„Leg’ doch endlich mal das Ding weg“
Wie Künstler und Restaurantbetreiber gegen den digitalen Tunnelblick kämpfen
Jltern sind oft genervt, wenn Kinder sich nicht vom Smartphone lösen können. Aber auch Erwachsene ringen in den USA mit der HandySucht – das hat einige erfinderisch gemacht.
NEW YORK Die in den USA beliebte Kaffeehauskette „Le Pain Quotidien“stellte vergangenen Sommer eine Art Gretchenfrage der Tischkultur: „Kannst du eine Mahlzeit ohne dein Handy überleben?“Gemeint war: Darf das Smartphone mit auf den Tisch, oder sollte es beim Essen verschwinden? Was in manchen Haushalten auch in Deutschland längst als Benimmregel diskutiert wird, war als Idee bei einer weltweit tätigen Restaurantkette angekommen: Ohne Handy schmeckt das Essen besser.
Gefühlt ununterbrochen lesen, wischen und tippen einige Amerikaner auf ihren Geräten. Millionen beginnen und beenden ihre Tage einer Gallup-Studie zufolge mit dem Griff nach dem Smartphone, 2600 Berührungen
täglich sind dem Marktforscher Dscout zufolge Durchschnitt. Einige Restaurants und Musiker, die sich aufmerksameres Publikum wünschen, versuchen mit speziellen Kisten und verschließbaren Handy-Beuteln gegenzusteuern.
„Es wurde unerträglich“
„Öffne mich“steht etwa auf den Zigarrenkisten, die im Restaurant „Hearth“in New York zum Gedeck gehören wie Weingläser und Servietten. „Nutze diese Box, um dein Handy wegzulegen und dich mit deinen Tischnachbarn auszutauschen“, heißt es da-
rin. Inhaber Marco Canora, der sich die Kisten ausgedacht hat, sagt: „Es wurde einfach unerträglich, in welchem Maß die Leute an ihre Handys gekettet sind. Wir verlieren das Wesen dessen, was es bedeutet, zu speisen und gesellig zu sein und den Menschen in die Augen zu sehen.“Etwa zwei Drittel seiner Gäste folgten dem Vorschlag, schätzt Restaurantbesitzer Canora.
Jack White hat sich mit genau diesem Ansatz nicht nur Freunde gemacht. Telefone werden bei Shows des früheren White-Stripes-Sängers in spezielle Handy-Beutel verschlossen. „Zuviel Kontrolle“, sagte Amelia Hampton der Zeitung „USA Today“nach einer Jack-White-Show in Milwaukee im April. „Deine Lieblings-Band zu filmen, von dessen Konzert du schon immer geträumt hast, die Erinnerungen zu speichern, das ist mir wichtig.“White erklärte dem „Rolling Stone“dagegen, dass Zuschauer ihre Handys in einem klassischen Konzert oder in einer Kirche ja auch verschwinden ließen.
Den Moment genießen
Übrigens: Auch einige Komiker nutzen die Taschen um zu verhindern, dass ihre frischen Gags zu schnell auf Youtube landen. Vielen Künstlern geht es weniger um ein Handyverbot als um aufmerksame, anwesende Zuschauer: „Du musst diesen Moment auskosten, Baby! Nimm diese verdammte Kamera runter“, sagte Beyoncé etwa 2013 zu einem Fan.
Nicht wenige Konzert- und Restaurantbesucher dürften verpassten Foto-Gelegenheiten für Instagram nachtrauern. Für sie und all jene, die ihr Essen stets fotografieren, hatte David Chang vom Restaurant „Momofuku Ko“schon vor zehn Jahren eine Antwort: „Es ist nur Essen. Esst es.“