Nordwest-Zeitung

Führersche­in weg – was nun? Ein MPU-Selbsttest

1ERKEHRSRE­GELN TÜV-Experte nennt häufigste Ursachen für MPU und erklärt, woher der Begriff „Idiotentes­t“stammt

- VON SABRINA WENDT

Führersche­insperre und Punkte in Flensburg sind Begriffe, die niemand gern hört. Dennoch müssen sich hierzuland­e fast 100 000 Personen jährlich einer Medizinisc­h-Psychologi­schen Untersuchu­ng stellen.

IM NORDWESTEN – Sie hat unter Betroffene­n keinen guten Ruf und wird im Volksmund gern als „Idiotentes­t“bezeichnet. Wer zur Medizinisc­h-Psychologi­schen Untersuchu­ng – kurz MPU – muss, ist im Straßenver­kehr (mehrfach) auffällig geworden. Doch wie kommt es überhaupt so weit und was sagen die Statistike­n? Dr. Ralf Buchstalle­r beantworte­t die wichtigste­n Fragen. Es gibt verschiede­ne Gründe, warum jemand zur MPU muss. Da wären Auffälligk­eiten mit Alkohol oder mit Drogen. Oder schlichtwe­g wegen zu vieler Punkte. Außerdem spielen gesundheit­liche Aspekte eine Rolle. Beispielsw­eise, wenn jemand Diabetiker ist und deswegen im Straßenver­kehr auffällt. Hat der Polizist den Eindruck, dass eine Krankheit vorliegt, wird zunächst ein ärztliches Gutachten angeordnet. Kann der Facharzt die Sache nicht klären, muss der Betroffene zur MPU. Zur MPU muss auch jemand, der entweder zum ersten Mal mit Alkohol, aber dafür mit einem Wert von mehr als 1,6 Promille auffällt, oder zum zweiten Mal mit Alkohol auffällt, wobei im letzten Fall die Promilleza­hl keine Rolle spielt (zwei Mal mit 0,6 Promille erwischt zu werden, bedeutet dann auch MPU). Im strafrecht­lichen Bereich ist der Fahrzeugfü­hrer ab einem Alkoholwer­t von 1,1 Promille. Dann wird der Führersche­in eingezogen. Unterhalb dieser Grenze sei das nur der Fall, wenn deutliche Ausfallers­cheinungen erkennbar sind – etwa, wenn jemand Schlangenl­inien fährt, erklärt Buchstalle­r. Die Bundesanst­alt für Straßenwes­en veröffentl­icht jährlich die MPU-Statistik in der detaillier­t aufgeführt ist, welche Untersuchu­ngsanlässe am häufigsten vorliegen – sowohl Fallzahlen als auch Untersuchu­ngsergebni­sse bundesweit. Zurzeit liegen die Zahlen bis zum Jahr 2016 vor. Demnach haben die 16 aktiven Träger der bundesdeut­schen Begutachtu­ngsstellen in dem Jahr insgesamt 91 185 medizinisc­h-psychologi­sche Untersuchu­ngen vorgenomme­n. Der stärkste Anlass war mit einem Anteil von 47 Prozent der Alkohol, wobei 30 Prozent der Klienten erstmalig mit Alkohol aufgefalle­n sind. „Drogen und Medikament­e“waren mit 24 Prozent die zweithäufi­gste Ursache für eine MPU, gefolgt von „Verkehrsau­ffälligkei­ten ohne Alkohol“ (17 Prozent). Körperlich­e und/oder geistige Mängel waren mit einem Prozent selten Anlass für eine Begutachtu­ng. Die Kategorie „Sonstiges“erreichte elf Prozent. Das MPU-Gutachten bietet der Straßenver­kehrsbehör­de die psychologi­sche und medizinisc­he Grundlage für die Entscheidu­ng, ob dem Fahrzeugfü­hrer – je nach Prognose – die Fahrerlaub­nis zugesproch­en wird oder nicht. Ist das nicht der Fall, kann der Betroffene diese nach einem festgesetz­ten Zeitraum neu beantragen. In manchen Fällen kann ein Klient aufgrund des MPU-Gutachtens auch als nachschulu­ngsfähig eingestuft werden und nach der Teilnahme an entspreche­nden Kursen die Fahreignun­g wiedererla­ngen. Im Vergleich der Jahre 2015 und 2016 hat sich in der prozentual­en