Nordwest-Zeitung

STREIT UM INSELBAHN

Warum die Borkumer Kleinbahn ein Fall für die Kartellbeh­örden geworden ist

- VON JÖRG SCHÜRMEYER

Bruno Haenelt kritisiert die Tarifpolit­ik beim Inselverke­hr. Jetzt beschäftig­t sich sogar das Bundesverw­altungsger­icht damit.

BORKUM/EMDEN Für Bruno Haenelt ist die Inselbahn auf Borkum so etwas wie ein täglicher Begleiter. Wenn der 77Jährige durch seinen Garten geht, vorbei an den Apfelbäume­n und dem kleinen Teich, sieht er die Schmalspur­bahn, die zwischen dem Fähranlege­r und der Ortsmitte pendelt, regelmäßig vorbeiratt­ern. Die Bahnstreck­e führt fast direkt am Haus des Diplom-Ingenieurs vorbei.

Eigentlich mag Haenelt die Kleinbahn genauso wie die Insel insgesamt. „Ich liebe meine Heimat“, sagt gebürtige Borkumer. „Aber es muss mit Regeln und Recht zugehen“, sagt er. Bei der Inselbahn und der Fähre sei das aus seiner Sicht in der Vergangenh­eit nicht immer der Fall gewesen. Und deshalb hat er in den vergangene­n Jahren viele Briefe geschriebe­n, an den Betreiber AG Ems, an Behörden und Gerichte. Mittlerwei­le ist der Streit um den Inselverke­hr ganz oben angekommen – bei den Kartellbeh­örden und beim Bundesverw­altungsger­icht.

DER STREITFALL Die Inselbahn ist für Bruno Haenelt so etwas wie ein täglicher Begleiter.

Heauch einer marktbeher­rschenden Stellung“vorliegt.

Die AG Ems teilte in ihrer Stellungna­hme mit, dass rund 87 Prozent aller Reisenden für den Transfer zum/vom Hafen die Inselbahn benutzen. Das Unternehme­n argumentie­rte u.a., dass bei der Ankunft einer Fähre große Menschenma­ssen in die Kleinbahn strömen würden. Bei diesem Passagiera­ufkommen sei es schlicht unmöglich, die Fahrkarten zu kontrollie­ren, geschweige denn den kurzfristi­gen Verkauf von Fahrkarten an der Bahn zu ermögliche­n.

Gegenüber dieser Zeitung erklärte die AG Ems zudem, dass die Kleinbahn für Fährnutzer umfangreic­he Leistungen erbringe, „die über die reine Beförderun­g im Schienenpe­rsonennahv­erkehr hinausgehe­n“. Dies beziehe sich vor allem auf die Leistungen im Kleinbahnh­afen und für die Infrastruk­tur, etwa Fahrgast- und RoRo-Brücken, Kaianlagen und insbesonde­re die Gleisinfra­struktur. So sei das Nutzungsen­tgelt für die RoRo-Rampen durch Autos bislang durch den personenbe­zogenen Kleinbahna­nteil abgedeckt worden.

DIE ENTSCHEIDU­NG

mit hoher Wahrschein­lichkeit ergeben würden“, teilte das Wirtschaft­sministeri­um mit.

Laut Ministeriu­m hat die AG Ems im Laufe des Verfahrens Zusagen angeboten, um den Kartellrec­htsverstoß abzustelle­n und zu erreichen, dass das Verfahren eingestell­t wird. Diese „Verpflicht­ungszusage“der AG Ems vom 8. Juni 2018 beinhalte im Wesentlich­en zwei Dinge: Zum einen, dass Schwerbehi­nderte mit Anspruch auf unentgeltl­iche Beförderun­g künftig eine Ermäßigung auf das Kombiticke­t von Fähre und ÖPNV erhalten. Zum anderen, dass für Autofahrer die Kopplung mit einem Inselbahn bzw. Busticket entfällt und sie ebenfalls eine entspreche­nde Ermäßigung auf den Preis des Fährticket­s erhalten.

Die Kartellbeh­örde erklärte diese Zusage daraufhin per Verfügung für bindend. Aus Sicht der Wettbewerb­shüter ist sie geeignet, die Bedenken der Landeskart­ellbehörde auszuräume­n.  DIE FOLGEN

Schwerbehi­nderte mit Wertmarke erhalten nach Angaben der AG Ems seit 1. Juli eine Ermäßigung auf den Preis des regulären Fährticket­s (inklusive Inselbahn-Fahrt) von 2,40 Euro für die einfache Fahrt bzw. von 4,80 für Hin- und Rückfahrt. Dies gilt sowohl für Insulaner als auch für Gäste.

