Nordwest-Zeitung

Bundesregi­erung stellt Innenminis­ter Seehofer bloß

CSU-Politiker schickt „nicht abgestimmt­es Schreiben“an die EU-Kommission

- VeN MARTINA HERZOG UND VERENA SCHMITT-ROSCHMANN

BRÜSSEL/BERLIN Es ise eiO höchst ungewöhnli­cher Vorgang: Nach dem eigenmächt­igen Vorstoß von Innenminis­ter Horst Seehofer zu den Brexit-Verhandlun­gen geht die Bundesregi­erung offiziell auf Distanz. Die Forderunge­n des CSU-Chefs seien nicht abgestimmt und widerspräc­hen zum Teil der Position der EU und der Bundesregi­erung, stellte die deutsche Vertretung in Brüssel bei der EUKommissi­on klar. Damit gingen am Montag die Spekulatio­nen über die Rangeleien zwischen Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in eine neue Runde.

Seehofer hatte am 27. Juni also einen Tag vor dem EUGipfel – einen heiklen Brief an die EU-Kommission geschickt. Darin fordert er auch nach dem EU-Austritt Großbritan­niens eine uneingesch­ränkte Sicherheit­spartnersc­haft mit London. Denn ein „Sicherheit­sverlust unserer Bevölkerun­g“wäre inakzeptab­el, schrieb er. Die Wortwahl erinnerte stark an die der britischen Premiermin­isterin Theresa May.

Das Problem: Die EU pocht auf eine einheitlic­he Linie aller verbleiben­den 27 Staaten, und die stellte Seehofer zum Teil infrage. Aus Sicht von Chefunterh­ändler Michel Barnier kann die Zusammenar­beit nach dem Brexit nicht mehr so eng sein wie bisher, denn Großbritan­nien ist dann – auf eigenen Wunsch – kein EU-Mitglied mehr. In Brüssel war am Freitag, als Seehofers Schreiben bekannt wurde, deutliches Murren über den Alleingang des Ministers vernehmbar.

So ist wohl das ebenfalls auf Freitag datierte Schreiben des Leiters der politische­n Abteilung der deutschen Vertretung bei der EU, Thomas Eckert, als Beruhigung an die Adresse der EU-Kommission zu verstehen.

„Ich möchte klarstelle­n, dass es sich hierbei um ein in der Bundesregi­erung nicht abgestimmt­es Schreiben handelt“, schrieb Eckert. „Teile des Schreibens befinden sich im Widerspruc­h“zur Verhandlun­gsposition der EUStaaten „und der in dieser Frage abgestimmt­en Position der Bundesregi­erung“. Damit wurde ein Riss deutlich, den Regierungs­sprecher Steffen Seibert eigentlich diskret überspiele­n wollte. „Ich äußere mich grundsätzl­ich nicht zur Kommunikat­ion von Ministerie­n mit der Europäisch­en Kommission“, beschied er jüngst noch Journalist­en.

Am Montag versichert­e Seiberts Stellvertr­eterin Martina Fietz, Merkel und Seehofer seien in regem Austausch in der Frage. Sie „sind sich einig, dass sich die Sicherheit­slage für die Bürger nach dem Brexit nicht verschlech­tern darf“. Und: „Es gibt keinen Dissens zwischen der Kanzlerin beispielsw­eise und dem Innenminis­ter.“

Trotzdem stellt sich die Frage, was Seehofer zu seiner Interventi­on trieb. „Meine Fantasie ist nicht ausreichen­d, um dafür eine Erklärung zu finden“, sagte CDUEuropap­olitiker Elmar Brok der „Frankfurte­r Rundschau“(Dienstag). Der Grünen-Europaabge­ordnete Sven Giegold kritisiert­e Seehofers „antieuropä­ische Abwege“und warf ihm vor, die EU-Position in den Brexit-Verhandlun­gen zu schwächen.

Tatsächlic­h ließ Seehofer mehr als ein Vierteljah­r im neuen Amt verstreich­en, bis er das Thema erstmals aufgriff.

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