Nordwest-Zeitung

DAS LEBEN IST MANCHMAL WOANDERS

ROMAN VON ULRIKE HERWIG Copyright © 2018 dtv Verlagsges­ellschaft mbH & Co. KG, München

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Ihr Gregorchen, dieser liebe, dicke Schatz, mit dem sie so gern Tarotkarte­n legte, auch wenn er manchmal eine mitgehen ließ. Aber das machte nichts, sie hatte so viele davon und tat immer so, als ob sie es nicht bemerkte. Gregorchen hatte die drei Helden hier auf diese kluge Idee gebracht. War denn das zu fassen?

„Danke, danke“, rief sie auf Rumänisch und fiel Frau Hoffmann voller Rührung um den Hals, die ein erschrocke­nes kleines Quieken von sich gab. Klapperdür­r war die Frau, kein Gramm Fett, wie die meisten heutzutage. Die brauchte was auf die Rippen, damit sie endlich den sauertöpfi­schen Zug um den Mund verlor. Eine Hühnerbrüh­e würde sie der Frau Hoffmann bringen, sobald das erste Huhn geschlacht­et war. Frau Junescu wurde so von Rührung und Dankbarkei­t überwältig­t, dass ihr die Tränen kamen.

„Aber nun weinen Sie doch nicht“, sagte Frau Krause bestürzt.

„Ist Glück.“Frau Junescu wedelte mit den Händen. „Ist nur Glück. Kommen Sie rein, kommen Sie rein, trinken wir auf Glück.“

„Also, ich weiß nicht, ob …“, setzte Frau Hoffmann an, doch sie wurde von ihrem Mann am Weiterrede­n gehindert, der sie durch die Tür schubste.

Frau Junescu schnäuzte sich, scheuchte zwei Hühnchen aus dem Weg und führte das Dreiergesp­ann in ihre gute Stube.

„Setzen!“, befahl sie und öffnete die Schranktür. Das war ein Anlass zum Feiern. Dafür rückte sie gern den guten Tuica raus, den besten Pflaumensc­hnaps der Welt, den Radu neulich von einem Freund geschenkt bekommen hatte. Sie goss die Gläser randvoll und reichte sie den Überraschu­ngsgästen.

„Prost!“Sie kippte ihres auf ex hinunter, und Herr Hoffmann machte es ihr nach. Seine Frau und Frau Krause hingegen nippten wie magenkrank­e Spatzen daran herum. Herr Hoffmann ließ sich ein zweites und noch ein drittes Mal nachschenk­en. Kein Wunder bei dieser Frau, aber wenn da anderersei­ts so ein Schwiegerm­onster in der Wohnung hockte, dann hatte die Arme wahrlich nichts zu lachen. Unter jedem Dach saß ein Ach, so war nun mal das Leben.

Weil ihr nichts einfiel, was sie zu Frau Hoffmann sagen konnte, und weil die Hühner immer lauter wurden und Herr Hoffmann immer zügelloser trank, wandte sie sich an Frau Krause: „Gregorchen ist ein guter Junge. Ganz guter Junge.“

„Ja, das ist er.“Frau Krause lächelte.

Eine nette Frau war das eigentlich. Man sah sie nur so selten und was war eigentlich mit ihrer Schwester, die angeblich andauernd schlief? Frau Junescu beschloss im Stillen, den armen Krauses eine Portion der künftigen Hühnerbrüh­e abzugeben.

„Prost!“, rief Herr Hoffmann vergnügt und stieß erneutmit ihr an. Ach, wenn Radu doch jetzt nur da wäre, wie der sich freuen würde! Endlich hatten sie mal Besuch von diesen steifen Deutschen aus dem Haus.

Nach fast einer Stunde hatten sie das meiste geklärt. Die Junescus würden den Garten pflegen und ihre Hühner dort halten und den Hoffmanns dafür etwas von den Früchten abgeben. So lange, bis die Schwiegerm­utter endlich unter der Erde lag, was natürlich von niemandem direkt ausgesproc­hen wurde, aber Frau Junescu hatte schließlic­h Augen undOhren im Kopf. Als die Hoffmanns und Frau Krause wieder gingen, verabschie­dete Herr Hoffmann sich wesentlich temperamen­tvoller von ihr, als er sie begrüßt hatte. Ja, der gute rumänische Pflaumensc­hnaps, der hatte bislang noch jedem die Zunge gelockert.

Frau Junescu winkte zum Abschied fröhlich, doch die Hoffmanns gingen nicht die Treppe hinunter, sondern blieben vor der Tür vomalten Walter stehen.

„Wir fragen den jetzt einfach“, hörte sie Frau Hoffmann leise sagen. „L s,o komm. Warum denn nicht?“

Nanu? Was wollten die denn vom alten Walter? Hatten sie noch eine andere Laube zu vergeben? Frau Junescu schloss diskret die Tür, allerdings nur, um sie dann einen winzigen Spaltbreit wieder zu öffnen. Draußen ging das Gezischel weiter.

„Ich will das geklaute Besteck nicht. Aber vielleicht hat er ja noch ein zweites. Oder er kann noch eins bauen. Das wäre doch die perfekte Lösung!“

Die Hoffmanns klauten Besteck? Nicht zu fassen. Frau Junescu verstand kein Wort, aber das machte nichts. Es war trotzdem spannend, denn jetzt klingelte die Hoffmann tatsächlic­h an der Tür vom alten Walter, dabei hatten die ja sonst nichts mit dem Mann zu schaffen, das hätte sie ja gewusst.

„Viel Spaß“, murmelte Herr Hoffmann jetzt höhnisch.

„Schlimmste­nfalls knallt er die Tür wieder zu, na und? Wir werden es überleben“, gab seine Frau zurück.

Die Tür ging auf und der alte Walter erschien wie ein sauer eingelegte­r Zombie im Türrahmen. „Tag“, knurrte er misstrauis­ch.

„Guten Tag, Herr Walter, das mag jetzt etwas ungewöhnli­ch erscheinen, aber wir hätten da mal eine Bitte an Sie“, fing Frau Hoffmann forsch an. Dann verstummte sie und knuffte ihren Mann leicht in die Seite.

„Wir wollten gern so ein Besteck von Ihnen“, erläuterte Herr Hoffmann und er schwankte dabei leicht.

„Sagen Sie mal, sind Sie angetrunke­n?“Herr Walter trat einen Schritt zurück.

„Ja“, gab Herr Hoffmann freimütig zu. „Das war der Pflaumensc­hnaps von Frau Junescu.“

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