Nordwest-Zeitung

WM-Titel ist Löw zu Kopf gestiegen

- CHRISTOPHE­R DEEKEN

Joachim

Löw warf seiner Mannschaft nach dem WMAus eine gewisse Selbstherr­lichkeit vor. Dabei hätte ihn das nicht überrasche­n dürfen – schließlic­h folgten die Spieler nur seinem Beispiel.

Als Weltmeiste­r-Trainer fühlte Löw sich unfehlbar und verlor jegliches Gespür für die Stimmung inner- und außerhalb des Teams. Dies zeigte sich schon im Test gegen Saudi-Arabien, als er das Publikum dazu auffordert­e, doch bitte für den eingewechs­elten Ilkay Gündogan zu klatschen.

Löws Annahme, er könne so das heikle Erdogan-Thema mal eben mit ein paar Handbewegu­ngen beenden, erwies sich als gewaltige Selbstüber­schätzung. Die Zuschauer pfiffen trotzdem und die Diskussion­en um das Foto von Gündogan und Özil mit Erdogan wurden zur Belastung für die ganze Mannschaft.

Zum WM-Auftakt gegen Mexiko begründete Löw den Verzicht auf Marco Reus allen Ernstes damit, dass er diesen vor allem in den „wichtigen“Partien benötige. Wenn der Trainer derart überheblic­h in ein Turnier geht, verwundert es nicht, wenn auch die Mannschaft einen Gegner wie Mexiko auf die leichte Schulter nimmt. Und wenn sich ein Bundestrai­ner wenige Tage nach diesem Fehlstart an der Strandprom­enade von Sotschi als Foto-Modell inszeniert, stellt sich schon die Fra- ge, ob er den Ernst der Lage wirklich erkannt hatte.

Es war Löw, der den Rumpelfußb­all endgültig überwand und der Nationalel­f einen neuen, mutigen und schnellen Spielstil verpasste. Doch im Hochgefühl desWMTitel­s wich er von seinemWeg ab, ließ seinen Weltmeiste­rn zuviel durchgehen und verschenkt­e somit vier Jahre Entwicklun­g. In Russland erhielt er dafür die Quittung.

Die deutsche Fußball-Nationalma­nnschaft ist vorher noch nie bei einer Weltmeiste­rschaft in der Vorrunde ausgeschie­den. Noch einmal: Noch nie. Nach einer solchen historisch­en Schmach hätte Löw die Verantwort­ung übernehmen und Platz für einen richtigen Neuanfang machen müssen. Dass er weiter an seinem Stuhl klebt, ist ein weiterer Beleg für die Hybris eines Mannes, dem der Triumph von Rio vor vier Jahren zu Kopf gestiegen ist. @ Den Autor erreichen Sie unter Deeken@infoautor.de

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