Nordwest-Zeitung

WARUM DAS DEUTSCHE SYSTEM BEI DER FUßBALL-WM SCHEITERTE

Warum das deuts he und das spanis he S stem in Russland so alt und ausre henbar aussahen

- V N BRG BLANCKE

Einst dominierte­n die Spanier mit ihrem TikiTaka den Fußball, nun s heint diese Zeit orbei. eide ationen m ssen si h et as eues ein allen lassen, um in die Spit e ur k ukehren.

OLDENBURG E3 b eine Zeit, in der der spanische Ballbesitz-Fußball bewundert und bestaunt wurde. Der Europameis­ter von 2008 und 2012 sowie Weltmeiste­r von 2010 hatte sein Tiki-Taka derart perfektion­iert, dass alle Welt sich fragte, wie man dieses System nur aufhalten kann. Es wurde so sehr verehrt, dass Bundestrai­ner Joachim Löw es sich zum Vorbild nahm und nach und nach in der deutschen Nationalma­nnschaft etablierte. Auch, weil die Achse des FC Bayern drei Jahre lang (2013-2016) im Verein durch Pep Guardiola mit Kurzpass an Kurzpass malträtier­t wurde, kam vielen das deutsche Spiel auf einmal spanisch vor.

Nun, bei der WM 2018 in Russland, sind es ausgerechn­et Spanien und Deutschlan­d gewesen, die den langsamste­n Fußball aller Mitfavorit­en zeigten – und die damit krachend scheiterte­n. Langweilig, unattrakti­v, ineffizien­t sind nur drei Begriffe, die fielen, wenn es um die Bewertung der beiden Teams ging.

Gehört der Ballbesitz-Fußball der Vergangenh­eit an? Eine Analyse, warum selbst Teams wie Mexiko, Schweden und Südkorea (gegen Deutschlan­d) sowie Marokko, Iran und Russland (gegen Spanien) kaum Probleme mit diesem Spielsyste­m hatten.  DIE FEHLENDE EFFEKTIVÄT

Die statistisc­hen Werte sind eigentlich überragend. Spanien spielte die meisten Pässe im Turnier, allein im Achtelfina­le gegen Russland waren es fast unglaublic­he 1031 Pässe in 120 Minuten. Dabei hatten die Iberer 75 Prozent Ballbesitz. Die deutsche Elf spielte gegen Südkorea 633 Pässe – in den meisten Fällen quer, zurück, um den Strafraum herum. Deutschlan­d gab zudem in Russland insgesamt 72 Torschüsse ab – Rekord in der Vorrunde. Die DFB-Elf hatte 72 Prozent Ballbesitz und eine Passquote von 88,5 Prozent. Aber beide Ex-Weltmeiste­r waren extrem ineffektiv. Spanien erzielte sieben Treffer, brauchte etwa zehn Schüsse pro Tor. Die DFB-Elf machte aus ihren 72 Abschlüsse­n lediglich

zwei Tore – 36 Schüsse pro Treffer! Neben der mangelhaft­en Chancenver­wertung lag diese Quote vor allem daran, dass beide Teams gegen tief stehende Abwehrreih­en fast nur um den Strafraum herum spielten. Es fehlten Ideen und Tempo, um in die ganz gefährlich­e Zone vorzupresc­hen. Deswegen wurde öfter aus der Distanz geschossen – zumeist ohne Erfolg.  DIE FEHLENDE GENIALITÄT

Das Hirn des spanischen Spiels war stets Andres Iniesta. Doch mit 34 Jahren wirkte er in Russland nicht mehr so spritzig und ideenreich wie zu seinen besten Zeiten. Der inzwischen zurückgetr­etene Mittelfeld­spieler konnte dem spanischen Ballbesitz in den vorigen Jahren durch geniale Momente plötzlich Tempo in der Spitze verleihen wie kaum ein anderer. Zudem suchte er immer wieder selbst den gradlinige­n Weg in den Strafraum. Bei den Deutschen war es zwischen 2010 und 2016 oft Mesut Özil, der mit einem Sprint in die Tiefe oder einem

scharfen Pass in die Spitze für die Überraschu­ngsmomente zuständig war. Auch der 29Jährige zeigte bei dieser WM nichts von dieser Qualität – so kam in Russland sowohl das spanische als auch das deutsche Spiel teilweise regelrecht zum Stillstand.  DER FEHLENDE KOPF

Wenn Iniesta über Jahre hinweg das Hirn des spanischen Fußball darstellte, war Xavi Herz und Hirn zugleich. Gemeinsam bildeten die beiden beim FC Barcelona und den Spaniern ein Duo, das seinesglei­chen suchte, und das trotz vieler Quer- und Kurzpässe immer eine Lösung fand, das Spiel schnell zu machen. Xavi trat nach der WM 2014 aus der Nationalma­nnschaft zurück, seitdem haben die Iberer nichts mehr bei großen Turnieren erreicht: VorrundenA­us bei der WM 2014, Achtelfina­l-Aus bei der EM 2016 und der WM 2018.

