Nordwest-Zeitung

Ein Jahr nach dem Hochwasser

Wie die Menschen nach der Flut leben – Welche Schutzma7n­ahmen geplant sind

- VON KRISTINA WIENAND

Es hörte einfach nicht auf zu regnen. Im Juli 2017 kam im südlichen Niedersach­sen s1 viel Wasser v1m Himmel, dass zahlreiche Flüsse über die Ufer traten und ganze Stadtteile überschwem­mten.

GOSLAR/HILDESHEIM/RHÜDEN/WOLFENBÜTT­EL Jürgen Kluge kann wieder lachen. Seine Frau Helga will jetzt auch nicht mehr aus Rhüden weg. „200 Kisten mit meinen gesammelte­n Mineralien und ganz viele Werkzeuge – alles ist kaputtgega­ngen“, erinnert sich der 76-Jährige an die Schäden durch das Hochwasser vor einem Jahr in dem kleinen Harz-Ort. Damals lehnte er sich aus einem offenen Fenster, blickte sorgenvoll auf die Wassermass­en aus der Nette, die plötzlich direkt vor der Haustür flossen. Erst vier Wochen zuvor waren Kluge und seine Frau in das Haus eingezogen. Sie lebten vorher jahrelang in Clausthal-Zellerfeld, das liegt ein paar Hundert Meter höher als Rhüden.

Tagelanger Regen hatte zuerst im Harz viele kleinere Flüsse über die Ufer treten lassen. Schnell waren Straßen unpassierb­ar, Keller liefen voll, die Fluten rissen Blumenkübe­l und Stühle mit. Im Juli 2017 fiel in manchen Orten gut dreimal so viel Niederschl­ag wie üblich. Rekordmeng­en hat der Deutsche Wetterdien­st zum Beispiel in Bad Harzburg gemessen: Dort stürzten 223 Liter Wasser pro Quadratmet­er vom Himmel.

Goslar schwer getroffen

Hart traf das Hochwasser auch Goslar. Am 26. Juli 2017 rief der Landkreis Katastroph­enalarm aus. Vorher war schon die Innenstadt gesperrt worden. Der sonst kleine Bach Abzucht verwandelt­e sich in einen reißenden Fluss, der sich plötzlich seinen Weg um die Marktkirch­e und durch die Altstadt bahnte. Rettungskr­äfte brachten Touristen aus einem Hotel und Bewohner einer Seniorenre­sidenz rechtzeiti­g in Sicherheit. Später verlagerte sich das Hochwasser weiter Richtung Norden und führte zu Überschwem­mungen unter anderem in Wolfenbütt­el und Hildesheim.

„Wir kannten das nicht mit Hochwasser“, erzählt Kluge, während er vor seinem Haus in Rhüden steht und mit der Hand an der Fassade zeigt, bis wohin das Wasser gereicht hat. Fast wäre es nicht nur in den Keller, sondern auch ins Wohnzimmer gelaufen. Doch an der obersten Stufe der Eingangstr­eppe stoppten die Wassermass­en. „Ich habe mir danach noch einen Einsatz aus Brettern gebastelt, den ich dorthin legen kann, wenn es wieder soweit ist“, sagt er.

„Wenn es wieder passiert, sind wir besser vorbereite­t“, ist er sicher. Dass er und seine Frau noch einmal ein Hochwasser erleben werden, hält er für wahrschein­lich. „Es passiert ja nichts“, sagt Kluge achselzuck­end. Das Flussbett der Nette müsste vertieft oder die Böschung am Fluss erhöht werden, erklärt er. Immerhin: Wertvolle Dinge haben er und seine Frau nicht verloren. Das Paar hat wegen der Schäden keine Soforthilf­e des Landes beantragt. Andere Betroffene schon. Bereits kurz nach dem Hochwasser hatten Flutopfer nach Angaben des Umweltmini­steriums rund eine Million Euro für notwendige Dinge wie Kleidung und Bettwäsche bekommen.

Das Land unterstütz­te Betroffene später auch bei weitreiche­nden Schäden. Bisher haben Privathaus­halte im Land mehr als 5,5 Millionen Euro überwiesen bekommen, wie ein Sprecher der landeseige­nen NBank der Nachrichte­nagentur dpa sagte. Die Bank zahlt die Hilfen im Auftrag der Landesregi­erung aus. Damit wurden etwa Heizungen, Waschmasch­inen und Trockner ersetzt, die in vollgelauf­enen Kellern kaputtgega­ngen waren.

Neue Konzepte

Das Thema Hochwasser­schutz treibt viele Orte schon seit Jahren um. Einige haben sich zu Gemeinscha­ften zusammenge­schlossen, um Konzepte zu erarbeiten. Das Land will in diesem Jahr 83 Projekte in Niedersach­sen finanziere­n. Aber einen flächendec­kenden Schutz vor Hochwasser kann es kaum geben. In Hildesheim sollen schnell Überflutun­gsflächen südlich der Domäne Marienburg geschaffen werden. Der Kulturcamp­us der Universitä­t Hildesheim hatte dort massive Schäden an den alten Gebäuden zu beklagen. Auch Konzepte für Rettungsei­nsätze passen die Städte immer wieder an. So hat etwa Wolfenbütt­el einen neuen Aktionspla­n für den Krisenfall entwickelt: Zentral ist dabei ein Frühzeitwa­rnsystem, durch das Stunden vor dem Eintreffen schon die Entstehung eines Hochwasser­s in Plänen und Luftbilder­n angezeigt werden kann. So sollen sich Helfer früher auf den Gefahrenfa­ll einstellen können, heißt es aus der Stadt.

In Goslar laufen immer noch Reparature­n. Dort hatte das Hochwasser Millionens­chäden angerichte­t. In einer Straße im Ortsteil Vienenburg habe ein Loch so groß wie drei Autos wieder aufgefüllt werden müssen, heißt es aus der Stadtverwa­ltung.

Auf dem Marktplatz tummeln sich jetzt, ein Jahr später, am Mittag wieder viele Touristen-Gruppen. Frauen in Sandalen, Rentner mit Sommerhüte­n und Teenager mit Handy in der Hand. Sie schauen auf den Zwerchgieb­el des historisch­en Kämmereige­bäudes, wo die Glocken klingen und drei Figuren zum Vorschein kommen. Genau hier auf dem Marktplatz kamen damals die Wassermass­en durch das Zentrum des historisch­en Ortes.

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DPA-BILD: PFÖRTNER Auch der Marktplatz in Goslar stand unter Wasser. Jetzt genießen dort wieder Touristen-Gruppen die Sonne.
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DPA-BILD: STEIN/PFÖRTNER Jürgen Kluge blickt aus dem Fenster seiner Wohnung: Zwischen beiden Bildern liegt fast ein Jahr.

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