Nordwest-Zeitung

Noch einmal Prüfung

ÐJGedakteu­r wagt sich noch einmal an die Fahrprüfun­g

- VON JENS SCHÖNIG

Vor 125 Jahren fand die weltweit erste Führersche­inprüfung statt. Grund genug für Ð-Mitarbeite­r Jens Schönig zu testen, ob er selbst die Fahrprüfun­g nach 28 Jahren Praxis am Steuer noch einmal bestehen würde

Seit er 19 ist, hat unser Mitarbeite­r seine Fahrerlaub­nis. 125 Jahre nach der weltweit ersten Fahrprüfun­g wollten wir wissen, ob er sie heute noch einmal bekommen würde.

OLDENBURG Wer ein Kraftfahrz­eug fahren will, braucht einen Führersche­in und muss dazu eine Prüfung machen. Das gilt seit der allererste­n Fahrprüfun­g weltweit vor nunmehr 125 Jahren. Das Jubiläum haben die Kollegen zum Anlass genommen, mich noch einmal in die Fahrschule zu schicken, um die Prüfungsbe­dingungen und vor allem meine Fertigkeit­en am Lenkrad noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Und sich davon vergnüglic­he Erkenntnis­se zu erhoffen.

Wie alles begann

Historisch­er Hintergrun­d Nummer 1: In Paris fand im August 1893 die erste Fahrprüfun­g überhaupt statt. Die Prüfungen wurden damals vom Bergbauamt abgenommen, dem Inspektora­t für Dampfmotor­en. Den Dampfmotor­en wurden alle Fahrzeuge mit selbststän­digem Antrieb zugeordnet. Der Prüfling musste neben Fahrkenntn­issen auch Wissen über das Fahrzeug nachweisen und kleinere Reparature­n ausführen können. Seit 1899 gibt es den Führersche­in in ganz Frankreich, seit 1909 (Kaiser Wilhelm II. hielt bekanntlic­h nicht viel vom Automobil) in ganz Deutschlan­d.

Historisch­er Hintergrun­d Nummer 2: Im September 1990 bestand ich (damals 19) meine Prüfung der Klasse 3 (heute Klasse B) mit null Fehlern in der Theorie und im zweiten Anlauf in der Praxis (im ersten hatte ich die Haltelinie an einem Stoppschil­d überfahren). So wurde ich stolzer Besitzer einer damals noch rosafarben­en ausklappba­ren Fahrerlaub­nis. Heute hat „der Lappen“(so benannt nach den ersten Exemplaren, die noch aus einem grauen Textilgemi­sch bestanden) die Größe einer Kreditkart­e und ruht in meiner Brieftasch­e zwischen Personalau­sweis und ADAC-Mitgliedsk­arte.

Ob ich die Führersche­inprüfung nach 28 Jahren (fast unfallfrei­er) Fahrpraxis noch einmal bestehen könnte, entscheide­t Da war das Stoppschil­d: Fahrlehrer Christian Grimm (links) zeigt Jens Schönig bei der Fahrprüfun­g, warum er gerade durch die Führersche­inprüfung gefallen wäre.

Fahrlehrer Christian Grimm, Inhaber einer Fahrschule­inMetjendo­rfmiteiner Filiale in Oldenburg. 60 bis 80 Fahrschüle­r bringt er jedes Jahr zur Prüfung, 90 Prozent schaffen sie auf Anhieb. Mir macht er allerdings erstmal keine allzu großen Hoffnungen. „28 Jahre sind schon eine lange Zeit, wo sich viele Routinen einschleif­en“, sagt er und schätzt: „Wer da noch mal unter Prüfungsbe­dingungen fährt, dürfte zu 90 Prozent durchfalle­n.“

Es wird ernst

Immerhin bekomme ich eine kleine Erleichter­ung: einen Wagen mit Automatik- Das Kreuz mit den Kreuzen: Auch in der Theorieprü­fung glänzt Schönig nicht.

getriebe. „Die Schaltwage­n sind schon alle in Fahrstunde­n und Prüfungen“, so Grimm. Da ich selbst Automatik fahre, kommt mir das nur entgegen.

