„Diese Bande macht uns das Geschäft kaputt!“
Alteingesessene Pfandjäger sehen ihre Erträge gefährdet – Besucher beklagen sich über aggressives Betteln
Bis zu dreistellige Beträge können „an guten Abenden“für die Sammler herausspringen, heißt es. Die Veranstalter wollen kein generelles Verbot.
OLDENBURG Der Abend ist noch keine zehn Minuten alt, da hat Dieter (63, Name von der Redaktion geändert) bereits schlechte Laune. Seit summa summarum zwanzig Jahren ist er schließlich nach eigenem Bekunden hochoffizieller Pfandsammler beim Kultursommer, und diese Rolle mag er natürlich auch beanspruchen.
Dass solch eine Institution im Oldenburger Partyleben nun plötzlich Konkurrenz bekommt, scheint nicht akzeptabel. „Die klauen wie die Raben!“, sagt Dieter über die „Neuen“, die „sich organisiert die Becher der Leute krallen und ... da, schon wieder einer! Und noch einer da drüben!“
Ständig auf Beutezug
Die Mitbewerber auf dem mittlerweile hart umkämpften Pfandflaschen-und-becherMarkt mag das wenig stören. Mit ihren Plastiktüten sind sie an diesem Dienstagabend dauerhaft in Bewegung, steuern kreuz und quer durch die feiernde Menge auf dem Schlossplatz. Stillstand, vielleicht ein Päuschen zum
Durchschnaufen? Null. Blick nach links, Blick rechts. Bücken. Tüte auf, Becher rein, Tüte zu.
Und Dieter nervt’s. Gewaltig. „Diese Bande macht uns das Geschäft kaputt!“, sagt er so laut, dass es die vorbeilaufenden Konkurrenten eigentlich hören müssten. Tun sie auch. Viele verstehen es nur nicht. Najim (21, Name geändert) ist einer von ihnen. Ein junger Syrer „from Blankenburg“, wie er sagt, außerdem „alone“hier beim Kultursommer unterwegs, weil er das Pfandgeld „for living“benötige. Die anderen Sammler kenne er nicht.
Von einer organisierten Pfandjagd – also das, was Dieter ihnen vorwirft („Bestimmt 30 Leute, eine ganze Familie, wo die Älteren den Kindern sagen, dass sie die Leute anbetteln sollen!“) – wisse er nichts. Was er aber weiß: Die Oldenburger KuSo-Gäste sind „very nice“, also sehr nett. Zumindest in diesem Punkt stimmen Najim und Dieter („Die Oldenburger sind spendabel, vor allem, wenn sie erstmal einen sitzen haben“) ausnahmslos überein.
Was hingegen beide nicht ahnen: Einige Besucher mehr als in den Vorjahren sind mittlerweile auch ein klitzekleines bisschen genervt. Von „rabiaten Einsammlern“ist da die Rede. Von Fremden, die einemdie – mit Glück – leeren Becher fast schon aus den Händen reißen und die jetzige oder spätere Herausgabe for-
dern. Sogar vor den Gästen an den Bars und Theken der Getränkewagen würden sie wohl nicht Halt machen, weiß auch das Orga-Team der Kulturetage. „Wirklich grenzwertig und fast schon übergriffig“, bestätigt Sprecherin Bettina Stiller. Sie verweist dann allerdings auch auf die veranstaltungseigene Security, die in diesen Fällen, und wenn die versöhnlich formulierte Bitte der Angestellten nicht ausreicht, einschreite.
Platzverbote würden nicht ausgesprochen – weil sich die Umsetzung angesichts des weithin offenen Platzes und der Masse an Menschen als schwierig erweise. Ein generelles Verbot für Pfandsammler? Nein, „das wäre ein falsches Zeichen“, sagt Stiller – „nur wer sich nicht benehmen kann, muss draußen bleiben.“Und es gibt da ja noch ein anderes, nicht ausgesprochenes Argument, das kaum zu unterschätzen ist: Ohne all diese Sammler würde deutlich mehr Pfandmüll auf dem Platz zurückbleiben und weniger Ordnung herrschen. Schließlich gibt es ja jede Menge Gäste, die ihren Kram einfach vor Ort liegen lassen.
Ein gutes Bonusgehalt
Sei’s drum. Die Pfandjagd ist ein durchaus lukratives Geschäft. Kein Wunder also, dass allzu viel Konkurrenz dem Einzelnen ein Dorn im Auge ist. An guten Abenden springe schonmal ein dreistelliger Betrag heraus, sagt einer der Sammler. Auch, weil Gäste ihre 1-Euro-Becher direkt hinhielten oder diese in die Taschen der Jäger legten. Eine Summe, die sich andere Sammler übers Jahr erarbeiten. „Aber Bargeld nehme ich nicht an“, sagt „Nachwuchskraft“Jörg (36, Name geändert) mit dem Brustton der Überzeugung. Schließlich wolle man hier ja nicht betteln. Nur sammeln.
Letzterer habe zwar schon zwei Jobs, sich vor sieben Jahren aber auch mit dem Kuso und dem„Bonusgehalt“angefreundet. Einfach, „um etwas auf der hohen Kante zu haben.“Also setzt er sich Abend für Abend sein Käppi auf, zieht eine schmuddelige Weste an und packt sich Taschen noch und nöcher ineinander. Man weiß ja schließlich nie, wie gut der Abend wird.
„Aber die Zeiten haben sich verschlechtert“, sagt er und meint damit die angeblich „skrupellose“Konkurrenz – „das ist doch Kinderarbeit!“Tatsächlich sind hier und dort
ein paar Kinder mit Tüten unterwegs. Aber eben nicht nur. Da sind junge blonde Mädels, etwa um die 20 Jahre, die sich „offenbar einen Spaß und Sport daraus machen“, wie die KuSo-Sprecherin vermutet. Da sind die alten Herren mit ihren voll bepackten Fahrrädern, die sich so ihre Rente aufbessern.
Und da sind „unverschämte deutsche Jungs, die in herumliegende Rucksäcke greifen“und auf das angebliche „Recht“verweisen, nach dem sie sich an solch „öffentlichem Gut“bedienen dürften.
Das ist natürlich Blödsinn und längst kein Kavaliersdelikt mehr, sondern ein aggressives Betteln, fast schon Diebstahl – und damit in Oldenburgs guter Stube auch verboten.
Keine Anzeigen bislang
Allein: Anzeigen hätte es bislang keine gegeben, bestätigt ein Sprecher der Stadt. „Wenn unserem Zentralen Außendienst bekannt wird, dass Sammler aufdringlich werden, gehen wir auch dagegen vor.“Zunächst mit der Bitte, dies zu unterlassen,
dann mit Platzverweisen. Wenn’s alles nichts nutzt, könnten auch mal die Becher einkassiert werden. Bußgelder lohnten sich in den meisten Fällen nicht, daher würde bei komplett beratungsresistenten „Tätern“vielmehr eine Sicherheitsleistung (also das vor Ort „erwirtschaftete“Geld) verlangt. Das würde wohl am meisten schmerzen.
Schließlich wäre damit die Arbeit eines ganzen Abends umsonst gewesen. Und das mag hier beim so ergiebigen Kultursommer 2018 ja nun wirklich niemand riskieren ...