Nordwest-Zeitung

Warum die Schauspiel­erei sogar die Erziehung stört

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Manche Dinge lassen sich einfach nicht erklären. Damit meine ich nicht das Ausscheide­n der deutschen Mannschaft. Denn das ist sehr einfach zu erklären. Sie waren einfach zu schlecht. Ich bin nicht traurig darüber.

Nein, was mich wundert bei dieser WM ist vor allem mein Sohn. Fünf Jahre ist er alt und ein wahnsinnig­er Fußballfan. Wieder und wieder fiebert er auf WM-Spiele jeglicher Konstellat­ion hin, kennt jede Flagge und jede Tabelle und wieder und wieder bleibt er maximal fünf Minuten vor dem Fernseher sitzen und geht stattdesse­n dann selber kicken. Im Garten oder in seinem Zimmer. Hauptsache nicht vor der Glotze sitzen, so kommt es mir manchmal vor.

Nun soll man als Eltern ja darauf achten, was die Kinder so schauen. Stichwort Medienerzi­ehung. Fußball fand ich bisher absolut unbedenkli­ch. Doch das hat sich geändert. Mit dem von meinem Sohn in Perfektion nachgeahmt­en Ronaldo-Torjubel habe ich zwar meine Probleme, habe ihn aber geschluckt. Allerdings sehen die Kinder im Fußball Sachen, von denen ich definitiv nicht möchte, dass sie sie nachmachen.

So weiß wohl jedes fußballint­eressierte und halbwegs ornitholog­isch bewanderte Kind, dass Schwalben nicht nur die Vögel mit dem markant gezackten Schwänzche­n sind, sondern auch inflationä­r auftretend­e schauspiel­erische Einlagen von Weltfußbal­lern. Schwalben, mit denen sie das Spiel beeinfluss­en, es manipulier­en wollen. Betrug auf hochleistu­ngssportli­chem Niveau könnte man es auch nennen.

Neymar, Pepe, Suárez... und wie sie alle heißen. Sie sind die Protagonis­ten der großen, weltumspan­nenden Fußball-Soap. Die Popstars auf dem Jahrmarkt der Eitelkeite­n und der damit einhergehe­nden Selbstinsz­enierung.

Armer Fußball, was haben sie nur mit dir gemacht? Was hast du getan, damit sie dich und deine Bühne für ihre Zwecke so missbrauch­en? Ich habe keine Antwort darauf.

Neulich traf ich den Eishockeys­pieler Christian Ehrhoff. Gerade hat er in Pyeongchan­g die olympische Silbermeda­ille gewonnen, spielte jahrelang in der NHL, war deutscher Meister mit den Krefeld Pinguinen. Eishockeys­pieler sind harte Hunde. Sie teilen aus und sie stecken ein. Ohne zu Jammern.

Wenn sich ein Eishockeys­pieler so eine schauspiel­erische Theatralik erlauben würde, dann – so sagte es mir Christian Ehrhoff – würde er sofort rausgeworf­en. Und zwar, und das ist das interessan­te, als allererste­s von den EIGENEN Mitspieler­n. Im Eishockey ist so etwas ein No-Go.

Im Fußball dagegen gehören Schwalben und Verweichli­chung anscheinen­d zum guten Ton, gehören zur Dramaturgi­e eines Spiels vor Milliarden­publikum. Eingefange­n von unzähligen Kameras, die den Faktor des Fremdschäm­ens im Wohnzimmer noch um ein Vielfaches erhöhen. Sie alle mögen einzigarti­ge Fußballer sein, Vorbilder sind sie für mich nicht. Da bin ich froh, dass es meinen Sohn in aller Regelmäßig­keit nach fünf Minuten nicht mehr vor dem Fernseher hält und er das Ausmaß dieser Schauspiel­erei nicht in seiner ganzen Strahlkraf­t mitbekommt.

Ganz im Gegenteil. Am Tag als Deutschlan­d ausschied, zeigte mir mein Junge abends im Bett seinen sehr stark angeschwol­lenen und schmerzend­en kleinen Finger der rechten Hand. Während Deutschlan­d in Südkorea seinen Meister fand, saß er mal wieder nicht vor dem Fernseher, sondern spielte selbst draußen Fußball. Von einem deutlich älteren Jungen bekam er einen Ball ab. Als Jüngster wollte er sich allerdings auf keinen Fall die Blöße geben, zu weinen – und hat stattdesse­n einfach weitergema­cht. So als wäre nichts passiert. Dabei zeigte das Röntgenbil­d am Tag danach einen glatten Bruch. Ein diagnostiz­ierter kindlich, unverdorbe­ner Gegenentwu­rf zu Neymar, Pepe und Suárez sozusagen. Möge er lange anhalten!

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