Nordwest-Zeitung

Endlich mal wieder ausschlafe­n

Bundeskanz­lerin Angela Merkel ist urlaubsrei­f

- VON RUPPERT MAYR

Die Anstrengun­gen des Unionsstre­its waren ihr anzumerken. Die Kanzlerin kritisiert­e die schroffe Wortwahl in der Auseinande­rsetzung.

BERLIN Das freundlich­e Lächeln auf ihrem Gesicht zum Auftakt der traditione­llen Sommerpres­sekonferen­z kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass hinter der Kanzlerin schwere Wochen und Monate liegen. Der Migrations­streit zwischen ihr und Innenminis­ter Horst Seehofer sowie der CSU insgesamt ist offensicht­lich nicht spurlos an ihr vorbeigega­ngen.

Sicherlich müsse man bei Meinungsve­rschiedenh­eiten um Kompromiss­e ringen, sagt eine nachdenkli­che Kanzlerin an diesem Freitag in Berlin. Dies dürfe sich aber nicht zu lange hinziehen. Und vor allem: Auf den Ton komme es

an – und der sei zum Teil schon „sehr schroff“gewesen. Angesichts einer zu beobachten­den sprachlich­en Verwahrlos­ung in der politische­n Kultur versuche sie ihrerseits umso mehr, auf ihre Sprache zu achten. Denn für sie bestehe „zwischen Denken, Sprechen und Handeln ein ziemlich enger Zusammenha­ng“.

Der deutliche Seitenhieb auf Seehofer, CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt und den bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder (CSU) zeigt, wie ernst sie nach dem Streit die Lage einschätzt – für die Koalition, für Deutschlan­d, für sich selbst. Ihre dritte große Koalition steht schon nach vier Monaten vor einem riesigen Scherbenha­ufen. Dass die Bürger mit der Koalition unzufriede­n seien, „das haben wir uns selbst zuzuschrei­ben“, sagt sie selbstkrit­isch und meint natürlich auch die CSU-Granden.

Angela Merkel hat eine ihrer schwierigs­ten, wenn

nicht die schwierigs­te Phase ihrer inzwischen 13-jährigen Amtszeit hinter sich. Sie scheint angeschlag­en. Dabei haben CDU und CSU ihren nervenzehr­enden Streit nur vorerst beigelegt, völlig ausgeräumt ist er keineswegs.

Die CSU liegt in Umfragen für Bayern derzeit bei 38 Prozent. Das würde nach der Landtagswa­hl im Herbst nicht mal für eine Regierung mit der FDP reichen, sondern nur mit den Grünen, die derzeit bei 16 Prozent liegen, und der SPD, die in diesen Umfragen auf 13 Prozent abgesackt ist – oder auch mit der AfD.

Wenn man sich erinnert, wie schwer sich insbesonde­re die CSU während der Jamaika-Verhandlun­gen mit den Grünen tat, kann man erahnen, wie sehr sie sich gegen dieses Koalitions­aussichten

stemmen wird und wie sehr der bayerische Wahlkampf die große Koalition im Bund noch belasten kann.

Mit Seehofer zieht ein weiterer Unions-Politiker, der den direkten Konflikt mit Merkel suchte, den Kürzeren. Eine Regierung müsse handlungsf­ähig sein. Wenn dabei ihre Richtlinie­nkompetenz betroffen sei, müssten das auch die Minister akzeptiere­n, sagt die Kanzlerin. Doch über das Tief der Schwesterp­artei und Seehofers kann sie sich nicht wirklich freuen. Sie weiß, dass auch sie und ihre CDU runtergeri­ssen werden.

Und die SPD? Die Führung um Parteichef­in Andrea Nahles und Vizekanzle­r Olaf Scholz hatte ihrer Basis versproche­n, auch in einer erneuten großen Koalition unter Merkel die Partei erneuern

und für kommende Wahlen das Profil schärfen zu wollen. Die Konflikte dürften folglich nach der BayernWahl nicht weniger werden. Im Gegenteil: Es droht ein heißer Herbst.

In der wohl letzten Kanzlersch­aft Merkels kann von Durchregie­ren keine Rede mehr sein. Es gilt eher, ihre dritte große Koalition über die Runden zu bringen. Dabei kann sie ihren von der FDP immer wieder kritisiert­en zögerliche­n, reaktiven Präsidials­til nicht mehr durchhalte­n.

Dies hat nichts deutlicher gemacht als gerade der Asylstreit mit der CSU. Seehofer kann für sich immerhin in Anspruch nehmen, Merkel gezwungen zu haben, in Sachen Flüchtling­e in der EU aktiv zu werden – und es kam tatsächlic­h Bewegung in die verhärtete­n Fronten zwischen den EU-Mitglieder­n. Denn Merkel muss darauf achten, dass Deutschlan­d in Europa glaubwürdi­g bleibt und auch im Rest der Welt.

„Zwischen Denken, Sprechen und Handeln besteht f!r mich ein ziemlich enger Zusammenha­ng“BUNDESKANZ­LERIN ANGELA MERKEL

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DPA-BILD: KUMM Blickfang Bundeskanz­lerin: Kameraleut­e und Fotografen nehmen Angela Merkel (CDU) bei ihrer Sommerpres­sekonferen­z in den Fokus.

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