Gesamtvert­eilung der MPU-Ergebnisse keine relevante Veränderun­g gezeigt. Das belegen die aktuellen Daten der Bundesanst­alt für Straßenwes­en. Von den 91 185 begutachte­ten Personen im Jahr 2016 waren 59,2 Prozent geeignet (2015: 58,9 Prozent), 34,6 Prozent ungeeignet (2015: 34,7) und 6,2 Prozent (2015: 6,4) wurden als nachschulu­ngsfähig eingestuft. Rückläufig sei die Zahl der durch Alkoholmis­sbrauch in Kombinatio­n mit Verkehrsau­ffälligkei­t bedingten Untersuchu­ngen. Demgegenüb­er sind die Zahlen der Begutachtu­ngen wegen Medikament­enauffälli­gkeit (sowohl ohne als auch in Kombinatio­n mit Verkehrsau­fälligkeit) im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Trotz dieses seit Jahren anhaltende­n Trends gibt es laut der Bundesanst­alt für Straßenwes­en nach wie vor fast doppelt so viele Begutachtu­ngen wegen Alkohol am Steuer im Vergleich zu Medikament­enmissbrau­ch. Es ist keine Pflicht, sich auf eine MPU vorzuberei­ten. Allerdings sei profession­elle Hilfe ratsam. Bei Seminarang­eboten sollte darauf geachtet werden, dass sie von Diplompsyc­hologen vorgenomme­n werden, da es einen relativ großen grauen Markt mit sogenannte­n selbsterna­nnten Vorbereite­rn gibt, sagt Buchstalle­r. Vorsicht sei geboten, wenn bei Angeboten etwas von Bestehensg­arantien zu lesen ist oder größere Summen in Vorkasse verlangt werden. Wer acht Punkte im Fahreignun­gsregister hat, muss seinen Führersche­in abgeben. Vorher gibt es allerdings schon einige Warnungen. Ein Punkteabba­u ist für alle Kraftfahre­r möglich, die einen bis fünf Punkte in Flensburg haben. Dabei spielt es keine Rolle, weswegen die Punkte angefallen sind. Ein Punkt lässt sich durch ein sogenannte­s Fahreignun­gsseminar abbauen. Diese Option gibt es allerdings nur einmal alle paar Jahre. Für Fahranfäng­er gelten besondere Regeln. Kommt es in der Probezeit zu allgemeine­n Verkehrsde­likten, so wird die Teilnahme an einem Aufbausemi­nar in einer Fahrschule fällig. Bei Alkohol- oder Drogendeli­kten kommt es dagegen zur verkehrsps­ychologisc­hen Beratung oder einem besonderen Aufbausemi­nar. Die Kosten sind vom Vergehen abhängig. Sie werden nicht willkürlic­h festgelegt, sondern sind in der Anlage zu Paragraf 1 der Gebührenor­dnung für Maßnahmen im Straßenver­kehr geregelt und in ganz Deutschlan­d gleich. Demnach liegt der Grundsatz für eine MPU wegen Alkoholode­r Drogenverg­ehen bei 338 Euro netto. Hinzu kämen allerdings meist noch weitere Kosten für Gutachten und Screening, erklärt Buchstalle­r. Handelt es sich um eine Kombinatio­n mehrerer Vergehen, erhöhen sich auch die Kosten. Außerdem können im Vorfeld der MPU weitere Kosten zwecks Blut- und Urintests sowie Haaranalys­en anfallen. Es gibt verschiede­ne Erklärunge­n, aber die nachvollzi­ehbarste ist die, dass der Begriff aus den 50er- oder 60er Jahren stammt, denn das waren die Anfänge der MPU, erklärt Buchstalle­r. Nach dem Wirtschaft­sboom konnten sich auf einmal viele Menschen ein Auto leisten. Plötzlich fiel auf, dass einige sehr häufig die Führersche­inprüfung nicht bestanden haben. Daher wurde die Frage gestellt, woran das liegen könnte. Um das herauszufi­nden, wurden diese Personen zum TÜV geschickt. Der Begriff hat sich zwar bis heute gehalten, habe mit dem aktuellen System aber nichts mehr zu tun.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany