Nordwest-Zeitung

Kein Fußballwun­der in Rot-Weiß

Wie kroatische Fans in Oldenburg das Finale erlebten

- VON PATRICK BUCK

Der Lindenkroo­g glich zum Finale „Klein-Kroatien“. Gefeiert wurde trotz der Niederlage.

OLDENBURG Die Gaststätte an der Lindenstra­ße trägt einen Namen, wie er deutscher kaum sein könnte: Lindenkroo­g. Doch tritt der Gast an diesem Sonntag durch die Tür, überschrei­tet er die Grenze nach Klein-Kroatien. Wirt Miroslav Martinec hat als Präsident dieser Kurzzeit-Republik seine Anhänger zusammenge­rufen. Staatsform ist die Fußballokr­atie, die Währung ist der Glaube an den großen Traum vom WMTitel – und der Euro für die Bierbestel­lung.

150 oder mehr Kroaten und jene, die es heute gerne wären, bilden ein rot-weiß-kariertes Knäuel vor dem großen Spiel gegen Frankreich. Die wie üblich unsägliche Abschlussf­eier wird ignoriert und mit kroatische­r Pop-Musik überlagert. „Für uns ist das heute doch ohnehin schon ein Erfolg“, sagt Martinec. Mit Inbrunst schmettern sie die Nationalhy­mne durch den Zigaretten­qualm. Das muss doch bis Moskau zu hören sein!

Strinic dribbelt die erste Ecke heraus und verdient Szenenappl­aus. Das langgezoge­ne „Ohhhh“der Zuschauer endete aber in enttäuscht­er Tonart.

Ein Kroate schießt ein Tor – niemand jubelt. Abseits? Nein. Toller Kopfball? Auch nicht. Viel Anschlusst­reffer zum 2:4: Keimt da etwa noch mal Hoffnung auf?

schlimmer: Eigentor. Aber Rückstand kennen sie ja von diesem Turnier.

Perisic haut die Kugel ins Netz – und mit derselben Wucht scheint das Dach des Lindenkroo­gs für einen Moment abzuheben. Die Menge skandiert einen Schlachtru­f auf Kroatisch. Er lässt sich grob übersetzen mit „Kämpf’, kämpf’ für dein Land“, erklärt Martinec später.

Quälend lang starrt der Schiedsric­hter auf seinen Bildschirm, während im Lindenkroo­g alle beunruhigt am Bier nippen: Elfmeter. Torhüter Subasic helfen die Anfeuerung­srufe aus Oldenburg nicht.

Fanartikel des Tages sind zwei rot-weiße Kroatien-Wasserball-Badekappen. Sie zieren die Köpfe

von Karina und Katarina Bilbija aus Papenburg. Im Wasserball ist Kroatien Weltmeiste­r. Karina ist am Tag zuvor erst aus Kroatien zurückgeke­hrt. Das Halbfinale hatte sie in Split verfolgt. „Das war einfach unglaublic­h“, erzählt sie.

Und warum ist sie jetzt hier? Sie grinst: „Das war lange geplant. Mein Lebensgefä­hrte ist Deutscher und er wollte, dass ich zurück bin, wenn Deutschlan­d im Finale steht“. Beide Frauen sind weiter zuversicht­lich. „Es kommt auf die Motivation an, und davon hat Kroatien mehr gezeigt“, sagt Katarina.

Wenn jetzt jemand in den Lindenkroo­g marschiere­n und jedem Gast das Bier aus der Hand schlagen würde, er wäre immer noch beliebter als Paul Pogba. Der Franzose dreht mit seinem

Tor die Lautstärke im Lindenkroo­g herunter.

Und wieder sitzt der Schuss der Franzosen. Wo eben noch Hoffnung war ist erst enttäuscht­es Kopfschütt­eln, dann trotziger Gesang.

Doch was war das? Aus dem Nichts plötzlich ein Tor für Kroatien. Im Lindenkroo­g gibt es heute mehr Stimmungss­chwankunge­n als beim Jahrestref­fen der Hormonther­apierten.

Es wird geklatscht und gesungen – trotz allem.

Es war ein Traum, er muss es bleiben. Kroatien wacht auf, aber mit einem Lächeln auf dem Gesicht. „Wir sind trotzdem stolz“, sagt Karina Bilbija. Und Weltmeiste­r im Wasserball ist ja auch nicht schlecht.

 ?? BILD: MARTIN REMMERS ??
BILD: MARTIN REMMERS

Newspapers in German

Newspapers from Germany