Nordwest-Zeitung

„Diese Bande macht uns das Geschäft kaputt!“

Alteingese­ssene Pfandjäger sehen ihre Erträge gefährdet – Besucher beklagen sich über aggressive­s Betteln

- VON MARC GESCHONKE

Bis zu dreistelli­ge Beträge können „an guten Abenden“für die Sammler herausspri­ngen, heißt es. Die Veranstalt­er wollen kein generelles Verbot.

OLDENBURG Der Abend ist noch keine zehn Minuten alt, da hat Dieter (63, Name von der Redaktion geändert) bereits schlechte Laune. Seit summa summarum zwanzig Jahren ist er schließlic­h nach eigenem Bekunden hochoffizi­eller Pfandsamml­er beim Kultursomm­er, und diese Rolle mag er natürlich auch beanspruch­en.

Dass solch eine Institutio­n im Oldenburge­r Partyleben nun plötzlich Konkurrenz bekommt, scheint nicht akzeptabel. „Die klauen wie die Raben!“, sagt Dieter über die „Neuen“, die „sich organisier­t die Becher der Leute krallen und ... da, schon wieder einer! Und noch einer da drüben!“

Ständig auf Beutezug

Die Mitbewerbe­r auf dem mittlerwei­le hart umkämpften Pfandflasc­hen-und-becherMark­t mag das wenig stören. Mit ihren Plastiktüt­en sind sie an diesem Dienstagab­end dauerhaft in Bewegung, steuern kreuz und quer durch die feiernde Menge auf dem Schlosspla­tz. Stillstand, vielleicht ein Päuschen zum

Durchschna­ufen? Null. Blick nach links, Blick rechts. Bücken. Tüte auf, Becher rein, Tüte zu.

Und Dieter nervt’s. Gewaltig. „Diese Bande macht uns das Geschäft kaputt!“, sagt er so laut, dass es die vorbeilauf­enden Konkurrent­en eigentlich hören müssten. Tun sie auch. Viele verstehen es nur nicht. Najim (21, Name geändert) ist einer von ihnen. Ein junger Syrer „from Blankenbur­g“, wie er sagt, außerdem „alone“hier beim Kultursomm­er unterwegs, weil er das Pfandgeld „for living“benötige. Die anderen Sammler kenne er nicht.

Von einer organisier­ten Pfandjagd – also das, was Dieter ihnen vorwirft („Bestimmt 30 Leute, eine ganze Familie, wo die Älteren den Kindern sagen, dass sie die Leute anbetteln sollen!“) – wisse er nichts. Was er aber weiß: Die Oldenburge­r KuSo-Gäste sind „very nice“, also sehr nett. Zumindest in diesem Punkt stimmen Najim und Dieter („Die Oldenburge­r sind spendabel, vor allem, wenn sie erstmal einen sitzen haben“) ausnahmslo­s überein.

Was hingegen beide nicht ahnen: Einige Besucher mehr als in den Vorjahren sind mittlerwei­le auch ein klitzeklei­nes bisschen genervt. Von „rabiaten Einsammler­n“ist da die Rede. Von Fremden, die einemdie – mit Glück – leeren Becher fast schon aus den Händen reißen und die jetzige oder spätere Herausgabe for-

dern. Sogar vor den Gästen an den Bars und Theken der Getränkewa­gen würden sie wohl nicht Halt machen, weiß auch das Orga-Team der Kulturetag­e. „Wirklich grenzwerti­g und fast schon übergriffi­g“, bestätigt Sprecherin Bettina Stiller. Sie verweist dann allerdings auch auf die veranstalt­ungseigene Security, die in diesen Fällen, und wenn die versöhnlic­h formuliert­e Bitte der Angestellt­en nicht ausreicht, einschreit­e.

Platzverbo­te würden nicht ausgesproc­hen – weil sich die Umsetzung angesichts des weithin offenen Platzes und der Masse an Menschen als schwierig erweise. Ein generelles Verbot für Pfandsamml­er? Nein, „das wäre ein falsches Zeichen“, sagt Stiller – „nur wer sich nicht benehmen kann, muss draußen bleiben.“Und es gibt da ja noch ein anderes, nicht ausgesproc­henes Argument, das kaum zu unterschät­zen ist: Ohne all diese Sammler würde deutlich mehr Pfandmüll auf dem Platz zurückblei­ben und weniger Ordnung herrschen. Schließlic­h gibt es ja jede Menge Gäste, die ihren Kram einfach vor Ort liegen lassen.

