Kein Fußballwunder in Rot-Weiß
Wie kroatische Fans in Oldenburg das Finale erlebten
Der Lindenkroog glich zum Finale „Klein-Kroatien“. Gefeiert wurde trotz der Niederlage.
OLDENBURG Die Gaststätte an der Lindenstraße trägt einen Namen, wie er deutscher kaum sein könnte: Lindenkroog. Doch tritt der Gast an diesem Sonntag durch die Tür, überschreitet er die Grenze nach Klein-Kroatien. Wirt Miroslav Martinec hat als Präsident dieser Kurzzeit-Republik seine Anhänger zusammengerufen. Staatsform ist die Fußballokratie, die Währung ist der Glaube an den großen Traum vom WMTitel – und der Euro für die Bierbestellung.
150 oder mehr Kroaten und jene, die es heute gerne wären, bilden ein rot-weiß-kariertes Knäuel vor dem großen Spiel gegen Frankreich. Die wie üblich unsägliche Abschlussfeier wird ignoriert und mit kroatischer Pop-Musik überlagert. „Für uns ist das heute doch ohnehin schon ein Erfolg“, sagt Martinec. Mit Inbrunst schmettern sie die Nationalhymne durch den Zigarettenqualm. Das muss doch bis Moskau zu hören sein!
Strinic dribbelt die erste Ecke heraus und verdient Szenenapplaus. Das langgezogene „Ohhhh“der Zuschauer endete aber in enttäuschter Tonart.
Ein Kroate schießt ein Tor – niemand jubelt. Abseits? Nein. Toller Kopfball? Auch nicht. Viel Anschlusstreffer zum 2:4: Keimt da etwa noch mal Hoffnung auf?
schlimmer: Eigentor. Aber Rückstand kennen sie ja von diesem Turnier.
Perisic haut die Kugel ins Netz – und mit derselben Wucht scheint das Dach des Lindenkroogs für einen Moment abzuheben. Die Menge skandiert einen Schlachtruf auf Kroatisch. Er lässt sich grob übersetzen mit „Kämpf’, kämpf’ für dein Land“, erklärt Martinec später.
Quälend lang starrt der Schiedsrichter auf seinen Bildschirm, während im Lindenkroog alle beunruhigt am Bier nippen: Elfmeter. Torhüter Subasic helfen die Anfeuerungsrufe aus Oldenburg nicht.
Fanartikel des Tages sind zwei rot-weiße Kroatien-Wasserball-Badekappen. Sie zieren die Köpfe
von Karina und Katarina Bilbija aus Papenburg. Im Wasserball ist Kroatien Weltmeister. Karina ist am Tag zuvor erst aus Kroatien zurückgekehrt. Das Halbfinale hatte sie in Split verfolgt. „Das war einfach unglaublich“, erzählt sie.
Und warum ist sie jetzt hier? Sie grinst: „Das war lange geplant. Mein Lebensgefährte ist Deutscher und er wollte, dass ich zurück bin, wenn Deutschland im Finale steht“. Beide Frauen sind weiter zuversichtlich. „Es kommt auf die Motivation an, und davon hat Kroatien mehr gezeigt“, sagt Katarina.
Wenn jetzt jemand in den Lindenkroog marschieren und jedem Gast das Bier aus der Hand schlagen würde, er wäre immer noch beliebter als Paul Pogba. Der Franzose dreht mit seinem
Tor die Lautstärke im Lindenkroog herunter.
Und wieder sitzt der Schuss der Franzosen. Wo eben noch Hoffnung war ist erst enttäuschtes Kopfschütteln, dann trotziger Gesang.
Doch was war das? Aus dem Nichts plötzlich ein Tor für Kroatien. Im Lindenkroog gibt es heute mehr Stimmungsschwankungen als beim Jahrestreffen der Hormontherapierten.
Es wird geklatscht und gesungen – trotz allem.
Es war ein Traum, er muss es bleiben. Kroatien wacht auf, aber mit einem Lächeln auf dem Gesicht. „Wir sind trotzdem stolz“, sagt Karina Bilbija. Und Weltmeister im Wasserball ist ja auch nicht schlecht.