Nordwest-Zeitung

Muss er zur Gruppenthe­rapie?

Wenn Promis auspacken und ihren Schmerz mit allen teilen

- VON CAROLINE BOCK

Edhnny 7epp, Lilly Becker, Helmut Schmidt oder Prinzessin 7iana: Sie alle haben sich an die Öffentlich­keit gewandt, um sehr Privates preiszugeb­en. Warum machen Promis das?

BERLIN Die Kulisse: eine Villa in London. Auf der Gästetoile­tte liegt ein Joint-Stummel, der private Koch hat sich eine Peking-Ente vorgenomme­n, der Wein fließt in Strömen. So schildert es die Zeitschrif­t „Rolling Stone“, die zu Besuch bei Johnny Depp ist, dem ins Straucheln geratenen Hollywoods­tar, der eine hässliche Trennung hinter sich hat.

Der 55-Jährige hat einiges zu erzählen. Es geht viel um Geld und millionens­chwere Klagen. Depp hat demnach Galgenhumo­r, wenn ihm Verschwend­ung vorgeworfe­n wird: „Es ist beleidigen­d, zu sagen, ich hätte 30 000 Dollar für Wein ausgegeben.“Es sei viel mehr gewesen.

Das große Auspack-Interview ist ein bekanntes Muster aus der Welt der Stars, der Reichen und Schönen, der Süchtigen und Geläuterte­n. Alkohol, Affären, Scheidung, Doping, peinliche Auftritte: „Jetzt rede ich“ist die Devise bei solchen Berichten.

Eine Ehe zu dritt

Gerade war es Roseanne Barr, die sich unter Tränen für einen rassistisc­hen Tweet entschuldi­gte, der sie ihre Fernsehsho­w gekostet hat. In den USA sitzen Promis wie der ExRadprofi Lance Armstrong bei Oprah Winfrey, wenn sie den kollektive­n Beichtstuh­l wollen. In Deutschlan­d zieht der Name Boris Becker. „Seit über 30 Jahren lebe ich öffentlich. Dafür zahlt man einen Preis“, sagt Becker in einer ARD-Doku. Nach der Trennung machte sich Lilly Becker im „Stern“Luft. „Der Schmerz ist groß, und es tut unglaublic­h weh“, sagte sie. Ex-First-Lady Bettina Wulff packte in einem Buch aus, wie es „Jenseits des Protokolls“war. Jenny Elvers

sprach offen über Alkohol. Solche Schritte hallen lange nach. Das Internet vergisst so gut wie nichts.

Legendär ist das Interview, das Prinzessin Diana 1995 im Fernsehen gab: „Nun, wir waren zu dritt in unserer Ehe. Das war ein bisschen viel.“Das sagte sie auf die Frage, ob sie Camilla für einen Faktor im Scheitern ihrer Ehe mit Prinz Charles halte.

Geläuterte Musiker und Schauspiel­er schreiben oft über Sex, Drugs und Rock'n' Roll. Robbie Williams ist dafür mit seiner Biografie „Feel“ein Paradebeis­piel. Darin heißt es: „Am Anfang tut man alles,

um ein Star zu werden, und den Rest seiner Karriere verbringt man damit, als Star zu überleben.“Williams erzählt vom Sex mit Groupies, Sex mit Stars, Sex beim Videodreh und Sex mit Prostituie­rten, berichtet von seiner Drogenund Alkoholsuc­ht und lästert auch über Kollegen.

Gerne geht es in solchen Büchern philosophi­sch zu. „Auf einer Leiter, deren Sprossen aus Niederlage­n gebaut sind, kann man auch nach oben klettern“, schreibt der Musiker Konstantin Wecker. Er nennt sich in seinem Buch einen „Herdplatte­nanfasser“, der alles selbst durch- leben und erleiden musste. Der früher wilde Heiner Lauterbach ist mit seinen Buchtiteln programmat­isch: „Nichts ausgelasse­n“oder „Man lebt nur zweimal“.

Zu alt ist man fürs Beichten nie. Helmut Schmidt war 96, als er hanseatisc­h dezent davon berichtete, dass er seiner Loki in 68 Jahren Ehe nicht immer treu war. „Was ich noch sagen wollte“, hieß das Buch. Sie bot ihm danach die Trennung an. Für ihn eine ganz und gar abwegige Idee. „Es tut mir heute noch weh, wenn ich an jenen mehr als vier Jahrzehnte zurücklieg­enden Tag denke.“Am Ende überwanden sie die Krise.

Manchmal wird eine persönlich­e Geschichte zum Theaterstü­ck, so wie bei „Panikherz“. Der Schriftste­ller Benjamin von Stuckrad-Barre erzählt darin von seinen Krisen und wie Udo Lindenberg zum tröstenden Freund wurde. „Was machst’n immer so, Stuckiman?“, sagt Lindenberg zu ihm.

Akute Depression

Johnny Depp erzählte dem „Rolling Stone“von einer akuten Depression, die er bekommen habe, als sein persönlich­es und sein geschäftli­ches Leben gleichzeit­ig zusammenge­brochen sei. Für seine Memoiren setzte er sich an die Schreibmas­chine. „Ich schenkte mir am Morgen Wodka ein und fing an zu schreiben, bis meine Augen so voller Tränen war, dass ich die Seite nicht mehr sehen konnte.“Was jemanden wie Depp antreibt, sich so zu öffnen?

„Man sucht Hilfe, man möchte sich mitteilen“, erklärt der Psychologe Laszlo Pota. „Das ist ein Hilferuf.“Er sieht in Depp einen eigentlich sozialen Menschen, der in einer Sackgasse steckt. Die mediale Beichte hat seiner Meinung nach für Prominente generell den Vorzug, dass sie sich dann nicht damit beschäftig­en, was bei ihren psychische­n Problemen auch in ihrer eigenen Verantwort­ung liegt. Das würde in einer Therapie zutage kommen.

„Ich würde solchen Leuten eine Gruppenthe­rapie empfehlen.“

Es ist beleidigen­d, zu sagen, ich hätte 30 000 Dollar für Wein ausgegeben. Es war viel mehr. JOHNNY DEPP

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DPA-BILD: BRYANT Trennung, Klagen, Alkohol: Johnny Depp erzählte dem „Rolling Stone“von seiner persönlich­en Tragödie.

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