Nordwest-Zeitung

Was Berliner Sommerthea­ter

CSU und CDU raufen sich doch noch einmal zusammen – Aber ein Riss bleibt

- VON JÖRG BLANK, GEORG ISMAR UND CHRISTOPH TROST

|mmer wieder hat es schwer gekracht zwischen Seehofer und Merkel. Und jetzt droht der Koalition der nächste Streit mit der SPD.

BERLIN/MÜNCHEN Eor der Fraktionst­ür tut Horst Seehofer noch so, als könne die Union nach den jüngsten Schreckens­wochen so weitermach­en wie bisher. „Des is scho’wieder Geschichte“, versucht der CSU-Chef auf die Frage zu beschwicht­igen, ob seine Rücktritts­drohung ein Fehler war oder ob gerade sie den Durchbruch beim Migrations­streit mit der CDU gebracht habe. Und gibt sich maximal pragmatisc­h: „Wissen Sie, was wichtig ist? Immer das Ergebnis.“Als eine Reporterin noch wissen will, ob er atmosphäri­sch wieder zum Normalzust­and mit der Kanzlerin übergehen könne, winkt der Innenminis­ter ab: „Ach... Machen Sie sich keine Sorgen.“

Wer dann die Szene beobachtet, als die Kanzlerin ihren Innenminis­ter im Fraktionss­aal mit hochgezoge­nen Augenbraue­n begrüßt und sich mit versteiner­t ernster Miene geschäftsm­äßig neben Seehofer setzt, könnte fast denken, da bereite sich ein hoffnungsl­os verkrachte­s Ehepaar auf das Gespräch mit dem Scheidungs­richter vor.

Tiefer Abgrund

Immer wieder hat es in den vergangene­n drei Jahren seit Beginn der Flüchtling­skrise 2015 schwer gekracht zwischen Seehofer und Merkel. Doch der aktuelle Migrations­streit mit seinem Höhepunkt, der letztlich wieder zurückgeno­mmenen Rücktritts­drohung vom Sonntag, dürfte noch den letzten Rest an Wohlwollen und Zuneigung zwischen den beiden Vorsitzend­en hinweggefe­gt haben.

In der CDU heißt es, auf geradezu selbstzers­törerische Art hätten Seehofer und die CSU den Konflikt auf die Spitze getrieben, man habe in den Abgrund geschaut. In derCSU wiederum fragt man sich, wa-

rum Merkel bis zuletzt keinen Millimeter nachgegebe­n, auf keine Kompromiss­angebote reagiert habe.

Zwei Wochen lang sah es so aus, als könnte die vierte Regierung Merkels schon nach nur gut 100 Tagen platzen – und das wegen der eigenen Schwesterp­artei. Doch ein Scheitern der Regierung angesichts der Krisen in der Welt und des anschwelle­nden Nationalis­mus in Europa wollten wohl nur wenige in der Unionsfrak­tion riskieren. Am Ende wollen die Abgeordnet­en wohl beider Seiten nur noch eines: einen Kompromiss. Mit einem solchen Streit in die Sommerpaus­e zu ziehen – das wäre für viele dann doch zu selbstmörd­erisch gewesen.

Vermutlich hat auch eine Mischung aus Stolz und Sturheit Seehofers die Union an den Rand des Zusammenbr­uchs gebracht. Zwar ist der 68-Jährige schon lange für Drohungen und Ultimaten bekannt, erst recht für seine Kehrtwende­n. Aber erst einen Rücktritt und dann einen Rücktritt vom Rücktritt innerhalb von 24 Stunden – das ha-

ben die Christsozi­alen so auch noch nicht erlebt. Entspreche­nd groß war das Beben, das Seehofer am Sonntagabe­nd ausgelöst hatte. Nicht einmal der engste Führungszi­rkel wusste offenbar vorab davon.

Enormer Schaden

Auch in der CSU herrscht die Auffassung, dass die Gründe für die jüngste Eskalation vor allem im Persönlich­en zu suchen sind. Der Dauer-Streit Merkel/Seehofer hat tiefe Gräben hinterlass­en – die kaum mehr zu überbrücke­n sind. Anderersei­ts ist die Katastroph­e aus Sicht der CSU abgewendet: Seehofer bleibt, die CSU muss nicht eben mal einen neuen Chef und Innenminis­ter suchen. Das wäre dreieinhal­b Monate vor der bayerische­n Landtagswa­hl eine weitere massive Belastung gewesen – wobei der Schaden nach Ansicht vieler schon jetzt enorm ist.

„Wir müssen jetzt gemeinsam zu Stabilität zurückfind­en. Wir müssen den Eindruck von Ruhe und Verlässlic­hkeit ausstrahle­n“, betont Ministerpr­äsident Markus S öder.

In Berlin liegt der Ball am Tag eins nach der überrasche­nden Unionseini­gung plötzlich bei der SPD im Feld, wo die Sorgen wachsen. Asylbewerb­er, die über Österreich einreisen und schon woanders registrier­t worden sind, sollen nach dem Willen der Union in sogenannte Transitzen­tren kommen – ähnlich wie ein Transitber­eich am Flughafen, abgefangen im Grenzgebie­t. Binnen weniger Tage sollen die Verfahren bearbeitet und die Menschen in das für ihr Asylverfah­ren zuständige Land rasch zurückgebr­acht werden.

Besonders gegen geschlosse­ne, gefängnis ähnliche Einrichtun­gen gibt es Widerstand in der SPD. Der Begriff Transitzen­tren ist für die SPD mit ihrem humanitäre­n und solidarisc­hen Mitmenschl­ichkeit san spruch ein rotes Tuch.

Doch selbst wenn das politische Sommerthea­ter mit der SPD ausbleiben sollte – die Unionsfami­lie dürfte bis zur bayerische­n Landtagswa­hl immer wieder für Unterhaltu­ng sorgen.

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DPA-BILD: NIETFELD Nach einem erbitterte­n Streit können sich Horst Seehofer (CSU) und Angela Merkel (CDU) wieder in die Augen schauen.

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