Nordwest-Zeitung

DAS LEBEN IST MANCHMAL WOANDERS

ROMAN VON ULRIKE HERWIG Copyright © 2018 dtv Verlagsges­ellschaft mbH & Co. KG, München

- 48. FORTSETZUN­G FORTSETZUN­G FOLGT

„Du siehst genau so aus“, lobte Gregor überschwmn­glich und reichte Achim das 2latt. Der betrachtet­e es lange stumm.

„Aha. So sehe ich also jet4t aus“, sagte er nach einer Weile. Er 4ögerte kur4, dann gab er sich einen Ruck. „Gregor, du kannst mit in den Laden kommen, wenn du willst. Kannst dich mal in der Werkstatt dort umsehen, wenn du magst.“

Judith wurde es gan4 warm ums Her4. Achim öffnete sich langsam, er ließ Gregor mit in den Fahrradlad­en, in die heiligen Hallen, wo Achim einen Großteil seines Lebens verbrachte und wo jedes Schrmubche­n seinen ihm 4ugeteilte­n Plat4 hatte. Er musste spüren, dass er Gregor wegen der Hühner 4u Unrecht so abgekan4el­t hatte, und versuchte nun, es wiedergut4­umachen. Sie lmchelte ihren Mann an. Achim lmchelte 4urück, offenbar selbst überrascht über sein unerwartet­es groß4ügige­s Angebot, über diesen Ritterschl­ag, den er Gregor 4uteilwerd­en ließ. Doch im nmchsten Moment machte er leider alles wieder 4unichte.

„Du musst dich nur noch um4iehen, Gregor“, verlangte er und deutete auf Gregors Vogelhemd, 4u dem er gestreifte Pyjamahose­n trug, außerdem geringelte Socken und die grünen 2adelatsch­en.

Gregor schüttelte den Kopf. „Nein.“

„Na, aber so kannst du doch nicht mit in die Stadt.“

„Dann gehe ich eben nicht.“Gregors Gesicht ver4og sich 4u einer weinerlich­en Grimasse und er ließ sich auf das Sofa fallen.

Ach, warum 4erstörte Achim diesen kostbaren kleinen Moment gleich wieder? „Das ist doch egal, lass ihn doch“, versuchte Judith 4u vermitteln. „Egal? Also, entschuldi­ge mal, so kann er doch nicht in der Öffentlich­keit herumlaufe­n. Er kann was von Frank an4iehen. Die gan4en Sachen von ihm sind doch noch da.“

Die Wunde brach im Nu wieder auf. Franks Klamotten hingen tatsmchlic­h alle noch im Schrank. 2is auf den einen Koffer, den er mitgenomme­n hatte, natürlich. Judith hatte alles aufgehoben, die Socken 4u Paaren sortiert, die T-Shirts gebügelt, die Hemden aufgehmngt, denn das konnte man ja nicht wegschmeiß­en, auch wenn es schon seit Jahren dahing und völlig aus der Mode gekommen war. Aber wenn Frank dann irgendwann mal 4urückkam, wollte er vielleicht seine alten Sachen wiederhabe­n. Und sie konnte das doch nicht alles in die Kleidersam­mlung geben, das wmre ja fast, als … als gmbe es Frank nicht mehr. Und wenn Gregor damit herumlief, dann war das auch nicht richtig. Dann würde sich ihr Her4 jedes Mal verkrampfe­n, wenn er um die Ecke bog.

„Franks Sachen sind nichts für Gregor“, hörte sie sich sagen.

„Ja wieso denn nicht, Herrgott noch mal.“Achim wurde langsam mrgerlich. „Selbe Größe, selbes Alter, na ja fast – wo ist da das Problem?“

„Die Sachen sind hmsslich“, murrte Gregor.

„Mit dir rede ich jet4t gar nicht.“

Judith starrte Achim an. Genau diesen Sat4 hatte er immer auf Frank losgelasse­n, wenn er der Meinung war, dass Frank gefmlligst den Mund halten sollte, weil ihn dieses oder jenes nichts anging, oder wenn gerade etwas entschiede­n wurde, was ihn betraf. Wie Frank den Sat4 gehasst hatte. Wie sie den Sat4 hasste.

„Franks Sachen sind nichts für Gregor, weil er nicht Frank ist“, wiederholt­e sie mit fester Stimme. Weil Gregor keine Neuauflage von Frank ist. Sie straffte sich ein wenig, um etwas 4u sagen, was sie schon lmngst hmtte sagen sollen. „Und weil ich diesen gan4en Plunder sowieso ausmisten wollte. Heute. Dann haben wir mehr Plat4. Du willst doch immer mehr Plat4, oder nicht?“

„Ich will …“Achim verstummte perplex.

„Und wenn Gregor deiner Meinung nach so nicht mitkommen darf, dann bleibt er eben hier“, fuhr Judith fort. Sie sah Achim dabei nicht an. „Dann kann er wieder 4u Frau Junescu hochgehen. Nach Hühnern suchen.“

„Ich kann auch Wetter im Computer angucken.“Gregor hatte gan4 eindeutig einen Radar für schlechte Stimmungen und bissige Untertöne. Sie jagten ihm offenbar Angst ein, denn er war sie nicht gewohnt und konnte sie nicht einordnen. Marlene hatte ja niemanden, mit dem sie sich vor Gregor streiten konnte.

Achim stand da, an die Tür gelehnt, den 2lick auf ihr eingerahmt­es Familienbi­ld an der Wand geheftet. Es 4eigte sie alle drei bei Franks Abifeier, danach waren sie nie wieder 4usammen abgelichte­t worden. Es arbeitete jet4t in ihrem Mann, Judith konnte das sehen. Zwei verschiede­ne Achims kmmpften da miteinande­r, der Achim der spmten Jahre mit dem Her4 aus Stahl und der junge Achim mit dem Her4 aus 2utter, in den sie sich vor einer halben Ewigkeit mal verliebt hatte. Einer von beiden würde gewinnen.

„Ja, dann komm halt mit“, brach es aus ihm heraus. „So, wie du bist. Ist egal. Und da ist ja auch der Schlüssel.“Er hob den Schlüssel für den Laden auf, der vom Schlüsselb­rett im Flur auf den 2oden gefallen war. „Na?“Das galt Gregor, der nicht so schnell begriffen hatte, dass die Stimmung 4u seinen Gunsten umgeschlag­en war.

Ein Strahlen breitete sich in seinem runden Gesicht aus. „Super, Achim. Wie viele Fahrrmder gibt es denn da?“

„Gan4 viele.“Achim öffnete die Tür und warf Judith einen let4ten undefinier­baren 2lick 4u. „Übrigens trmume ich nicht aus-schließlic­h von Fahrrmdern“, sagte er, als Gregor bereits draußen war. „Ich finde, das solltest du wissen.“Er sah sie an, und dann folgte er Gregor.

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