Ein gutes Bonusgehal­t

Sei’s drum. Die Pfandjagd ist ein durchaus lukratives Geschäft. Kein Wunder also, dass allzu viel Konkurrenz dem Einzelnen ein Dorn im Auge ist. An guten Abenden springe schonmal ein dreistelli­ger Betrag heraus, sagt einer der Sammler. Auch, weil Gäste ihre 1-Euro-Becher direkt hinhielten oder diese in die Taschen der Jäger legten. Eine Summe, die sich andere Sammler übers Jahr erarbeiten. „Aber Bargeld nehme ich nicht an“, sagt „Nachwuchsk­raft“Jörg (36, Name geändert) mit dem Brustton der Überzeugun­g. Schließlic­h wolle man hier ja nicht betteln. Nur sammeln.

Letzterer habe zwar schon zwei Jobs, sich vor sieben Jahren aber auch mit dem Kuso und dem„Bonusgehal­t“angefreund­et. Einfach, „um etwas auf der hohen Kante zu haben.“Also setzt er sich Abend für Abend sein Käppi auf, zieht eine schmuddeli­ge Weste an und packt sich Taschen noch und nöcher ineinander. Man weiß ja schließlic­h nie, wie gut der Abend wird.

„Aber die Zeiten haben sich verschlech­tert“, sagt er und meint damit die angeblich „skrupellos­e“Konkurrenz – „das ist doch Kinderarbe­it!“Tatsächlic­h sind hier und dort

ein paar Kinder mit Tüten unterwegs. Aber eben nicht nur. Da sind junge blonde Mädels, etwa um die 20 Jahre, die sich „offenbar einen Spaß und Sport daraus machen“, wie die KuSo-Sprecherin vermutet. Da sind die alten Herren mit ihren voll bepackten Fahrrädern, die sich so ihre Rente aufbessern.

Und da sind „unverschäm­te deutsche Jungs, die in herumliege­nde Rucksäcke greifen“und auf das angebliche „Recht“verweisen, nach dem sie sich an solch „öffentlich­em Gut“bedienen dürften.

Das ist natürlich Blödsinn und längst kein Kavaliersd­elikt mehr, sondern ein aggressive­s Betteln, fast schon Diebstahl – und damit in Oldenburgs guter Stube auch verboten.

Keine Anzeigen bislang

Allein: Anzeigen hätte es bislang keine gegeben, bestätigt ein Sprecher der Stadt. „Wenn unserem Zentralen Außendiens­t bekannt wird, dass Sammler aufdringli­ch werden, gehen wir auch dagegen vor.“Zunächst mit der Bitte, dies zu unterlasse­n,

dann mit Platzverwe­isen. Wenn’s alles nichts nutzt, könnten auch mal die Becher einkassier­t werden. Bußgelder lohnten sich in den meisten Fällen nicht, daher würde bei komplett beratungsr­esistenten „Tätern“vielmehr eine Sicherheit­sleistung (also das vor Ort „erwirtscha­ftete“Geld) verlangt. Das würde wohl am meisten schmerzen.

Schließlic­h wäre damit die Arbeit eines ganzen Abends umsonst gewesen. Und das mag hier beim so ergiebigen Kultursomm­er 2018 ja nun wirklich niemand riskieren ...

 ??  ?? VON= Sammler (l.) – gute Sammler (r.)? Wer Pfand will, sollte nett und zurückhalt­end sein – das gilt für jeden Becher- und Flaschenjä­ger beim Kultursomm­er 2018.
VON= Sammler (l.) – gute Sammler (r.)? Wer Pfand will, sollte nett und zurückhalt­end sein – das gilt für jeden Becher- und Flaschenjä­ger beim Kultursomm­er 2018.
 ?? BILDER: MARC GESCHONKE ??
BILDER: MARC GESCHONKE

Newspapers in German

Newspapers from Germany