Flüchtlinge werden Azubis
Steigende Bewerberzahl in Region – Agenturchef: Betriebe brauchen sie
Viele haben eine langen Weg hinter sich. Jetzt kommen sie in der dualen Ausbildung an.
OLDENBURG/WILHELMSHAVEN/ VECHTA/EMDEN Die seit 2015 in großer Zahl ins Land gekommenen Flüchtlinge werden zunehmend zur Verstärkung am regionalen Ausbildungsmarkt. Allein bei der Agentur für Arbeit OldenburgWilhelmshaven haben sich im laufenden Ausbildungsjahr (seit Oktober 2017) 1011 ausländische Jugendliche als ausbildungsplatzsuchend gemeldet – 275 mehr als vor einem Jahr. „Dies sehen wir positiv“, meinte Agenturchef Dr. Thorsten Müller im ÐInterview. „Viele junge Leute, auch Flüchtlinge, machen sich hier quasi auf den Weg in unsere duale Ausbildung.“Er betonte mit Blick auf den Fachkräftemangel: „Und die Betriebe brauchen sie.“
Wie hoch der Anteil der Flüchtlinge in der Rubrik „Ausländer“in der Statistik der Ausbildungsplatzsuche ist, ist nicht genau bekannt. Experten gehen aber davon aus, dass sie etwa 50 Prozent ausmachen und zurzeit klar Motor der steigenden Zahl von Bewerbern sind.
Dass diese nun vermehrt auf den Ausbildungsmarkt kommen, spüren auch die beiden anderen Arbeitsagenturen der Region: „Bis Ende Juni haben sich im Oldenburger Münsterland 287 ausländische Bewerber bei unserer Berufsberatung ausbilungsplatzsuchend gemeldet“, berichtete Frank Halbsguth von der Agentur Vechta. Das seien 80 beziehungsweise 38,6 Prozent mehr als zur gleichen Zeit des Vorjahres. Die für Ostfriesland zuständige Agentur in Emden meldete 272 Bewerber – nach 179 im Vorjahr. „Es gibt durchaus Vermittlungserfolge“, hieß es in Vechta. „Insbesondere im Handwerk werden verstärkt geflüchtete Jugendliche – oftmals nach einer Einstiegsqualifizierung oder einem Praktikum – in ein Ausbildungsplatzverhältnis übernommen“, sagte der Sprecher.
„Wir haben uns vehement um die Gruppe gekümmert“, sagte Heiko Henke, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Oldenburg. Erst hätten die Jugendlichen sich eingewöhnen, die Sprache erlernen und Arbeit ausprobieren müssen. Doch „jetzt kommen sie nach und nach in die Betriebe“, freute er sich.
„Wir haben uns vehement um diese Gruppe gekümmert“HEIKO HENKE, HANDWERKSKAMMER OLDENBURG
Vom Beginn des des großen Flüchtlingszustromes 2015 an tauchte auch dieses Argument immer wieder in der Diskussion auf: Die vielen Menschen, die zu uns kommen, hätten eine relativ günstige Altersstruktur – und sie könnten ja einen Beitrag zur Linderung des Azubi- und Fachkräftemangels leisten.
Das war damals natürlich ungleich leichter gesagt als getan. Vieles wurde von vielen grob unterschätzt – wie der Zeitbedarf für den Eingewöhnungsprozess in Deutschland, den Erwerb erster Sprachkenntnisse und die Ermittlung von Fähigkeiten und Neigungen. Anderes wurde weit überschätzt – auch die Bereitschaft von Zugewanderten, erst einmal langfristig in eine duale Ausbildung Zeit zu investieren, statt kurzfristig ungelernt zu jobben.
Erst jetzt, fast drei Jahre nach der großen Welle, werden ermutigende Erfolge zunehmend sichtbar: Immer mehr Flüchtlinge, etwa 800 im Raum Oldenburger Land/Ostfriesland, haben sich im laufenden Ausbildungsjahr als „ausbildungsplatzsuchend“bei den Arbeitsagenturen registrieren lassen. Das heißt: Sie bringen nun Sprachkenntnisse und Berufsorientierung mit. Jetzt kann es losgehen!
Längst gibt es eine Reihe von Beispielen, wie junge Leute mit Fluchthintergrund regionale Betriebe voranbringen – selbst in Technologieberufen wie Heizung/Klima.
Das ist auch ein Kompliment für die vielen Menschen der Region, die sich privat, im Betrieb oder in Organisationen früh um Flüchtlinge kümmerten – und hier eine Chance sahen. Jetzt beginnt sich dieses unschätzbare Engagement auszuzahlen – über den einzelnen Menschen hinaus auch für die Region. Sicher, es bleibt sehr viel zu tun. Die Zahl der Erfolgsstorys ist noch immer überschaubar, letztlich viel zu klein. Sie sind zu oft von Männern und zu selten von Frauen geprägt. Und, und, und. Aber ein ermutigender Anfang ist gemacht.
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