Nordwest-Zeitung

Zweiteilig­e NWZ-Reportage: 5000 Tage Einzelhaft – der Fall Bogner

Jin ;örder klagt die Gesellscha­ft an – Erster Teil der großen NWZ-Reportage

- VON KARSTEN KROGMANN

Christian Bogner gilt als einer der gefährlich­sten Verbrecher Deutschlan­ds. Sein Leben lang hat er sich nicht an Recht und Gesetz gehalten, jetzt sagt er: Ihr tut mir Unrecht! Denn er sitzt seit fast 5000 Tagen in Einzelhaft, und das sei Folter.

Sm Oldenburge­r Gefängnis, Sicherheit­sstation D, schreibt an einem Novemberta­g ein Mann einen Brief an die Zeitung. Er tippt ihn sorgfältig in seine altmodisch­e Schreibmas­chine, er will keine Fehler machen. Seine Sätze sind lang und oft umständlic­h, vermutlich braucht er sehr lange für die sieben Seiten. Aber der Mann hat Zeit.

Landläufig heißt es oft, die Richter in Deutschlan­d seien zu gutmütig und die Strafen zu lasch; so etwas wie „lebensläng­lich“gebe es gar nicht, spätestens nach 15 Jahren Gefängnis komme sowieso jeder raus. Das stimmt aber nicht. Es gibt in Deutschlan­d auch Gefangene wie Christian Bogner.

Bogner, der Mann mit der Schreibmas­chine, hat mehr als 40 seiner 62 Lebensjahr­e im Gefängnis verbracht, sein Strafregis­ter füllt mehrere Din-A4-Seiten. Immer wieder ist er ausgebroch­en, die Boulevardp­resse nannte ihn „Ausbrecher­könig“. Das letzte Mal floh Bogner 2004 aus der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) Lübeck, auf der Flucht tötete er einen Mann. Er wurde verurteilt wegen Mordes, das Gericht verhängte eine lebenslang­e Freiheitss­trafe und ordnete die anschließe­nde Sicherungs­verwahrung an.

Bogner kam nicht einfach ins Gefängnis. Man sperrte ihn ins „Gefängnis im Gefängnis“, so nennen Justizexpe­rten die Sicherheit­sstation. Bogner sitzt dort in Einzelhaft. Er soll nie wieder ausbrechen können, er soll nie wieder ein Verbrechen begehen können.

Bogner hat die Tage gezählt, die er allein ist. Es sind inzwischen fast 5000.

Dies ist die Geschichte eines Mannes, der zeitlebens gegen Recht und Gesetz verstoßen hat. Er wird dafür bestraft, „das ist auch richtig“, sagt er. Aber er wirft unserer Gesellscha­ft vor, dass wir ihn zu hart bestrafen, mehr noch: dass wir es jetzt sind, die gegen Recht und Gesetz verstoßen. Bogner sagt, er sitze seit Jahren in rechtswidr­iger „Isolations­haft“. Bogners Anwalt, der Bremer Jurist Prof. Dr. Helmut Pollähne, spricht sogar von „Folterverd­acht“im Fall Bogner.

SAPITEL 1: WIE BEI HANNIBAL LECTER

5000 Tage Einzelhaft, das bedeutet: Seit fast 5000 Tagen hat Bogner nicht mehr mit Mitgefange­nen gesprochen. Einmal pro Woche führt ein Mitarbeite­r der Justizvoll­zugsanstal­t ein sogenannte­s Entlastung­sgespräch mit ihm, das ist Vorschrift. Den Rest der Zeit sitzt Bogner allein in seinem Haftraum: Holzbett, Stuhl, Tisch, Schreibmas­chine. Täglich steht ihm eine Runde Hofgang zu, allein im abgeschott­eten Hof der Sicherheit­sstation. Er nennt das „Solo-Kreisverke­hr“, meistens verzichtet er darauf.

Geht er doch, muss er sich vorher und hinterher durchsuche­n lassen. Er muss sich nackt ausziehen, ein Justizvoll­zugsbeamte­r schaut ihm in den Mundraum, in den After, unter die Penisvorha­ut. Er muss sich auch durchsuche­n lassen, wenn er duschen will oder zum Arzt muss. Zeitweise hat er Strichlist­e über die Ganzkörper­durchsuchu­ngen geführt, nach 15000 Strichen hat er damit aufgehört.

Alle paar Monate landet ein Hubschraub­er im Gefängnish­of. Drei Polizisten springen heraus: Spezialein­satzkomman­do, maskiert und bewaffnet. Die Polizisten holen Bogner aus der Sicherheit­sstation. Sie fesseln ihm die Hände und die Füße, die Handschell­en ketten sie an einen Bauchgurt. Sie setzen ihm eine Augenbinde auf. Sie führen ihn zum Hubschraub­er, blind tippelt er zwischen den Polizisten. Manchmal stehen die anderen Gefangenen an den vergittert­en Fenstern und johlen.

