Helgolands Kapitäne arg verwundert
„Ungepflegter Zustand schon äußerlich zu sehen“– Zweites Boot kann in Betrieb bleiben
Ermittler der Wasserschutzpolizei und ein Gutachter haben auch „Die Liebe“überprüft. Lange Liegezeiten an Land gelten hier als „Gift für Holzboote“.
OLDENBURG Dieter Becker ist wahrscheinlich der einzige Mensch, der den wahren Grund des Untergangs von „Marianne“– einem von zwei Oldenburger Börtebooten im Ausflugsbetrieb – kennt. Der Sachverständige aus Wilhelmshaven hatte gleich zu Wochenbeginn jenes Wasserfahrzeug begutachtet, das am Samstag im Küstenkanal versank und für bundesweite Schlagzeilen sorgte. Die meisten der 27 Passagiere konnten sich wie berichtet in tatsächlich letzter Minute noch halbwegs trockenen Fußes an Land retten.
„Das sicherste Verkehrsmittel“
Die Oldenburger Staatsanwaltschaft hatte Becker zügig den Auftrag zur Prüfung gegeben, derzeit schreibt er an der strafrechtlich wohl durchaus interessanten Expertise. Er dürfte alsbald die wichtigsten Fragen beantworten können: Gab es Versäumnisse bei der Unterhaltung des 65 Jahre alten Holzbootes? Oder gar etwaige Fahrfehler, wie es aus der betroffenen Vlothoer Reisegruppe heißt?
Becker hatte nach eigener Aussage auch die letzte Prüfung des Bootes im Jahr 2015 vorgenommen – also vor drei Jahren beziehungsweise drei Ausflugssaisons und entsprechend auch drei Winterperioden. Auf Ð-Nachfrage antwortete er „ganz allgemein“, ohne aus besagtem Gutachten zu zitieren und ohne eine Wertung für den aktuellen Fall abzugeben, wie er betont: „Lange Liegezeiten an Land sind grundsätzlich Gift für Holzboote – es können Trocknungsrisse entstehen.“Was dann wiederum entsprechend geschmiert und repariert werden muss. Ob dies ein Grund für den plötzlichen Wassereinbruch im Börteboot war? Unklar. Noch zumindest. Die Staatsanwaltschaft dürfte recht zeitnah weitere Einblicke
in das Gutachten gewähren und über die weiteren juristischen Schritte, falls nötig, informieren.
„Da wurde nichts oder nur wenig dran getan“
Am Gewicht kann der Untergang schon mal nicht gelegen haben; das hiesige Transportmittel ist für bis zu 40 Personen zugelassen. Zum Zeitpunkt des Untergangs waren neben den 27 Passagieren nur noch zwei Crew-Mitglieder an Bord. Ohnehin: Oldenburgs Börteboote sind wie die Zwillinge aus Helgoland – von dort wurden „Marianne“und „Die Liebe“vor etwa 13 Jahren über die offene Nordsee in die Huntestadt geholt – aus massivem Eichenholz gebaut und wiegen etwa acht Tonnen. Sie gelten als „sicherstes Verkehrsmittel in Deutschland“und sind überdies „voll hochseetauglich“(Zitat Helgoländer Kurverwaltung).
Entsprechend irritiert, ja vielmehr schwer verwundert, zeigt man sich auf der Nordseeinsel über den Vorfall in Oldenburg. Die Berichterstattung, die Fotos und Filme zum Untergang, habe man
sich sehr interessiert angeschaut. „Das gibt es einfach gar nicht bei uns und wird es auch nie geben“, sagt Eigner und stv. Brückenkapitän Sven Köhn. Die Boote der Köhns werden regelmäßig von der SeeBerufsgenossenschaft (SeeBG) und vom Germanischen Lloyd (TÜV) überprüft – und das einmal pro Jahr, immer kurz bevor die im Schnitt über 50 Jahre alten Boote ins Wasser gebracht werden.
Zum Vergleich: Prüftermine zur „Vollabnahme“für die
beiden Holzboote in Oldenburg finden im Fünf-JahresRhythmus statt, so das verantwortliche Unternehmen „City-Sailing“. Boote auf Binnengewässern benötigten allerdings auch nicht eine derart intensive Betreuung wie auf der Nordsee.
War’s dennoch viel zu wenig Pflege? Zwischen den Zeilen der Staatsanwaltschaft, der Ermittler und auch der Experten aus Helgoland lässt sich durchaus ein Vorwurf der Fahrlässigkeit herauslesen.
Sven Köhn empfindet die Bilder des nach dem Untergang gehobenen Bootes als wenig vertrauenserweckend: „Man kann ja schon äußerlich sehen, dass das Boot ziemlich ungepflegt ist. Da wurde nichts oder nur wenig dran getan“, sagt er. Auf Helgoland hingegen – hier wird mit den Börtebooten in der Hauptsache ein- und ausgebootet – gelte ganz im Sinne der Passagiere der „höchste Sicherheitsstandard“.
„In einem besseren Zustand als Marianne“
Und vor genau diesem Hintergrund hatten nach ÐInformationen also Wasserschutzpolizei und Sachverständiger auch der „Liebe“, dem zweiten ungefähr gleichaltrigen Börteboot des Unternehmens, bereits einen Überraschungsbesuch abgestattet.
Bei diesem Ausflugsboot sei allerdings „alles in Ordnung“und müsse entsprechend auch nicht still gelegt werden, heißt es da. Und da ist dann noch dieser Nebensatz: „Es scheint in einem besserem Zustand als die Marianne zu sein.“