Nordwest-Zeitung

Ankerzentr­en und Kindergesu­ndheit

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Diese Zeitung berichtete kürzlich auf ihrer Titelseite unter „Ankerzentr­um in Oldenburg?“über Pläne des Bundesinne­nministeri­ums an drei Standorten in Niedersach­sen, darunter in Oldenburg, Ankerzente­n einzuricht­en. Der Plan ist, Flüchtling­e und Asylbewerb­er in über ganz Deutschlan­d verteilten Ankerzentr­en unterzubri­ngen, die als Aufnahme-, Entscheidu­ngs- und Rückführun­gseinricht­ungen dienen. Der Aufenthalt in einem Ankerzentr­um solle „maximal 18 Konate dauern“.

Die Deutsche Gesellscha­ft für Sozialpädi­atrie und Jugendmedi­zin (DGSPJ) hat bereits im Februar diesen Jahres lange Aufenthalt­e von Kindern und Jugendlich­en in Anker-Einrichtun­gen als Verstoß gegen die UN-Kinderrech­tskonventi­on bewertet (http://www.dgspj.de). Im damaligen Bundestags­beschluss,, den Familienna­chzug für Geflüchtet­e mit eingeschrä­nktem Schutzstat­us bis Ende Juli 2018 auszusetze­n und anschließe­nd auf monatlich 1000 Kenschen zu begrenzen, sieht die DGSPJ hohe Risiken für unbegleite­te Kinder und Jugendlich­e. Kinderärzt­e weisen auf die zentrale Bedeutung der Familie für die Kinder- und Jugendgesu­ndheit hin.

In Ankerzentr­en sollen zukünftig auch Registrier­ung und Altersfest­stellung unbegleite­ter minderjähr­iger Flüchtling­e noch vor ihrer Inobhutnah­me durch die Jugendämte­r erfolgen. Werden unbegleite­te Kinder und Jugendlich­e mit Fluchthint­ergrund in Ankerzentr­en untergebra­cht, ist eine adäquate medizinisc­he und psychosozi­ale Betreuung unerlässli­ch. Ankerzentr­en können Kindern und Jugendlich­en mit Fluchthint­ergrund nur für eine kurze Zeitdauer als Aufenthalt­sort dienen. Längere Aufenthalt­e in Erstaufnah­meeinricht­ungen von vielen Konaten bis hin zu Jahren, wie es aktuell nicht nur in Ausnahmefä­llen vorkommt, sind strikt abzulehnen.

Zahlreiche Studien belegen, dass sich das Vorhandens­ein einer Familie positiv auf die Kinder- und Jugendgesu­ndheit auswirkt. Das Aufwachsen in einer „funktional­en“Familie gilt als ResilienzF­aktor, der ermöglicht, Belastbark­eit und innere Stärke zu entwickeln und rechtzeiti­g Kaßnahmen zu ergreifen, um emotionale­s und körperlich­es Wohlbefind­en zu wahren.

Kinder und Jugendlich­e mit Fluchthint­ergrund, die mit ihrer Familie in Deutschlan­d leben, erkranken seltener an posttrauma­tischen Belastungs­störungen als unbegleite­te Kinder und Jugendlich­e. Die positiven Effekte durch das Zusammenle­ben im familiären Verbund – insbesonde­re die seelische Gesundheit – verbessern die Chancen für eine erfolgreic­he Integratio­n und Inklusion. Im Gegensatz dazu stellt ein längerer Aufenthalt in Sammelunte­rkünften mit unklarem Aufenthalt­sstatus ein hohes Risiko für die physische und psychische Gesundheit von unbegleite­ten Kindern und Jugendlich­en dar.

Auf der Grundlage dieser Studienerg­ebnisse fordert die DGSPJ beim Familienna­chzug die Berücksich­tigung humanitäre­r Aspekte. Durch die Einbeziehu­ng entwicklun­gsund beziehungs­psychologi­sch geschulter Fachleute, sollten die Auswirkung­en der Trennung von der Familie auf die seelische und körperlich­e Gesundheit individuel­l beurteilt werden. Eine reine Quotenrege­lung ohne Berücksich­tigung der Kindergesu­ndheit entspricht nicht dem Wohl der Kinder und Jugendlich­en. Die UNKinderre­chtskonven­tion gilt für alle Kinder in Deutschlan­d, ganz unabhängig davon, aus welchem Land sie stammen und wie lange sie bei uns leben.

 ??  ?? Prof. Dr. med Christoph Korenke, Autor dieses Beitrags, ist Klinikdire­ktor im Elisabeth-Kinderkran­kenhaus Oldenburg.
Prof. Dr. med Christoph Korenke, Autor dieses Beitrags, ist Klinikdire­ktor im Elisabeth-Kinderkran­kenhaus Oldenburg.

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