Nordwest-Zeitung

Schicksals­wochen im Freistaat

Lage in Bayern komplizier­ter ,enn je – Aber jetzt sin, erst einmal Ferien

- VON MARCO HADEM UND CHRISTOPH TROST

Für Markus Söder kommt die Sommerpaus­e zur Unzeit. Ausgerechn­et jetzt, wo seine CSU auf einem Umfrage-Tiefpunkt angelangt ist, soll der eifrige Spitzenkan­didat Ferien machen? Gar ausspannen? Wer den 51-Jährigen kennt, der weiß, dass dies nicht funktionie­ren kann, zumindest nicht für mehr als ganz wenige, an einer Hand abzählbare Tage. So mancher in der CSU bedauert die Ruhe jedoch gar nicht so sehr: Nach den turbulente­n vergangene­n Wochen könne die CSU sich ein wenig besinnen, Kraft tanken für den garantiert heißen Herbst, heißt es.

Zweieinhal­b Monate vor der Landtagswa­hl am 14. Oktober ist in Bayern die politische Zukunft offen wie lange nicht. Nicht nur die Zahl der Parteien, die sich realistisc­he Hoffnungen auf den Einzug in den Landtag machen können, ist mit bis zu sieben die höchste seit 1946. Auch die jahrzehnte­lange Vorherrsch­aft der CSU, verbunden mit einem Alleinregi­erungsansp­ruch, hat heftige Risse bekommen. Den Christsozi­alen bläst insbesonde­re wegen ihrer Asyl- und Sicherheit­spolitik auch in Bayern ein Proteststu­rm entgegen, wie es ihn schon lange Jahre nicht mehr gegeben hat.

Als vor wenigen Tagen der Bayerische Rundfunk seine große Umfrage präsentier­te, fühlten sich viele in der CSU an den 24. September 2017 erinnert. Wieder blieb die blaue Säule mit dem CSU-Ergebnis in früher kaum denkbaren Tiefen stehen: Nur 38 Prozent der Bayern würden der CSU danach aktuell ihre Stimme geben. Das wären fast zehn Prozentpun­kte weniger als 2013, als die CSU mit 47,7 Prozent die absolute Mehrheit der Mandate im Landtag zurückerob­ern konnte, wenn auch nur knapp.

Diesmal ist es im Freistaat erstmals in der Geschichte realistisc­h, dass sieben Fraktionen im Plenum nebeneinan­der sitzen – wenn es FDP und Linke am Ende tatsächlic­h schaffen sollten. Zum Vergleich: 1982 waren es mit CSU und SPD nur zwei Fraktionen.

Die Zahlen belegen einmal mehr, was seit Jahren in ganz Deutschlan­d und auch in weiten Teilen Europas zu spüren ist: Das Machtgefüg­e ist empfindlic­h ins Wanken geraten, ehemals große Volksparte­ien verlieren massenhaft Wähler an eine wachsende Zahl von zumindest anfangs kleinen Parteien. Anders als SPD und CDU konnte die CSU im konservati­ven Bayern, und hier zumeist auf dem Land, diese Entwicklun­g lange ignorieren. Doch die AfD und andere rechtspopu­listische Tendenzen haben diese Bastion ins Wanken gebracht.

Für den 14. Oktober ab 18 Uhr und die Zeit danach steht damit nur eines fest: Bayern wird sich politisch weiter verändern. Und auch wenn der nächste Ministerpr­äsident sicher wieder von der CSU gestellt wird, dürfte auch die Partei vor einer Neuordnung stehen.

Im Asylstreit der vergangene­n Wochen hat sich gezeigt, dass der Burgfriede zwischen Söder, Parteichef Horst Seehofer, Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt und Parteivize Manfred Weber, um nur einige der Beteiligte­n zu nennen, fragil ist. Hinter den Kulissen wird längst diskutiert, wie es in der Parteihier­archie weitergeht, wenn die CSU unter 40 Prozent rutschen sollte. Nicht nur der Posten des Parteichef­s dürfte dann zur Debatte stehen.

Bis zur Wahl ist es aber noch lange hin. Und der jüngsten Umfrage zufolge ist sich mehr als jeder Zweite noch nicht endgültig sicher, wen er am 14. Oktober tatsächlic­h wählen wird.

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