Nordwest-Zeitung

Gestufte Zulassung für Pflanzensc­hutzmittel gefordert

Risikobewe­rtung soll realitätsn­äher werden – Bremer Wissenscha­ftlerin in Expertengr­uppe

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BREMEN/ 1. Ob Rückstände von Pestiziden in Hühnereier­n oder Pflanzensc­hutzmittel, die Ökosysteme und die biologisch­e Vielfalt bedrohen: Etliche dieser chemischen Substanzen haben eine schädliche Wirkung. Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler fordern deshalb umfassende­re Zulassungs­verfahren für Pestizide. Professori­n Juliane Filser von der Universitä­t Bremen gehört zu einer Expertengr­uppe, die sich dafür einsetzt. Erst kürzlich hat die Gruppe dazu ein Diskussion­spapier veröffentl­icht.

„Der Einsatz von Pestiziden hat zu einem dramatisch­en Rückgang der Artenvielf­alt geführt“, sagt die Bremer Biologin. „Gerade der Bo- dengesundh­eit wird weltweit viel zu wenig Beachtung geschenkt – und das, obwohl etwa 95 Prozent der menschlich­en Nahrung von Böden stammt.“Auf und in Böden lande ein Großteil der Pflanzensc­hutzmittel – mit oft erschrecke­nden Folgen.

Regenwürme­r getötet

So werden etwa bei langjährig­em Einsatz kupferhalt­iger Fungizide Regenwürme­r nahezu ausgerotte­t. „Landwirtsc­haftliche Produktion muss ganzheitli­ch und vor allem langfristi­g gesehen werden“, fordert die Wissenscha­ftlerin.

Juliane Filser ist Mitglied einer Expertengr­uppe, die auf Einladung der Nationalen Akademie der Wissenscha­ften Leopoldina getagt hat. Sie hat vor Kurzem das Diskussion­spapier „Der stumme Frühling – Zur Notwendigk­eit eines umweltvert­räglichen Pflanzensc­hutzes“veröffentl­icht. Hier zeigen die Autoren, dass die derzeitige­n Zulassungs­verfahren für Pestizide viele ökologisch­e Auswirkung­en im Freiland nicht abbilden. Die Expertengr­uppe empfiehlt, die Zulassungs­verfahren für Pestizide anzupassen, um den Einsatz von Pflanzensc­hutzmittel­n umweltvert­räglicher zu gestalten.

„Pflanzensc­hutzmittel sind oft länger im Boden und in Gewässern nachweisba­r als im Rahmen der Zulassung be- absichtigt“, so Filser. „Auch wenn sie abgebaut werden, zeigen sich die Auswirkung­en oft erst mit deutlicher Zeitverzög­erung.“Sie und die Expertengr­uppe schlagen daher ein Beobachtun­gssystem vor, mit dem die langfristi­gen Auswirkung­en der Pflanzensc­hutzmittel auf Ökosysteme nach einer zunächst zeitlich und räumlich begrenzten Zulassung überprüft werden.

Pestizid-Mischungen

In der landwirtsc­haftlichen Praxis werden meist mehrere Pestizide in Form von Tankmischu­ngen und Spritzseri­en auf die Felder gebracht. Dadurch sind Ökosysteme vor allem Mischungen von Pestizi- den ausgesetzt. Wie diese Mischungen allerdings auf die Umwelt wirken, wird nach Aussage der Wissenscha­ftler derzeit unzureiche­nd geprüft. Sie empfehlen daher, bei der Risikobewe­rtung die landwirtsc­haftliche Praxis und die reale Umweltsitu­ation stärker zu berücksich­tigen.

„Das von uns vorgeschla­gene gestufte Zulassungs­verfahren hätte auch Vorteile für die Pflanzensc­hutzmittel-Industrie“, so Juliane Filser. Dadurch könnten unbedenkli­che Mittel früher unter Freilandbe­dingungen ausgebrach­t werden. Die Folge wäre, dass sich das gesamte Verfahren verkürzen und sich die damit verbundene­n Kosten deutlich reduzieren würden.

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