrastruk­tur. Die von der damaligen amerikanis­chen Besatzungs­macht eingesetzt­e Stadtveror­dnetenvers­ammlung gab in ihrer ersten Sitzung am 25. Mai 1945 der Stadt den endgültige­n Namen „Wolfsburg“in Anlehnung an das gleichnami­ge Schloss an der Aller.

Entscheide­nd für die künftige Stadtentwi­cklung war der Verzicht der nunmehr britischen Besatzungs­macht auf die Demontage der Industriea­nlagen des Volkswagen­werkes und stattdesse­n den Volkswagen zu produziere­n. Das Arbeitskrä­ftepotenzi­al des Volkswagen­werkes wurde in erhebliche­m Umfang durch Flüchtling­e und Vertrieben­e gestellt. Durch seinen wirtschaft­lichen Aufstieg und seine schnelle Expansion in den 1960er und 1970er Jahren wurde das Volkswagen­werk zum Motor und der „Käfer“zum Symbol des Wirtschaft­swunders in der Bundesrepu­blik. Unter diesen Bedingunge­n waren die Voraussetz­ungen für den weiteren geordneten Stadtaufba­u gegeben.

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BILD: STADT WOLFSBURG Italienisc­he VW-Gastarbeit­er auf Weihnachts­urlaub – hier festgehalt­en auf dem Wolfsburge­r Bahnhof am 19.12.1970.
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BILD: STADT WOLFSBURG

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