Nordwest-Zeitung

Merkel gibt sich keine Blöße

- VON TOBIAS SCHMIDT, BÜRO BERLIN

Interview mit Prof. Oskar Niedermaye­r, Politikwis­senschaftl­er an der Freien Universitä­t Berlin, zur Sommer-PK der Bundeskanz­lerin.

FRAGE: Znderthalb Stunden Kreuzverhö­r vor der Hauptstadt­presse: Hat sich Angela Merkel eine Blöße gegeben? NIEDERMAYE­R: Nein, sie hat ein Mal mehr ihre ganze Erfahrung ausgespiel­t und die unbequemen Fragen geschickt umschifft. Angela Merkel hat keine Schlagzeil­e produziert. Die Versuche der Journalist­en, ihr mit Blick auf Horst Seehofer oder Donald Trump unbedachte Äußerungen zu entlocken, sind ins Leere gelaufen. Es war ein souveräner Auftritt. FRAGE: Sie hat !ber die „schroffe Tonalität“im Asylstreit geklagt. Eine berechtigt­e Schelte f!r Innenminis­ter Seehofer und die CSU? NIEDERMAYE­R: Die Kritik ist aus ihrer Sicht berechtigt, hat sich aber nicht nur gegen die CSU gerichtet. Auch von Merkels Leuten aus der CDU waren schroffe Töne gekommen. Der Konflikt ist von beiden Seiten eskaliert worden, auch wenn die Hauptschul­d schon bei der CSU zu suchen ist. Mit ihrer Klage über die harte Sprache hat Angela Merkel ihren Punkt gemacht, ohne neues Öl ins Feuer zu gießen. Ausgelöst hat die Kanzlerin den Streit selbst. Sie hat die Auseinande­rsetzung und ihren Widerspruc­h gegen Seehofers Masterplan bei „Anne Will“öffentlich gemacht. FRAGE: Ist die „Verwahrlos­ung der Sprache“Hauptgrund f!r Politikver­drossenhei­t, wie die Kanzlerin gestern behauptet? NIEDERMAYE­R: Politische­n Streit akzeptiere­n die Bürgerinne­n und Bürger. Aber er darf nicht ausarten und er darf nicht zu lange geführt werden. Beides war jetzt zwischen Merkel und Seehofer der Fall. Zugleich sehen die Menschen bei der Asyl- und Flüchtling­spolitik dringenden Handlungsb­edarf. Seehofers Positionen – die Zurückweis­ung von Flüchtling­en an den Grenzen und die Einrichtun­g von Transitzen­tren – werden von der Mehrheit unterstütz­t. FRAGE: Geht die Kanzlerin gestärkt in den Urlaub? NIEDERMAYE­R: Nein. Sie hat den Machtkampf mit Seehofer eindeutig gewonnen. Das hat sie deutlich gemacht. Der Kompromiss entspricht ihren Leitlinien: Keine nationalen Alleingäng­e auf Kosten der europäisch­en Partner. Aber gestärkt ist sie nicht. Die Umfragewer­te für die Kanzlerin sind so schlecht wie zu Hochzeiten der Flüchtling­skrise. Knapp die Hälfte der Bevölkerun­g würde Merkel gerne als Kanzlerin loswerden.

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DPA-BILD: STRATENSCH­ULTE

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