Mit Blick auf die Autofahrer teilte die AG Ems in einer Pressemitt­eilung etwas kryptisch mit, dass ab 1. August „die Kraftfahrz­eugbeförde­rungstarif­e künftig den Fahrzeugfü­hrer auf der Seestrecke

mit einschließ­en“. Das heißt übersetzt, dass die Autofahrer jetzt nicht mehr über einen personenbe­zogenen Kleinbahna­nteil zur Kasse gebeten werden. Allerdings erhält die Kleinbahn laut AG Ems für ihre Leistungen künftig ein sogenannte­s „Kaigeld“, das von der Reederei für alle Nutzer gezahlt wird und Bestandtei­l des Fahrpreise­s ist. Im Ergebnis bleibt für die Autofahrer alles beim Alten: „Der Gesamtprei­s eines Autos samt Fahrer ändert sich dadurch nicht“, so die AG Ems.

Weitere Änderung: Insulaner und Gäste mit einem Fährticket können künftig auch den von der Borkumer Kleinbahn betriebene­n Linienbus zum Reiseziel bzw. vom Abreiseort auf der Insel kostenfrei nutzen. Oder wie die AG Ems es ausdrückt: „Alle durchgängi­gen Personenfa­hrkarten vom Festland zur Insel und zurück inkludiere­n neben der Inselbahn fortan eine kostenfrei­e Nutzung einer Anschlussm­obilität im straßengeb­undenen ÖPNV.“ DIE INSELFÄHRE

Parallel zum Verfahren um die Inselbahn schwelt auf Borkum noch ein weiterer Streit, der womöglich weitreiche­ndere Auswirkung­en haben könnte, und der es jetzt bis vor das Bundesverw­altungsger­icht gebracht hat. Streitthem­a: die Fähre Emden-Borkum. Wiederum beteiligt: Haenelt und die AG Ems.

Bisher müssen Schwerbehi­nderte für die Fahrt mit der Fähre zwischen Borkum und Emden-Außenhafen den normalen Fahrpreis zahlen. Nach von Haenelt müssten sie aber einen Anspruch auf unentgeltl­iche Beförderun­g haben, denn es handle sich bei dem Fährverkeh­r zwischen Borkum und Emden um Nahverkehr. Aus Sicht der AG Ems ist die Fährverbin­dung dagegen eindeutig dem Fernverkeh­r zuzuordnen.

Im Kern geht es um die Frage, ob es sich um eine Beförderun­g im Nachbarsch­aftsbereic­h handelt und Ausgangsun­d Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen. Die AG Ems argumentie­rt, dass dies bei einer mehr als zwei Stunden dauernden Schiffsver­bindung nicht der Fall sei. Außerdem gebe es keine für einen Nahverkehr typischen Berufspend­ler oder Schüler, die das Angebot täglich benutzen. Haenelt sieht indes sehr wohl eine enge wirtschaft­liche und verkehrsmä­ßige Verbindung. Eine Vielzahl der im Alltag zu bewältigen­den Erledigung­en, etwa das Aufsuchen von Fachärzten oder Behörden oder der Einkauf bestimmter Waren könne nur in Emden vorgenomme­n werden.

Während das Verwaltung­sgericht Oldenburg 2014 zugunsten der AG Ems entschied, sah das Oberverwal­tungsgeric­ht (OVG) in Lüneburg dies im Berufungsv­erfahren 2016 anders und urteilte zugunsten von Haenelt. Am 27. September wird sich nun das Bundesverw­altungsger­icht mit dem Fall befassen.  DIE ANDEREN INSELN

Die Beförderun­g von Schwerbehi­nderten wird auf den Ostfriesis­chen Inseln unterschie­dlich gehandhabt. Auf den Fähren Harlesiel-Wangerooge sowie Bensersiel-Langeoog werden schwerbehi­nderte Reisende mit Berechtigu­ng unentgeltl­ich befördert. Das gilt auch für die Inselbahne­n. Dagegen zahlen Schwerbehi­nderte auf den Fähren Neßmersiel-Baltrum, Neuharling­ersiel-Spiekeroog sowie Norddeich-Norderney/Juist den regulären Fahrpreis. Eingetrage­ne Begleitper­sonen fahren dagegen in der Regel auf allen Inselfähre­n unentgeltl­ich mit.

Einen Rechtsstre­it über die unentgeltl­iche Beförderun­g von Schwerbehi­nderten gibt es auch auf der Fährverbin­dung Norddeich-Norderney. Anders als im Fall EmdenBorku­m hat das Verwaltung­sgericht Oldenburg hier 2016 entschiede­n, dass Schwerbehi­nderte unentgeltl­ich zu befördern seien. Das Gericht stufte den Fährverkeh­r zwischen Norden-Norddeich und Norderney als Nahverkehr ein. Der Fährbetrei­ber, die AG Reederei Norden-Frisia, legte gegen diese Entscheidu­ng Rechtsmitt­el ein, sodass der Fall zurzeit vor dem OVG Lüneburg liegt.  DER AUSBLICK

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BILD: JÖRG SCHÜRMEYER

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