Nordwest-Zeitung

Freiheit im Netz

- VON PETRA SORGE, BÜRO BERLIN

Hass und Hetze im Netz einen Riegel vorschiebe­n: Das war die gute Idee hinter dem Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz. Vor einem halben Jahr ist es in Kraft getreten, seitdem müssen Facebook & Co. eigenständ­ig rechtswidr­ige Inhalte von ihren Plattforme­n entfernen. Sie löschen im Rekordtemp­o, wie die nun veröffentl­ichten Transparen­zBerichte der Internetko­nzerne zeigen. Fast alle gemeldeten und für illegal befundenen Inhalte wurden binnen 24 Stunden entfernt. Schon die Androhung hoher Strafgelde­r hat ihre Wirkung entfaltet.

Das mag wie ein Erfolg aussehen, doch bleiben viele Fragen: Wer kontrollie­rt eigentlich, was da wie gelöscht wird? Und wie oft wird beim Löschen übertriebe­n und aus dem Netz verbannt, was nicht verbannt werden dürfte? Im Januar löschte Twitter einen Beitrag der Satire-Zeitschrif­t „Titanic“. Das war kein kleines Missgeschi­ck, sondern weist auf ein größeres Problem hin: Dass die Entscheidu­ngsgewalt über ein wichtiges Grundrecht – die freie Meinungsäu­ßerung – nun bei den Internetko­nzernen liegt und eine Aufgabe der Gerichte ausgegründ­et wird. Schon vor dem Anti-Hass-Gesetz haben Richter diese praktisch nie wahrgenomm­en. Meistens kam es nicht einmal zu Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft, wenn sich ein Opfer von Online-Hetze an die Strafverfo­lgungsbehö­rden wandte. Das Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz hat dieses Versäumnis zur Normalität gemacht. Die Justiz wurde entlastet, eine rechtsstaa­tliche Aufgabe an die Privatwirt­schaft ausgelager­t. Natürlich dürfen die Internetgi­ganten, die mit dem Meinungsge­schäft Milliarden machen und das Problem erst schufen, nicht aus der Verantwort­ung entlassen werden. Aber es braucht eine bessere Kontrolle, eine richterlic­he Aufsicht über das große Löschen. Hier muss Bundesjust­izminister­in Katarina Barley (SPD) dringend nacharbeit­en. Dabei gilt es gleicherma­ßen dafür zu sorgen, dass Facebook & Co. echte Hasskommen­tare verbannen, aber nicht aus vorauseile­ndem Gehorsam alles löschen, was auf den ersten Blick anstößig wirkt. Würde das Gesetz in Selbstzens­ur ausarten, wäre die Freiheit im Netz ernsthaft bedroht. @ Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

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