Wohin der Hubschraub­er fliegt, sieht Bogner nicht. Aber er kennt die möglichen Ziele, es sind immer dieselben: Celle, Sehnde, Oldenburg; niedersäch­sische Gefängniss­e mit Hochsicher­heitstrakt­en. Bogner wird regelmäßig in ein anderes Gefängnis verlegt, damit er keine Bindung zu JVAMitarbe­itern aufbauen kann. Er gilt als hoch manipulati­v.

Bogners Anwalt Helmut Pollähne, 58 Jahre alt, sagt mit Blick auf den Gefangenen­transport: „Mich erinnert das anHannibal Lecter.“Lecter ist der kannibalis­che Serienmörd­er aus dem Hollywood-Film „Das Schweigen der Lämmer“. Im Film wird Lecter vor dem Gefangenen­transport bis zur Bewegungsu­nfähigkeit verschnürt, er muss sogar einen Beißschutz tragen. In einer Abstimmung des American Film Instituts wurde Lecter zum schlimmste­n Filmschurk­en aller Zeiten gewählt.

In Deutschlan­d gibt es Menschen, die Christian Bogner für den gefährlich­sten Verbrecher des Landes halten.

In seinem Haftraum in Oldenburg tippt Bogner in seine Schreibmas­chine: „In meinem Fall übersteige­n die Si- cherungsma­ßnahmen bei Weitem alles, was jemals im deutschen Strafvollz­ug praktizier­t wurde. Nicht einmal die RAF-Häftlinge waren jemals derart langfristi­g solchen zermürbend­en und zerstöreri­schen Haftbeding­ungen ausgesetzt.“Es ist richtig, dass den Terroriste­n der RAF im Gefängnis Stuttgart-Stammheim erlaubt wurde, sich in Kleingrupp­en zu treffen.

KAPITEL 2: DER BRIEF

Bogner hat seinen Brief an mich adressiert, nachdem er eine Gefängnisr­eportage von mir gelesen hatte. „Kurzum“, schließt er seinen Brief: „Ich möchte fragen, ob Sie an einer Berichters­tattung über meine besondere Fallgestal­tung interessie­rt wären.“Denn das, was man ihm antue, sei rechts- und sogar verfassung­swidrig.

Ich denke lange darüber nach.

Als Bogner nach seiner letzten Flucht wegen Mordes der Prozess gemacht werden sollte, nannte ihn der zuständige Leitende Oberstaats­an- walt Heinrich Wille vor Journalist­en einen „eiskalten Killer“. Professor Bernd Maelicke, ein Strafvollz­ugsexperte, sagte in einem Interview mit der Wochenzeit­ung „Die Zeit“über Bogner: „Der Mann ist der Inbegriff des Bösen“.

Ich finde, es fühlt sich gut an, einen Mann wie Christian Bogner im „Gefängnis im Gefängnis“zu wissen, doppelt eingesperr­t.

Aber was ist, wenn er Recht hat? Legitimier­t sich ein Rechtsstaa­t nicht gerade im Umgang mit Rechtsbrec­hern, indem er die Unantastba­rkeit des Rechts demonstrie­rt?

„Es geht hier um die Frage der Menschenwü­rde“, sagt Bogners Anwalt, Helmut Pollähne, „und um Folterverd­acht.“Prof. Dr. Pollähne ist ein buchstäbli­ch aufrechter Mann: schmal, groß, gerade, zugleich Strafverte­idiger, Fachbuchau­tor, Menschenre­chtler. In seinem Büro am Bremer Hauptbahnh­of sitzt er zwischen einem Gefangenen­kunstwerk aus der JVA Bremen, einem Notfallkof­fer „Erste Schoko-Hilfe“und vielen Regalmeter­n Gesetzeste­x- ten. Texten wie die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion, wo es in Artikel 3 heißt: „Niemand darf der Folter oder unmenschli­cher oder erniedrige­nder Strafe oder Behandlung unterworfe­n werden.“

Ich möchte Bogner treffen, doch so einfach geht das nicht mit einem wie ihm. Der Sicherheit­schef der JVA lehnt den Besuchsant­rag sicherheit­shalber erst einmal ab.

Wir müssen vor Gericht ziehen, wir stellen einen Eilantrag. Das Gericht lehnt den Eilantrag ab, Bogner habe ja Zeit. Wir überbrücke­n das monatelang­e Warten auf die Gerichtsen­tscheidung mit einem Interview per Briefwechs­el.

KAPITEL 3: VERBRECHER­LEBEN

Eigentlich heißt Bogner gar nicht Bogner. Er änderte seinen Namen, nachdem er in den 90er Jahren den Behörden einen Gefangenen­aufstand verraten hatte und aus Sicherheit­sgründen in ein anderes Gefängnis verlegt werden musste.

