Oldenburger Lehrer im Kriegsgebiet
Besuch bei Partnerschulen in Kobanê – Unterstützung für Bildung in Nordsyrien
Ser lang erwartete Be such offenbarte Spuren des Kriegs. Zu sehen war aber auch das Engage ment vieler Menschen.
OLDENBURG/KOBANÊ Der rieg in Syrien beschäftigt deutsche Medien diese Tage kaum mehr, die Einwohner vor Ort werden jedoch noch lange Zeit mit den Folgen des Konflikts konfrontiert sein, der ihr Land zerstörte und vielen Menschen das Leben kostete oder sie in die Flucht trieb.
Zwei Schulen in den Städten Kobanê und Girê Spî werden seit einigen Jahren beim Wiederaufbau durch die Oldenburger Helene-LangeSchule sowie die Oberschule Eversten unterstützt. Die Initiatoren des Projekts, Christian Katz und Birgit Zwikirsch, konnten nach langem Warten nun endlich die Partner in Nordsyrien besuchen.
Offenheit und Akzeptanz
„Es war schon ein sehr besonderer Moment, als wir die Schulen endlich in der Realität und vor allem in ihrer Umgebung sehen und mit den Kolleginnen sprechen konnten“, berichten Katz und Zwikirsch. Die von ihnen in Oldenburg mit Schülern organisierten Spendenläufe hatten bis zum Herbst 2017 insgesamt rund 63 000 Euro für die Partnerschulen eingebracht, um den Wiederaufbau zu unterstützen. Dieses europaweit einzigartige Projekt wurde im Mai sogar mit dem Oldenburger Zukunftspreis geehrt (die Ð berichtete).
Ein persönlicher Besuch war schon lange geplant, scheiterte bisher jedoch an den Entwicklungen des Krieges oder an deutschen Behörden. Jetzt aber konnten Katz und Zwikirsch sich einer Delegation von Mitgliedern der Bildungsgewerkschaft GEW anschließen, die verschiedene Orte in Rojava, der 2016 gegründeten Demokratischen Föderation Nordsyrien, besucht. Im Verlauf ihrer Reise sprachen die Oldenburger – unterstützt durch einen dolmetschenden Kollegen – mit
syrischen Lehrern sowie mit Vertretern der örtlichen Verwaltungen in Kobanê und Girê Spî und konnten sich nun einen persönlichen Eindruck machen.
„Was direkt erstaunt, ist die Offenheit der Leute“, erzählt Katz. Anders als man es sich in Deutschland gerne vorstellt, sei die gelebte Kultur nicht streng oder dogmatisch: „Es gibt dort regelmäßig Zusammenkünfte von Muslimen, Juden und Christen, die Dialog betreiben und sich über die Akzeptanz des jeweils anderen unterhalten. Die Religion vor Ort ist unglaublich tolerant. Es geht wirklich um die verschiedenen Menschen, und wie man miteinander umgeht.“
Auch beim Thema Frauen im Alltag sei man sehr offen. „Die Rolle der Frau ist eine besondere in Syrien, gerade jetzt beim Wiederaufbau“, so Katz. „Leute mit Vorurteilen gegen
Muslime müssten wirklich mal selber hinfahren, um sich ein Bild zu machen.“
Aufbau und Fortschritt
Ein solches Bild machten er und Birgit Zwikirsch sich dann vom Alltag in den Partnerschulen. Die Stadt Kobanê ist mittlerweile zu mehr als 80 Prozent wieder aufgebaut. An vielen Stellen wird mit Plakaten und Gedenkstätte der zahlreichen Toten gedacht, die bei der Verteidigung der Stadt ums Leben kamen. „Jeder, mit dem wir gesprochen haben, hat Familienangehörige verloren. Viele als Mitglieder der Verteidigungskräfte. Die Bürgermeisterin ist eine von drei Überlebenden einer Familie mit ehemals 14 Personen“, berichtet Katz.
Die Schule S. Osman wird derzeit von 1600 Schülern genutzt, die aufgrund der begrenzten Räumlichkeiten in
zwei Schichten Unterricht haben. Es fehle immer noch an Lehrmaterialien und Innenausstattung. „Wenn man das Gebäude von außen sieht, denkt man sich als Lehrer: Da passen vielleicht 400 Schüler rein“, sagt Katz, „aber die Verantwortlichen und die Schüler sind sehr engagiert, die machen das.“
Auch in Girê Spî, 60 Kilometer von Kobanê entfernt, ist die Schule S. Ehmet Yasin wieder betriebsbereit, doch Spuren des Kriegs sind hier noch gegenwärtig – Einschusslöcher oder Inschriften an den Wänden, eine Informationstafel über die Minengefahr. „Die Schulen wurden vom IS und später von Flüchtlingen besetzt und benutzt, das sieht man noch“, so Katz.
Der Schulalltag in Girê Spî ist fortschrittlich. Das Unterrichtsangebot ist konsequent zweisprachig in Kurdisch und Arabisch, wodurch Diskriminierungen abgebaut werden sollen. „In dieser Schule wird besonders deutlich, dass Bildung jetzt mit einer grundlegend neuen Ausrichtung vermittelt wird“, sagt Birgit Zwikirsch. Mit Projekten, wie etwa der Gründung einer Mädchenfußballmannschaft, sollen Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit pädagogisch umgesetzt werden.
Apropos Sport: „Es war gar nicht einfach, den Leuten zu vermitteln, wie unsere Spendenläufe funktionieren“, erzählt Katz mit einem Schmunzeln.
„Das konnten die sich einfach gar nicht vorstellen.“
Die Oldenburger Lehrer berichten, dass ihre syrischen Kollegen ein großes Verantwortungsgefühl an den Tag legen würden. „Bildung und Erziehung in Nordsyrien sind durch einen tiefen Wunsch nach Frieden, Gerechtigkeit und einer Perspektive für die junge Generation geprägt“, so Katz und Zwikirsch. „Mit viel Engagement und Kreativität angesichts der vorhandenen Möglichkeiten zeigen die Lehrkräfte den Schülern Möglichkeiten auf, Erlebtes auszudrücken und ein Empfinden von Gemeinschaft, Sicherheit und Freude neu zu entwickeln. Der Aufbau des Bildungssystems in Nordsyrien bietet den Kindern eine Perspektive für die Zukunft.“
Spenden und Austausch
Für die beiden Oldenburger geht es nach ihrer Reise direkt weiter im Engagement. Für August planen sie, ihre Reiseerlebnisse in mehreren Veranstaltungen vorzustellen, für das nächste Schuljahr ist eine weitere Spendenaktion geplant, die wieder den Partnerschulen zugute kommen soll. In Zukunft ist ein intensiverer Kontakt mit Kobanê und Girê Spî erwünscht. „Wir hoffen, irgendwann einen regelmäßigen Austausch – auch von Schülern – untereinander zu haben“, bestätigt Katz, „aber das wird noch dauern.“