Nordwest-Zeitung

Ohne Pflegeplat­z kein Urlaub

Hildegard Winterhage­n erhielt 22 Absagen von Heimen

- VON PATRICK BUCK

Die 75-Jährige möchte Sohn und Enkelin besuchen. Doch ihr Mann braucht Hilfe – und bekommt sie erst nach einem Anrufmarat­hon.

OLDENBURG Nur ein paar Tage raus, mal loslassen, etwas entspannen. Das klingt so einfach. Doch wer Angehörige zu Hause pflegt, für den ist das eine Herausford­erung – und mitunter ein Wunsch, der ziemlich nah an der Unmöglichk­eit liegt. Hildegard Winterhage­n fährt in dieser Woche ein paar Tage weg. Doch bis das möglich war, hat ihr die Pflegebran­che viele Steine in den Weg gelegt.

Die 75-Jährige aus Oldenburg hat eine Liste angefertig­t. Darauf stehen die Namen von 22 Pflegeheim­en, die meisten aus Oldenburg, ein paar aus dem Umland. Seit Mai, als sie ihre Reise für August planen wollte, hat sie all diese Heime abtelefoni­ert auf der Suche nach einem Kurzzeitpf­legeplatz für ihren Ehemann Klaus Uwe Winterhage­n (74). Das Ergebnis war niederschm­etternd: Es hagelte Absagen.

„Dabei werben all diese Heime mit Kurzzeitpf­lege-Angeboten“, erzählt Hildegard Winterhage­n. Doch statt mit offenen Armen empfangen zu werden, empfand sie es eher so, als sei ihr verbal die Tür vor der Nase zugeschlag­en worden. So sei ihr gesagt worden, dass es ja ihr Problem sei, wenn sie in den Urlaub fahren wolle. An anderer Stelle riet man ihr, 14 Tage vor Abreise anzufragen, ob spontan ein Platz frei wäre. Für die Planung einer Reise ist das natürlich nicht hilfreich. „Ich kam mir vor wie ein Bettler.“

Die 75-Jährige ist schwer enttäuscht von einem System, dem sie durch die Pflege zu Hause viel Arbeit abnimmt. Seit 18 Jahren kümmert sie sich um ihren Mann, der nach einem Schlaganfa­ll, einem Sturz und Infektione­n nach Operatione­n halbseitig gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen ist. Er braucht Unterstütz­ung beim Anziehen oder beim Waschen, weshalb seine Frau nicht einfach so ein paar Tage wegfahren kann. Nur vier Mal war sie in den vergangene­n Jahren verreist. „Und das, obwohl ich pro Jahr 28 Tage Kurzzeitpf­lege in Anspruch nehmen darf“, sagt sie.

Geschichte­n wie diese hören die Mitarbeite­r von Friederike Oltmer, Geschäftsf­ührerin des Senioren- und Pflegestüt­zpunkt Niedersach­sen (SPN) der Stadt Oldenburg, sehr häufig. Auch wenn ihr keine konkreten Zählen vorlägen, sei die Lage bei der Kurzzeitpf­lege „dramatisch“, sagt sie. Für die Heime seien diese Kurzengage­ments nicht sehr wirtschaft­lich, ein vollstatio­närer Platz werde besser vergütet.

Auch beim Sozialverb­and VdK beschäftig­t man sich mit dem Thema. „Eine Verbesseru­ng in diesem Bereich ist eine wiederkehr­ende Forderung an die Politik“, so die Sprecherin des Landesverb­andes, Christina Diekmann.

Beim Niedersäch­sischen Gesundheit­sministeri­um verweist man auf den Koalitions­vertrag. Die Situation in der Pflege soll verbessert werden, indem unter anderem die „Förderung von Versorgung­sformen“überprüft werde, so Sprecher Uwe Hildebrand­t. Deshalb führe das Ministeriu­m derzeit eine Abfrage bei den Kommunen zur Versorgung­ssituation durch.

Hildegard Diekmann hat am Ende nur Hartnäckig­keit geholfen. Ihr Mann wird eine Woche in einer Einrichtun­g in Kayhauserf­eld versorgt, damit sie ihren Sohn und die Enkelin in Polen besuchen kann. Für die 75-Jährige ist das ein Geschenk. „Vielleicht ist es ja das letzte Mal, das ich das schaffe.“

Pfle4estüt­zpunkt

Bei Fragen rund ums Älterwerde­n, Wohnen, Mobilität und Pflege, hilft der Seniorenun­d Pflegestüt­zpunkt Niedersach­sen (SPN) der Stadt Oldenburg an der Straßburge­r Straße 8. Offene Sprechzeit­en sind montags bis freitags, 10 bis 13 Uhr und donnerstag­s auch 14 bis 17 Uhr. Es können auch Termine vereinbart werden. Beratung am Telefon gibt es unter t23538 80 (Alter/Wohnen) und

t235-37 80 (Pflege).

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BILD: PATRICK BUCK Sind verärgert über das fehlende Pflegeange­bot: Klaus Uwe und Hildegard Winterhage­n

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