MIT STRAßENAUSBAU ABRISSE VERHINDERT
Ehemaliger Stadtbaurat Horst Neidhardt Förderer der Oldenburger Fußgängerzone
Schon 1957 wurden die Weichen für die Innenstadtentwicklung neu gestellt. Die Achternstraße sollte auf zwölf Meter verbreitert werden.
OLDENBURG Die Stadt ist im Zweiten Weltkrieg von großflächigen Bombardements und Zerstörungen verschont geblieben, doch dann riss der damalige Stadtbaurat viele schöne Häuser ab. Diese Wahrnehmung vom Wirken Horst Neidhardts teilen viele, vor allem ältere Oldenburger.
Doch vielleicht tut man dem Mann unrecht, der ab 1939 zunächst als Hochbaudezernent in den Dienst der Stadt Oldenburg trat und nach Kriegsteilnahme und Gefangenschaft im Jahr 1945 wieder seinen Dienst aufnahm. 1964 wurde er zum Stadtbaurat gewählt und behielt dieses Amt bis zu seiner Verabschiedung im Dezember 1974. DER ZEIT VORAUS
In diese Zeit fallen zweifelsohne die Abrisse der schönen „Runde-Villa“an der Gartenstraße 1, sowie der Kaufhäuser Merkur und Gerelfs mit ihren hübschen Fassaden sowie der Bau des Hallenbades Berliner Platz. Doch Neidhardt hatte offenbar auch das Große und Ganze im Blick und war der Zeit vor allem in verkehrspolitischen Fragen weit voraus.
In seinem 1975 von der Bremer Landesbank, der Staatlichen Kreditanstalt Oldenburg-Bremen und der Öffentlichen Bausparkasse Oldenburg-Bremen herausgegebenen Buch „Der Fußgänger und seine Stadt“, das der Ð bei einem Bummel über den Flohmarkt quasi in die Hand fiel, spannt er einen weiten Bogen von der vermutlich ersten Fußgängerzone der Welt (in Pompeji wurden bei Ausgrabungen Begrenzungssteine freigelegt, die das Befahren von Plätzen mit Pferdegespannen verhinderten) bis hin zur Eröffnung der autofreien Oldenburger Innenstadt im Jahr 1967. ZUSAMMENHÄNGE
Neidhardt zeigt in dem Buch Zusammenhänge zwischen dem Auto als Wohlstandsobjekt und Statussymbol, dem Wirtschaftswunder und der wachsenden Bevölkerung Oldenburgs auf. Schon damals hielt die Entwicklung der Infrastruktur kaum Schritt. „Die Lehrerin fährt ebenso mit dem eigenen Auto zur Schule wie die Raumpflegerin zur abendlichen Reinigung des Gebäudes. Man stelle sich vor, daß vor 100 Jahren der Handwerker oder die Hausgehilfin mit ihrem eigenen Pferdewagen zum Arbeitsplatz gefahren wäre!“, schreibt Neidhardt. Die Frauen arbeiteten heute fürs Familieneinkommen mit, „auch wenn sie sich dadurch als Mütter der Erziehung der Kinder entziehen“, gewährt der Stadtbaurat einen Einblick in das damals noch weit verbreitete gesellschaftliche Denken und Frauenbild. Für die Gesundheit wird die Umwelt durch Auspuffgase, Lärm und höhere Gefährdung beeinträchtigt, schrieb er weiter und stellt das Auto als Transportmittel durchaus in Frage.
„Vier- bis achtspurige Straßen, eine Autobahn umgibt heute die Städte wie einst die
Stadtmauern. Verteidigten sich früher die Bürger hinter den Mauern gegen die Feinde, halten die Autobahnen heute den störenden Fernverkehr von der Stadt fern. „Den Fußgängern muß ein System nur ihnen zugänglicher Straßen und Plätze geschaffen werden, die wieder all das an typischen Einzelheiten enthalten sollen, was das Verweilen in der Stadt angenehm macht.“ INTERNATIONAL BEACHTET
Oldenburg sollte mit der Einrichtung der ersten zusammenhängenden Fußgängerzone international Beachtung finden. „Bei der ersten Konferenz über Verkehrsordnung 1973 in Brügge (Belgien) wurde, durch die O.E.C.D. veranlaßt, unter den Städten mit verkehrsfreien Zonen als einzige Stadt Oldenburg behandelt“, schreibt der Stadtbaurat in seinem Buch weiter. Ein paar Zeilen weiter zeigt er ein (auch aus heutiger Sicht) Horrorszenario auf: „Nach den seinerzeit erkennbaren Erfordernissen wurde in den zwanziger Jahren zur Aufnahme des motorisierten Verkehrs in den Innenstadtstraßen durch die Festsetzung von Fluchtlinien die Verbreiterung auf zwölf Meter vorbereitet. Die Weltwirtschaftskrise und später der 2. Weltkrieg haben verhindert, daß mehr als 1 Haus an einer der betroffenen Straßen, der Achternstraße, abgebrochen und der Ersatzbau auf der neuen Fluchtlinie errichtet worden