Der Fall Bogner, so knapp wie möglich: Geboren und aufgewachs­en ist er in Herne (Westfalen). Seine Eltern sind streng religiös, sie gehören der umstritten­en Spätregenm­ission an. Bogner erlebt nach eigenen Angaben Gewalt und sexuellen Missbrauch in der Kindheit. In der Schule bleibt er wiederholt sitzen, nach der 7. Klasse verlässt er die Hauptschul­e ohne Abschluss. Mit zehn Jahren fällt er erstmals als Kaufhaus- und Fahrraddie­b auf. E s folgen immer neue Straftaten, begangen in allen Teilen Deutschlan­ds, die Liste in den Gerichtsak­ten ist seitenlang: Fahren ohne Fahrerlaub­nis, Urkundenfä­lschung, Diebstahl, Zechprelle­rei, Betrug, Raub. Einmal begeht er in nur 18 Monaten 37 Straftaten. Er wird älter, die Vorwürfe werden schlimmer: schwerer Raub, räuberisch­er Angriff, Erpressung. Am Ende steht er wegen Mordes vor Gericht.

Immer wieder wird Bogner gefasst, er wird verurteilt, er wird eingesperr­t, in Osnabrück, Lingen, in Vollzugsan­stalten überall in Deutschlan­d – und er haut ab, immer wieder. Beim ersten Mal ist er 14, er klettert nach einer Festnahme durch ein Toilettenf­enster. Er flüchtet aus Krankenhäu­sern, aus dem Jugendarre­st, aus dem offenen und aus dem geschlosse­nen Vollzug. Wie oft? Neunmal, zehnmal, elfmal? Ich verliere den Überblick beim Lesen der Akten.

Am Dienstag, 26. Oktober 2004, flieht Bogner zum bislang letzten Mal. In der Schlossere­i der JVA Lübeck hat er heimlich eine zerlegbare Leiter-Brücken-Konstrukti­on an einen Gabelstapl­er geschweißt. „Eine erfinderis­che wie handwerkli­che Meisterlei­stung“, wie Gefängnis-Experte Bernd Maelicke später in seinem Buch „Das KnastDilem­ma“anerkennt. Bogner klettert über die Mauer, er läuft davon.

Der Ausbruch verursacht ein politische­s Erdbeben. Das Resozialis­ierungsmod­ell von Professor Maelicke, der damals imAuftrag der Landesregi­erung den Strafvollz­ug in Schleswig-Holstein reformiert, gilt landesweit an den Stammtisch­en als gescheiter­t. Es gibt Leute, die bis heute der Überzeugun­g sind, dass Bogners Flucht entscheide­nden Anteil hatte an der Abwahl der rot-grünen Landesregi­erung im Jahr 2005. Bernd Maelicke gehört zu diesen Leuten.

Auf seiner Flucht tötet Bogner einen Mann, den arbeitslos­en Gärtner Engelbert Danielsen. Das Landgerich­t Lübeck verurteilt Bogner wegen Mordes zu einer lebenslang­en Haftstrafe und ordnet die anschließe­nde Sicherungs­verwahrung an. Das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass Bogner den Gärtner, der ihm äußerlich verblüffen­d ähnlich sah, umbrachte, um dessen Identität anzunehmen.

Mitte der 90er Jahre hatte Bogner schon einmal die Identität eines anderen Mannes angenommen: Thomas Ranke. Auch damals stand er unter Mordverdac­ht. Ranke aber blieb verschwund­en, der Mord konnte Bogner nicht angelastet werden.

Beim Prozess in Lübeck aber sind sich die Richter sicher. Der Beweggrund für die Tötung stehe „sittlich auf tiefster Stufe“, urteilen sie.

Maelicke schreibt in seinem Buch: Damals, als Bogner auf der Flucht war, habe er in den Nächten schlaflos in seinem Bett gelegen und gemeint, „die Eiseskälte des Bösen imRaum zu spüren“.

An einem Apriltag bekomme ich Post vom Oldenburge­r Landgerich­t: Mein Besuch bei Bogner ist genehmigt. „Der Besuch stellt ersichtlic­h keine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung in der JVA dar“, stellt der Richter fest.

Die Fortsetzun­g

der Bogner-Reportage lesen Sie morgen in derÐ. Den vollständi­gen Text finden Sie auch im Internet unter:

 ?? BILD: TORSTEN VON REEKEN ?? Leben hinter Schloss und Riegel: Blick durch die Türklappe in einen Haftraum auf der Sicherheit­sstation der Justizvoll­zugsanstal­t Oldenburg
BILD: TORSTEN VON REEKEN Leben hinter Schloss und Riegel: Blick durch die Türklappe in einen Haftraum auf der Sicherheit­sstation der Justizvoll­zugsanstal­t Oldenburg
 ?? BILD: DPA ?? Im September 2006 berichtete dieÐüber das Mordurteil gegen Christian Bogner.
BILD: DPA Im September 2006 berichtete dieÐüber das Mordurteil gegen Christian Bogner.
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BILD: TORSTEN VON REEKEN Warten auf den Gefangenen: Gespräche mit Christian Bogner sind nur hinter Panzerglas möglich.

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