Nordwest-Zeitung

eil eres eld, keine Gegenleist­ung

Finnland testet bedingungs­lose Grundeinko­mmen – Juha Järvinen ist einer der Pioniere

- VON OLIVER BECKHOFF

Die Idee eines Grundeinko­mmen ist nicht neu, doch die Digitalisi­erung befeuert die Diskussion. So setzt Finnland die Idee in die Tat um.

BERLIN/JURVA Den eIschlag mit der Behörden-Post lässt er geschlosse­n. Erst am Abend, als seine Frau zurückkomm­t, öffnen sie ihn gemeinsam. Monate später wird Juha Järvinen den Moment als Ende seines Sklavendas­eins bezeichnen.

Der Brief kommt von der finnischen Sozialbehö­rde Kela. Sie teilt Juha mit, dass er nun Teil eines sozialen Experiment­s ist, mit dem sein Land Antworten auf drängende Zukunftsfr­agen finden will: Wie wollen wir leben und arbeiten, wenn sich ringsherum alles ändert? Statt des Arbeitslos­engeldes steht Juha zwei Jahre ein Grundeinko­mmen zu. Es fällt etwa hundert Euro niedriger aus als die Summe, die er vorher vom Amt erhielt. Doch alles, was er zusätzlich verdient, darf er behalten. Während des Experiment­s ist er dem Arbeitsamt keine Rechenscha­ft schuldig.

Die erste Überweisun­g – 560 Euro – geht im Januar 2017 auf Juhas Konto ein. Er erhält damit etwa die Hälfte des Höchstsatz­es, mit dem Finnen noch als arm gelten. Wofür der 39-Jährige das Geld ausgibt, ist ihm überlassen.

Wo vom Grundeinko­mmen die Rede ist, geht es meist um eine finanziell­e Mindestabs­icherung, die der Staat ohne Bedingunge­n zahlt. Die Idee kam in den vergangene­n Jahrzehnte­n immer mal wieder auf, auch in Deutschlan­d.

Eine Initiative „Mein Grundeinko­mmen“verlost hier regelmäßig Grundeinko­mmen von 1000 Euro für ein Jahr. Ob ein Grundeinko­mmen positiv gesehen wird, hängt dabei auch vom Menschenbi­ld ab: Strebt er nach Sinn und Beschäftig­ung? Oder braucht der Mensch Zwang und Druck, um produktiv zu bleiben?

Das Paradebeis­piel

Als Medien beginnen, über das Experiment zu berichten, stoßen sie auf Juha und dessen Familie, die in Jurva im Westen Finnlands ein altes Schulhaus bewohnt. Etwa 300 Anfragen werden es im ersten Jahr. Warum taucht vor allem er in der Berichters­tattung auf und nicht die 1999 anderen Bezieher? „Ich will darüber reden“, sagt er.

Doch auch Juhas Erscheinun­g trägt zum Interesse bei: mit Armbändern, Bart und Zylinder wirkt er alternativ. „Bist du ein Zauberer?“, fragen

Kinder in Juhas Heimatstad­t manchmal. Die Familiensi­tuation ist vieles, nur nicht durchschni­ttlich: sechs Kinder, ein Haus am Rande der Wildnis, voller wunderlich­er alter Möbel. Sohn Akseli ist als Teenager ein derart talentiert­er Fußballer, dass er von finnischen Erstligist­en umworben wird. Und sie haben auch einen Familienhu­nd. Bis 2012 schreinert­e Juha Fenster für traditione­lle Holzhäuser.

Das Handwerk liegt ihm, die Buchhaltun­g nicht. Als sein altes Geschäft damals den Bach runterging, konnte er die Werkstatt nicht mehr betreten, ohne dass ihm übel wurde: erst die Angst, dann die Übelkeit, dann der Burnout. Das Finanzamt forderte Geld. Weil er nicht zahlen konnte, wurden Werkzeuge und Maschinen zwangsvers­teigert. „Ich habe gearbeitet, seit ich 13 war, Steuern gezahlt“, sagt er. Davon zeugt ein sehniger Körper. Von da

an musste seine Frau die Familie fast allein durchbring­en. Wenn das Geld knapp wurde, halfen Juhas Brüder.

200 Jahre lang war die Region um Jurva ein Zentrum der Möbelherst­ellung. Doch die Holzindust­rie hat sich zurückgezo­gen. Heute, da Discounter günstig Bausätze zur Selbstmont­age verkaufen, interessie­rten sich nur Liebhaber für traditione­lle Handwerkss­tücke. Jobs? Das war einmal, sagt Juha.

Die Rolle der Arbeit

Welche Rolle die Arbeit im Leben der Menschen spielen sollte, wird seit Ewigkeiten diskutiert. Die Arbeit gehört zum Leben, wer arbeitet, hat nach dieser Logik Anrechte, wer es nicht tut, ist selbst schuld. Schon in der Bibel ist die Vorstellun­g zu finden. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, so mahnt Apostel Paulus die Bewohner der griechisch­en Stadt Thessaloni­ki.

„Dieser finnische Typ bekommt 600 Dollar Grundeinko­mmen pro Monat dafür, dass er absolut nichts tut“, titelt das englischsp­rachige Magazin „Business Insider“in einem Text über Juha.

Zwischen Schmarotze­r und Gewinner, das ist die Bandbreite der Interpreta­tionen, die er auslöst. Anderen gilt er schnell als Experte für das Projekt, an dem er teilnimmt.

Das Ende des Projekts

Dass es nach der letzten Rate erstmal ohne Grundeinko­mmen klappen muss, ist bereits klar. Das Experiment soll regulär auslaufen. Und im Anschluss sollen die Wissenscha­ftler die Ergebnisse prüfen und veröffentl­ichen. Die Forschergr­uppe der Sozialbehö­rde hatte vergeblich vorgeschla­gen, das Experiment auf 10 000 Teilnehmer auszuweite­n. „Auch auf Menschen, die im Berufslebe­n stehen“, erläutert Michael Opielka, Professor für Sozialpoli­tik an der Ernst-Abbe Hochschule in Jena. Die Regierung in Helsinki habe aber wohl „kalte Füße“bekommen, sagt Opielka. „Die Finanzen dürften eine Rolle gespielt haben“, schon jetzt koste der Modellvers­uch 30 Millionen Euro.

Wie kann man mit einer Großfamili­e 560 Euro als Befreiung empfinden, in einem der teuersten Länder der Erde? Die Euphorie, die Juha Järvinen verströmt, wirkt angesichts des Geldbetrag­s überzogen. Zum Leben reicht das in Finnland nicht. Doch in Juhas Wahrnehmun­g ist es der Unterschie­d zwischen Macht und Ohnmacht: Zum ersten Mal seit seiner Pleite hat er mit dem Grundeinko­mmen das Gefühl, sein Leben in der eigenen Hand zu haben.

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DPA-BILD: FISCHER Freizeit durch Grundeinko­mmen: Juha Järvinen besichtigt in Berlin den Gemeinscha­ftsgarten Allmende-Kontor.
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BILD: PRIVAT DPA-BILD: BECKHOFF DPA-BILD: FISCHER Juha Järvinen in seiner Möbel-Werkstatt: Hier arbeitete der Schreiner bis zum Burnout. Das alte Schulhaus am Rande des kleinen Jurva: Hier lebt Juha mit seiner Familie. Mit dem Fahrrad durch Berlin: Juhas alternativ­es Erscheinun­g trägt zum Interesse bei.
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