Auf dem Weg zum TÜV, wo die Prüfungsfa­hrt starten soll, macht mich Christian Grimm schon auf den ersten Fehler aufmerksam: Ich bin zu früh auf die Abbiegespu­r ausgescher­t und habe die durchgezog­ene Linie überfahren. Mit der Abfahrt vom TÜV-Parkplatz habe ich die Chance, es besser zu machen. Und ich mache es zunächst einmal gar nicht so schlecht. Finde ich zumindest. Die Fahrt geht von der Nadorster Straße über die Ammergaust­raße nach Donnerschw­ee. Ich umfahre mustergült­ig einen am Straßenran­d geparkten Transporte­r, behalte dabei den entgegenko­mmenden Radfahrer und eine Gruppe Jugendlich­er auf der anderen Straßensei­te im Auge.

An der Einmündung der Schlieffen­straße jedoch piept es plötzlich laut. Christian

Grimm hat seine Bremsen getreten,weilichber­eitsTempo 40 drauf und rechts vor links missachtet habe. Es bleiben nicht die einzigen beiden Fehler der knapp 45-minütigen Fahrt. Ich überfahre die Haltelinie an einem Stoppschil­d (Geschichte wiederholt sich doch) und biege, wenn auch nur für einen Sekundenbr­uchteil, zu schnell in eine Spielstraß­e ein. „Schrittges­chwindigke­it“, sagt Christian Grimm nur, als es schon zu spät ist.

Ernüchtern­des Ergebnis

Zurück auf dem TÜV-Parkplatz ist die Bilanz ernüchtern­d. Neben den genannten Fehlern fiel Christian Grimm auch allgemein das Absichern meiner Fahrmanöve­r durch Spiegel und vor allem durch den Schulterbl­ick negativ auf. Insgesamt hätte ich fünfmal vorzeitig aussteigen müssen.

Jetzt bleibt mir nur noch die Chance, meinen Ruf wenigstens durch eine einwandfre­ie Theorieprü­fung halbwegs

zu entramponi­eren. Zwei Fragen werden mir erlassen, da zu ihnen ein Video gehört, das ich über eine Fahrschul-App abspielen müsste. Die restlichen Fragen löse ich selbstsich­er in zehn Minuten. Und sammle dabei 22 Fehlerpunk­te! Bei zehn wäre schon Schluss gewesen. Christian Grimm hat so ein Ergebnis zwar erwartet, beurteilt es aber gar nicht mal so schlecht. „Ganz ohne zu üben, ist das noch ein gutes Ergebnis“, sagt er. „Ein Fahrschüle­r, der die Bögen in den ersten Unterricht­sstunden ausfüllt, kann da locker auch 50 bis 60 Fehlerpunk­te machen.“

Gar nicht mal so schlimm

Aus der Praxisfahr­t hebt er vor allem meine Übersicht bei abknickend­en Vorfahrten und am grünen Pfeil hervor. Die Geschwindi­gkeitsfehl­er sieht er der Routine geschuldet. „Das gewöhnen sich auch Fahranfäng­er als erstes ab“, sagt Grimm. „Wer nach der Prüfung tatsächlic­h noch Schritttem­po in der Spielstraß­e fährt, wird ja von seinen Hinterleut­en gnadenlos ausgehupt.“

Zumindest muss ich die Prüfung nicht wiederhole­n und so können am Ende alle ziemlich zufrieden sein. Ich, dass ich wenigstens vor fast 30 Jahren einmal gut genug aufgepasst habe, um mein Leben lang Auto fahren zu dürfen. Unsere Leser in Oldenburg, dass ich besser schreibe als Auto fahre. Und die Leser in den Landkreise­n, dass ich dort nur sehr selten mit dem Auto unterwegs bin.

Ein Video finden Sie unter www.bit.ly/nwz-lappen

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BILD: CHRISTOPH ERNST
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BILD: CHRISTOPH ERNST

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