ist.“Auch das Baudenkmal Hirsch-Apotheke wäre abgerissen worden, was ein aufmerksamer Architekt zu verhindern wusste.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen 40 000 Vertriebene und Flüchtlinge in die Stadt, der motorisierte Verkehr schwoll an und rief den Stadtrat auf den Plan. Um den weiterhin möglichen Abriss der Häuser in der Innenstadt für den Ausbau der Straßen zu verhindern, wurde 1957 dem Rat ein Flächennutzungsplan vorgelegt. Darin heißt es: „Die Innenstadt bleibt vorzüglich den Fußgängern vorbehalten. Der Fahrverkehr wird auf dem dafür auszubauenden Wallring um die Kernstadt geleitet und durch den Ausbau der Radialstraßen an die Umgehungsstraße angeschlossen. Der im Kriege begonnene Bau
der Umgehungsstraße wird vollendet.“Für die Umsetzung des schließlich im Jahr 1959 vom Rat beschlossenen Planes mussten die alte Feuerwache am Julius-MosenPlatz sowie die bereits erwähnte Runde-Villa abgerissen werden. Es gab auch Gegner für die Einrichtung einer Fußgängerzone. Geschäftsleute und Gastwirte befürchteten Einbußen, wenn die Kundschaft nicht mehr mit dem Auto vorfahren kann – ein Trugschluss, wie sich herausstellen sollte. KERNSTADT ERREICHEN
Und dann gibt Neidhardt im Jahr 1975 einen Ausblick, der in Teilen noch heute gilt: „Die Begegnung von möglichst vielen Menschen aus allen Stadtteilen und mit Fremden führt erst zum Erfolg. Nicht in erster Linie, weil sie Geschäfte beleben, sondern stärker noch, weil sie offensichtlich daran Freude haben, sich selbst zu erleben. Deshalb dürfen sie durch keine Maßnahme davon abgehalten werden, die Kernstadt leicht zu erreichen. Die Versuche zur Beschränkung der Zufahrt privater Autos zum inneren Ring, die aufgrund von Beobachtungen in großen Ballungsräumen gemacht worden sind, schlagen in Oldenburg fehl. Die kleine Großstadt mit ihrer lockeren Besiedlung, mit einem künftig noch weiträumigeren, dünn besiedelten, überwiegend landwirtschaftlich genutzten
Bezirk, wird durch öffentliche Nahverkehrsmittel nie ausreichend versorgt werden können. Auch der Nulltarif würde daran nichts ändern. Das eigene Auto ist für Bauern und Siedler unerläßlich, wenn sie in dieser Gesellschaft vergleichbar leben wollen. Sie alle sollen und wollen in die Dienstleistungsstadt, wo Handel und Wandel, Kultur und Gericht, Verwaltung und Lehre, soweit möglich, konzentriert sind. Deshalb müssen in möglichst unmittelbarem Zusammenhang mit der Innenstadt oder doch so, daß sie gefahrlos zu Fuß erreichbar ist, weitere unterirdische Autoparkanlagen oder Parkhäuser gebaut werden. Abhängig von den Nutzflächen für Geschäfte, Restaurants, Büros und Praxisräumen müssen gegenwärtig in Oldenburg z. B. rund 5000 Stellplätze im Nahbereich verfügbar sein. Unterirdisch sind die Autos auch optisch weggestellt und stören so am wenigsten. TEURE LÖSUNG
Die Lösung ist aber teuer; wenn jedoch nicht nur der finanzielle Aufwand, sondern in erster Linie die allseits zufriedenstellende Art und Weise des Parkens beurteilt wird, verdient die Unterfluranlage den Vorzug. Rad- und Fußwege sollten auf Stegen über den gefährdenden Fährverkehr der Ringstraße Fußgänger und Radfahrer aus den Wohnquartieren durch Grünanlagen oder entlang den Wasserläufen in die Altstadt führen. Viele Menschen sollten wieder zu Fuß oder auf dem Fahrrad ,in die Stadt gehen’. Wenn der Weg gefahrlos, gesund und angenehm ist, wird das gelingen. Auf den schmalen Bürgersteigen autolärmerfüllter Straßen lockt das freilich niemanden! In der ,Stadt’ sollte dann alles zu Fuß erreichbar sein.“Und weiter: „Die Grenzen des Wachstums unserer Städte sind erkennbar geworden. Erwartungen, wie sie z.B. im Niedersächsischen Landesentwicklungsprogramm noch als zu mäßig erschienen sind, werden kaum erfüllbar sein. Städte und ihre Bürger täten deshalb gut daran, nur noch das sicher Erreichbare zu planen und das Vorhandene weiter auszugestalten“– gestern wie heute.
Neidhardt starb im Februar 2005 im Alter von 95 Jahren.