eil eres eld, keine Gegenleistung
Finnland testet bedingungslose Grundeinkommen – Juha Järvinen ist einer der Pioniere
Die Idee eines Grundeinkommen ist nicht neu, doch die Digitalisierung befeuert die Diskussion. So setzt Finnland die Idee in die Tat um.
BERLIN/JURVA Den eIschlag mit der Behörden-Post lässt er geschlossen. Erst am Abend, als seine Frau zurückkommt, öffnen sie ihn gemeinsam. Monate später wird Juha Järvinen den Moment als Ende seines Sklavendaseins bezeichnen.
Der Brief kommt von der finnischen Sozialbehörde Kela. Sie teilt Juha mit, dass er nun Teil eines sozialen Experiments ist, mit dem sein Land Antworten auf drängende Zukunftsfragen finden will: Wie wollen wir leben und arbeiten, wenn sich ringsherum alles ändert? Statt des Arbeitslosengeldes steht Juha zwei Jahre ein Grundeinkommen zu. Es fällt etwa hundert Euro niedriger aus als die Summe, die er vorher vom Amt erhielt. Doch alles, was er zusätzlich verdient, darf er behalten. Während des Experiments ist er dem Arbeitsamt keine Rechenschaft schuldig.
Die erste Überweisung – 560 Euro – geht im Januar 2017 auf Juhas Konto ein. Er erhält damit etwa die Hälfte des Höchstsatzes, mit dem Finnen noch als arm gelten. Wofür der 39-Jährige das Geld ausgibt, ist ihm überlassen.
Wo vom Grundeinkommen die Rede ist, geht es meist um eine finanzielle Mindestabsicherung, die der Staat ohne Bedingungen zahlt. Die Idee kam in den vergangenen Jahrzehnten immer mal wieder auf, auch in Deutschland.
Eine Initiative „Mein Grundeinkommen“verlost hier regelmäßig Grundeinkommen von 1000 Euro für ein Jahr. Ob ein Grundeinkommen positiv gesehen wird, hängt dabei auch vom Menschenbild ab: Strebt er nach Sinn und Beschäftigung? Oder braucht der Mensch Zwang und Druck, um produktiv zu bleiben?
Das Paradebeispiel
Als Medien beginnen, über das Experiment zu berichten, stoßen sie auf Juha und dessen Familie, die in Jurva im Westen Finnlands ein altes Schulhaus bewohnt. Etwa 300 Anfragen werden es im ersten Jahr. Warum taucht vor allem er in der Berichterstattung auf und nicht die 1999 anderen Bezieher? „Ich will darüber reden“, sagt er.
Doch auch Juhas Erscheinung trägt zum Interesse bei: mit Armbändern, Bart und Zylinder wirkt er alternativ. „Bist du ein Zauberer?“, fragen
Kinder in Juhas Heimatstadt manchmal. Die Familiensituation ist vieles, nur nicht durchschnittlich: sechs Kinder, ein Haus am Rande der Wildnis, voller wunderlicher alter Möbel. Sohn Akseli ist als Teenager ein derart talentierter Fußballer, dass er von finnischen Erstligisten umworben wird. Und sie haben auch einen Familienhund. Bis 2012 schreinerte Juha Fenster für traditionelle Holzhäuser.
Das Handwerk liegt ihm, die Buchhaltung nicht. Als sein altes Geschäft damals den Bach runterging, konnte er die Werkstatt nicht mehr betreten, ohne dass ihm übel wurde: erst die Angst, dann die Übelkeit, dann der Burnout. Das Finanzamt forderte Geld. Weil er nicht zahlen konnte, wurden Werkzeuge und Maschinen zwangsversteigert. „Ich habe gearbeitet, seit ich 13 war, Steuern gezahlt“, sagt er. Davon zeugt ein sehniger Körper. Von da
an musste seine Frau die Familie fast allein durchbringen. Wenn das Geld knapp wurde, halfen Juhas Brüder.
200 Jahre lang war die Region um Jurva ein Zentrum der Möbelherstellung. Doch die Holzindustrie hat sich zurückgezogen. Heute, da Discounter günstig Bausätze zur Selbstmontage verkaufen, interessierten sich nur Liebhaber für traditionelle Handwerksstücke. Jobs? Das war einmal, sagt Juha.
Die Rolle der Arbeit
Welche Rolle die Arbeit im Leben der Menschen spielen sollte, wird seit Ewigkeiten diskutiert. Die Arbeit gehört zum Leben, wer arbeitet, hat nach dieser Logik Anrechte, wer es nicht tut, ist selbst schuld. Schon in der Bibel ist die Vorstellung zu finden. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, so mahnt Apostel Paulus die Bewohner der griechischen Stadt Thessaloniki.
„Dieser finnische Typ bekommt 600 Dollar Grundeinkommen pro Monat dafür, dass er absolut nichts tut“, titelt das englischsprachige Magazin „Business Insider“in einem Text über Juha.
Zwischen Schmarotzer und Gewinner, das ist die Bandbreite der Interpretationen, die er auslöst. Anderen gilt er schnell als Experte für das Projekt, an dem er teilnimmt.
Das Ende des Projekts
Dass es nach der letzten Rate erstmal ohne Grundeinkommen klappen muss, ist bereits klar. Das Experiment soll regulär auslaufen. Und im Anschluss sollen die Wissenschaftler die Ergebnisse prüfen und veröffentlichen. Die Forschergruppe der Sozialbehörde hatte vergeblich vorgeschlagen, das Experiment auf 10 000 Teilnehmer auszuweiten. „Auch auf Menschen, die im Berufsleben stehen“, erläutert Michael Opielka, Professor für Sozialpolitik an der Ernst-Abbe Hochschule in Jena. Die Regierung in Helsinki habe aber wohl „kalte Füße“bekommen, sagt Opielka. „Die Finanzen dürften eine Rolle gespielt haben“, schon jetzt koste der Modellversuch 30 Millionen Euro.
Wie kann man mit einer Großfamilie 560 Euro als Befreiung empfinden, in einem der teuersten Länder der Erde? Die Euphorie, die Juha Järvinen verströmt, wirkt angesichts des Geldbetrags überzogen. Zum Leben reicht das in Finnland nicht. Doch in Juhas Wahrnehmung ist es der Unterschied zwischen Macht und Ohnmacht: Zum ersten Mal seit seiner Pleite hat er mit dem Grundeinkommen das Gefühl, sein Leben in der eigenen Hand zu haben.