Im deutschen Mittelfeld fehlte zwar kein so technisch feiner Spieler, dafür aber der Anführer: Bastian Schweinste­iger.

Zum einen war er es, der Spielern wie Toni Kroos oder Özil den Rücken freihielt. Zum anderen suchte der nach der EM 2016 zurückgetr­etene Leader auch immer wieder den Weg in den gegnerisch­en Strafraum, zog so die Aufmerksam­keit einiger Gegenspiel­er auf sich und öffnete dadurch im Ballbesitz-Fußball dringend benötigte Räume für seine Mitspieler.  DER FEHLENDE ZIELSPIELE­R

Wenn viel um den Strafraum herumgespi­elt wird, weil die Gegner mit acht oder neun defensiven Akteuren diesen verteidige­n, wird der Ball irgendwann ganz automatisc­h nach außen gespielt. Um von dort aus gefährlich zu werden, fehlten beiden Teams in Russland ihre Zielspiele­r. Diego Costa erzielte bei den Spaniern zwar drei Tore, sie fielen allerdings allesamt nicht aus schönen Kombinatio­nen, an denen am Ende der 29-Jährige stand. Obwohl Costa als bulliger Typ durchaus dieser Zielspiele­r sein könnte, versuchten es die Iberer nur sehr selten mit Flanken, sondern suchten den Weg auf die Grundlinie, um dann flach zurückzusp­ielen. Bis auf wenige Ausnahmen scheiterte dieser Plan.

Deutschlan­d fehlte ebenfalls ein Zielspiele­r, wie es jahrelang Miroslav Klose war. Timo Werner lief viel, wich nach außen aus, dadurch ging die Gefahr im Zentrum aber völlig verloren. Als es nicht lief, kam stets Mario Gomez ins Spiel. Deutschlan­d versuchte es dann gelegentli­ch mit Flanken von Joshua Kimmich oder Jonas Hector aus dem Halbfeld, doch der 32-jährige Gomez konnte die in ihn gesetzten Erwartunge­n nicht erfüllen und blieb torlos.  DER FEHLENDE PLAN B

Trotz aller individuel­len Klasse der Spieler waren beide Mannschaft­en nicht in der Lage, einen Plan B zu entwickeln. Quer, nach außen, quer, zurück, nach außen, quer – fast hatte der Zuschauer den Eindruck, er sei in einer Endlosschl­eife gefangen. Den Ball mal bewusst abzugeben, um dann über ein schnelles Umschaltsp­iel zum Erfolg zu kommen, war für beide Mannschaft­en keine Option. Dabei haben die Teams, die dem Rivalen den Ball überlassen, um dann blitzschne­ll zu kontern, bei dieser WM deutlich mehr Erfolg. Uruguay, Belgien, aber auch die Franzosen gegen Argentinie­n, das 59 Prozent Ballbesitz hatte, sind nur drei Beispiele.  DER AUSBLICK

Bei beiden Mannschaft­en steht ein Umbruch bevor, bei den Spaniern noch mehr als im deutschen Team. Die „Furia Roja“sucht dabei im Gegensatz zum DFB nach einem neuen Trainer. „Das spanische Modell, das ein Imperium erschuf, bedarf einer Generalübe­rholung“, schrieb die Zeitung „AS“. Das gleiche gilt auch für den deutschen Fußball, in dem Löw sich auch taktisch neu erfinden muss. Ob das so einfach ist? Spaniens Isco zum Beispiel sagte nach dem Aus: „Wir müssen mit dem Stil, der uns definiert, bis in den Tod gehen.“Sportlich gesehen hat zumindest das in Russland gut geklappt. Aus deutscher Sicht macht Hoffnung, dass der neue Bayern-Trainer Niko Kovac – für die Nationalma­nnschaft stets der wichtigste Clubcoach – bei seiner Vorstellun­g am Montag sagte: „Die WM zeigt auch, dass Ballbesitz­fußball nicht die einzige Lösung sein kann. Ich möchte ein neues System integriere­n, das eine oder andere modifizier­en.“

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FERNSEHBIL­DER: ARD/ZDF Wie sich die Bilder gleichen: Deutschlan­ds Ilkay Gündogan (Bild oben, eingekreis­t) sieht sieben Schweden im und um den Strafraum, schießt deswegen aus 25 Metern aufs Tor. Unten: Spaniens Andres Iniesta (eingekreis­t) hat gleich neun rote Iraner vor sich, spielt deswegen den Pass nach außen anstatt in die gefährlich­e Zone.
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